Stuttgart26-Baltica30-Ruhrgebiet/NRW24 (Wundersame Bahn CXCIII)/ Nachrichtenjournalismus24, deutscher

Viele Deutsche, vor allem Südwestdeutsche, leben möglicherweise in dem Glauben, dass “Stuttgart21”, das nach dem gegenwärtigen Faktenstand korrekter Stuttgart26ff. heissen muss (oder sollte es nach den Milliarden benannt werden, die es kostet? und werden die Milliarden die Jahreszahlen noch überholen? – aber ich schweife ab …), in seiner Absurdität seinesgleichen sucht. Dabei ist Udo Bongartz/telepolis behilflich: Finanzierung außer Kontrolle: Der Panzer-Bahn Rail Baltica fehlen Milliarden – Bahntrasse in westlicher Spurbreite soll Baltikum mit Warschau verbinden. Schon seit 2001. Das auch militärisch motivierte Projekt entwickelt sich zur Katastrophe.” Das wird nichts mit dem (südwest-)deutschen Exzeptionalismus.

Obwohl wir uns Mühe geben. Im Sportteil des DLF, von seinem Fussballredakteur Matthias Friebe verfasst, findet sich diese Gegenwartsanalyse des deutschen ÖPNV: EM bringt den deutschen Nahverkehr an seine Grenzen – Überfüllte Züge und chaotische Verkehrsverhältnisse an einigen Spielorten werfen einen Schatten auf das Turnier. Fans und Verantwortliche ziehen eine gemischte Zwischenbilanz und hoffen auf Besserung für die verbleibenden Spiele.”

Ich persönlich kenne alle Aspekte deutscher Fussball-An- und Abreisen. Mein alltäglicher Weg war die Regionalbahn von Bonn-Beuel nach Mönchengladbach-Rheydt, dort der Pendelbus zum Borussiapark, und ebenso wieder zurück. Wie angenehm das ist, entscheidet sich durch den Spielverlauf in der Mitte. Nach einem in der letzten Spielminute verlorenen Heimspiel gegen Mainz 05 hätte mann im Pendelbus eine Stecknadel fallen hören können. Aber dafür war ja zum Glück kein Platz …

Ich bin auch schon mal von einem Daimler (meines Bruders) bis unmittelbar vor die Haupttribüne gefahren worden, um dort vom VIP-Bereich aus das Abschiedsspiel von Uwe Kamps zu verfolgen. Das ist der Kontrast.

Diese Kontraste gibt es auch bei der EM. Der proletarische Teil verstärkt sich dadurch, dass es ausser bei DFB-Spielen ausschliesslich ortsunkundige und von der öffentlichen Verkehrsführung abhängige Auswärts-Fans gibt. Mit denen gehen die örtlichen Autoritäten nicht wie mit Gästen, sondern wie mit den heimischen Prolls um. Die sollen sich mal nicht so anstellen. Das ist der deutsche Gestus. So kennt uns die Welt.

Die Herren der städtischen Ämter und Verkehrsbetriebe, die sich so äussern – die Verantwortlichen aus Bundes- und Landesregierung bleiben lieber unsichtbar und schweigen – sind selbst nie Fahrgast, und wenn doch, dann nie zu diesen Zeiten und Orten. Sie sind eben Bescheidwisser. Fussball kennen sie von der VIP-Tribüne (s.o. Uwe-Kamps-Abschiedsspiel) – oder vom heimischen TV-Sessel. Oder, wenn es ihre Arbeitszeit ist, vom Monitor in ihrer Leitzentrale. Obwohl. da sind sie meistens eher im Weg.

Und nun noch zum Journalismus

Als oberste Spitzenleistung deutschen Nachrichtenjournalismusses gilt rätselhafterweise immer noch die “Tagesschau” um 20 h. Dort war gestern die “Spitzenmeldung”, und das lange vier von nur 15 zur Verfügung stehenden Minuten, das unbedeutendste aller Turnierspiele der DFB-Auswahl. Es ