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500 Jahre Bauernkriege

Fast konnte man schon einen neuen Bauernkrieg befürchten. Wochenlang haben zahllose Bauern mit ihren Traktoren (die eigentlich nur für landwirtschaftliche Zwecke zugelassen sind) Staus und Straßensperrungen verursacht, sie haben Politiker/innen beleidigt und bedroht und die Gesellschaft zwecks Besserung ihrer Einkommenslage unter Druck gesetzt. Diese Erpressung hat gewirkt.

Die Bundesregierung hat auf die Verschärfung des Düngerechts verzichtet, und die geplante Streichung der Kfz-Steuer-Befreiung für Traktoren kommt nicht. Die Vorgaben für die Schaffung von Brachflächen sind jetzt freiwillig. Auch das Europaparlament ist vor den Bauern eingeknickt und hat einige Umweltauflagen in der Landwirtschaft zurückgenommen. Die Änderungen wurden im Eilverfahren gebilligt und gelten zum Teil sogar rückwirkend. Ihren Vorschlag für eine Pestizidverordnung zieht die EU-Kommission zurück. Die Nutzung des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat wurde bereits im November 2023 für weitere zehn Jahre genehmigt.

Es lohnt sich also offenbar, zu kämpfen, Krach zu machen, zu drohen und zu (zer)stören. Von polizeilichem Einschreiten wegen Verkehrsbehinderung wie bei den Klebeaktionen der „last generation“ hat man nichts gehört. Ohnehin bleibt zu fragen, ob die finanzielle Lage der Bauern ihre wochenlangen Protestaktionen rechtfertigt. Im Durchschnitt aller Betriebe hat das landwirtschaftliche Einkommen je nicht entlohnter (Familien-)Arbeitskraft in den vergangenen 15 Jahren stark zugenommen, im Wirtschaftsjahr 2022/23 betrug es rund 80.000 €. Die realen Einkommen der Landwirte sind in diesem Zeitraum um 3% pro Jahr angestiegen. Rund 50% der Einkommen stammen aus EU-Subventionen, die gewährt werden, damit die Versorgung der Bevölkerung aus eigener Kraft sichergestellt wird.

Vor 500 Jahren war alles ganz anders. Es ist genau ein halbes Jahrtausend her, dass die deutschen Bauern ihre Träume von freien Bauern auf freier Scholle verwirklichen wollten und nach blutigen Auseinandersetzungen furchtbare Niederlagen erlitten. 1524 begannen die sogenannten Bauernkriege. In Süddeutschland, Thüringen und Sachsen, aber auch in Tirol und der Schweiz, erhoben sich die Bauern und wehrten sich gegen ihre Unterdrückung durch Adel und Kirche. Der Aufstand gehört zu den einschneidenden Ereignissen unserer Geschichte. Letztlich war es jedoch ein vergebliches Unterfangen, denn die Bauernheere wurden von den weitaus besser ausgerüsteten Truppen der Grund- und Landesherren besiegt.  

Die Erhebung der Bauern entstand 1524 nicht plötzlich und unerwartet. Schon seit dem 15. Jahrhundert hatte es in verschiedenen Regionen immer wieder Unruhen und Aufstände gegeben. Beispielhaft war die Bundschuh-Bewegung aufständischer Bauern in den Jahren 1493 bis 1517 in Südwestdeutschland. Sie war eine der Wurzeln der deutschen Bauernkriege. Bei der Bundschuh-Bewegung handelte es sich um eine Vielzahl von Aufständen gegen Unterdrückung und Leibeigenschaft. Alle wurden niedergeschlagen. Adel und Klerus als Kernsäulen des Feudalismus waren nicht bereit, etwas an der bestehenden Gesellschaftsordnung zu ändern.

In einigen südwestdeutschen Städten hatte es ebenfalls Bürgererhebungen gegeben, zumeist von den ärmeren Schichten getragen und gegen die ökonomischen und politischen Privilegien der Patrizier und des Klerus gerichtet. So beteiligten sich auch an den Aktionen der Bauernkriege teilweise Städter und Bergleute, manchmal auch Geistliche, Landsknechte und sogar verarmte Ritter (Frankfurter Zunftaufstand, Pfälzischer Ritteraufstand). Fast konnte man schon von einer sozialen Erhebung sprechen. Doch das Bürgertum war noch zu schwach, um Änderungen herbeizuführen. Zudem war es vielfach vom Adel und Klerus abhängig.

Die Gründe für die Bauernaufstände waren vielfältig: wirtschaftliche Not und soziales Elend, Unterdrückung und Abhängigkeit, Ausbeutung und drakonische Abgaben, willkürliche Urteile der Gerichtsherren, Enteignungen und Streichung von Holzschlag-, Fischerei- und Jagdrechten, Heranziehung zu Frondiensten. Nicht bezahlte Schulden führten dann zur Hörigkeit und Leibeigenschaft mit noch höheren Zahlungs- und Dienstleistungsverpflichtungen. Die Bevölkerung bestand damals zu 80% aus Bauern und zu 3% aus Adel, die anderen waren Stadtbewohner/innen, Geistlichkeit und Soldaten. Die Bauern mussten Adel und Geistlichkeit finanzieren, einen großen Teil ihrer Ernte abgeben und Dienste leisten. Rechte hatten sie nicht.

Nicht ohne Grund standen die Kirchen im Zentrum der Kritik. Erstens verfügten sie über eine Vielzahl von Privilegien, zweitens waren sie Eigentümerinnen vieler Grundstücke und Gebäude, drittens führten viele Geistliche ein ausschweifendes Leben, das im krassen Gegensatz zur Armut der ländlichen Bevölkerung stand. Gegen diese Missstände hatten schon mehrfach Kirchenkritiker Protest erhoben, unter anderem Martin Luther mit seinen 95 Thesen von 1517. Diese Angriffe untergruben den Absolutheitsanspruch der Kirche, bestärkten die Bauern in ihrer Haltung und waren so ein Auslöser für das Aufbegehren der bäuerlichen Bevölkerung. 

Allerdings waren nicht alle Reformatoren und Täufer – wie sie sich auch nannten – Förderer der aufständischen Bauern. Zwingli stand voll hinter deren Absichten und vertrat die Auffassung, dass die Menschen das Recht haben, die Obrigkeit abzusetzen, wenn diese gegen die Vorschriften der Bibel verstößt. Luther hingegen strebte nur Änderungen innerhalb der Kirche an und verurteilte das Aufbegehren schärfstens. Melanchthon lieferte seinem Fürsten sogar eine Begründung für ein hartes Vorgehen gegen die Bauern.

Die erste Erhebung im Bauernkrieg fand am 23. Juni 1524 in Stühlingen in Baden-Württemberg statt, wo das Schloss Hohenlupfen angegriffen wurde. Dem folgte eine Vielzahl von Aufständen an verschiedenen Orten Süddeutschlands. Nicht alle Bauernhaufen – wie sie genannt wurden – wollten gewaltsamen Auseinandersetzungen, vorrangig ging es um eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse. So trafen sich Vertreter von drei schwäbischen Bauernhaufen friedlich in der Reichsstadt Memmingen zu einem regionalen Bauernparlament, um ihre Forderungen zu artikulieren. Ergebnis waren zwölf Artikel, die im Frühjahr 1525 vorgelegt wurden.

Die zwölf Artikel forderten die freie Pfarrer- und Predigtwahl, die Abschaffung bzw. gemeinnützige Verwendung des Zehnten (zehnprozentige Steuer in Form von Geld oder Naturalien), die Aufhebung der Leibeigenschaft, freie Jagd und Fischerei, die Rückgabe enteigneter Wälder, die Reduzierung der Frondienste, die Einhaltung bestehender Besitzbedingungen, die Neufestsetzung der Pacht nach Billigkeit und Ertrag, festgeschriebene statt willkürliche Strafen, die Rückgabe der Allmende (gemeinschaftliches Eigentum zur Nutzung durch die ganze Bevölkerung), die Abschaffung des Todfalls (Abgabe wertvollen Eigentums beim Tod eines Bauern). Der zwölfte Artikel besagte, dass Forderungen, die Gottes Wort widersprechen, gestrichen würden. 3)

Neben diesen zwölf Artikeln gab es noch die Schwarzwälder Artikelbriefe, die Fränkischen Artikel und die Tiroler Landesordnung – alle jedoch mit geringerer Wirkung. Die zwölf Artikel sind eine Art antifeudalistischer Beschwerdekatalog, aber auch ein Reformprogramm. Sie gelten zudem als älteste vom Volk formulierte Menschenrechtserklärung Europas. Dank des einige Jahrzehnte zuvor erfundenen Buchdrucks verbreiteten sich Flugblätter mit den Artikeln rasch in ganz Süddeutschland, Thüringen, Sachsen und dem Elsass. Zudem gründeten die Bauern nach Schweizer Vorbild die Oberschwäbische Eidgenossenschaft, deren Grundlagen in einer Bundesordnung festgehalten wurden. Ziele waren vor allem ein einheitliches Auftreten und die gegenseitige Unterstützung. 

Die Gründung der Eidgenossenschaft und die zwölf Artikel wurden den im Schwäbischen Bund zusammengeschlossenen Adligen mit dem Wunsch nach Verhandlungen übermittelt. Diese hatten jedoch kein Interesse daran, wiesen das Anliegen mit Unverständnis und Ironie zurück und ließen, als es zu Aufständen kam, die nur unzureichend bewaffneten Bauern militärisch niederwerfen. Angesichts etlicher Plünderungen von Adelssitzen und Klöstern war die Bereitschaft zu Zugeständnissen ohnehin gering.

Ähnlich verliefen die Auseinandersetzungen auch anderswo. Manchmal waren die Bauernhaufen erfolgreich und nahmen sogar Städte ein – bzw. diese öffneten ihnen die Tore. Zumeist waren sie letztlich jedoch die Unterlegenen. Mancherorts gab es allerdings Verhandlungen, die zur Waffenniederlegung und zum Abzug der Bauern führten. Teilweise wurden sogar Schiedsgerichte zur Klärung von Konflikten eingesetzt. In wenigen  Ausnahmen gab es Fälle, wo die 12 Artikel anerkannt wurden. Je nach militärischer Lage zogen die Fürsten und ihre Heerführer ihre Zugeständnisse jedoch wieder zurück.

Die letzte Schlacht fand am 4. November 1525 statt, wiederum in der Nähe von Stühlingen. Einzelne Bauernbünde hielten sich noch im Geheimen oder lebten als Räuberbanden weiter. Die Zahl der Toten wird auf 70.000 bis 75.000 geschätzt. Rund 1000 Burgen und Klöster waren zerstört worden, etliche Burgen wurden nie wieder aufgebaut. Die Strafen für festgenommene Bauern, vor allem ihre Anführer, waren grausam. Auch Städte und Gemeinden, die mit den Bauern kooperiert hatten, wurden bestraft. Aus Angst vor einem Wiederaufleben der Aufstände gab es indes regional begrenzte Verbesserungen, z.B. Aufhebung der Leibeigenschaft, Heiratsfreiheit oder Abschaffung der Todfallabgabe.

Je nach politischem Standort werden die Bauernkriege in der Forschung und Geschichtsschreibung unterschiedlich beurteilt, verortet zwischen Aufruhr und Freiheitsbewegung. Vorrangig waren wohl wirtschaftliche Not und soziales Elend, Unterdrückung, Abhängigkeit und Ausbeutung Anlass für die Aufstände. Insbesondere bei Unterstützern aus Bürgertum und Geistlichkeit spielte jedoch auch der Kampf gegen Standesunterschiede und Obrigkeitsstaat eine Rolle. Auch ist ein enger Zusammenhang mit der Reformation – als deren Anfang 1517 gilt – nicht zu verkennen.

Übergreifend wird der Bauernkrieg daher positiv gewertet und z.B. als „Kampf der Freiheit gegen unmenschliche Unterdrückung“ gefeiert oder als „großartigster Revolutionsversuch des Deutschen Volkes“ bezeichnet (Friedrich Engels). Insbesondere der anti-feudalistische und anti-klerikale Charakter der Aufstandsbewegung findet Anerkennung.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.

3 Kommentare

  1. Martin Thau

    Luther hatte die Fürsten aufgerufen, die bewaffneten Bauern gnadenlos niederzumachen. Ihm lag daran, dass das Gewaltmonopol beim Magistrat und der Polizei blieb, nur sie sollten Waffen tragen dürfen. Privatarmeen hätten, lt. Luther, Anarchie zur Folge gehabt. Ein bisschen, denke ich, wie die unterschiedlichen Rebellengruppen in Afghanistan, Syrien oder der IS. Oder was man dann später im 30jährigen Krieg erlebte.

  2. Martin Böttger

    Ich bin einigermassen entgeistert, dass dieses bedeutende politische Jubiläum in unserem Land und von seinen unabhängigen Medien so gar keine Würdigung erfährt – ausser durch unseren fabelhaften, kenntnisreichen Autor. Wie ist das möglich?

  3. Heiner Jüttner

    Vielen Dank für die Verdeutlichung. Ich hatte es etwas allgemeiner fomuliert: “Luther hingegen strebte nur Änderungen innerhalb der Kirche an und verurteilte das Aufbegehren schärfstens.”

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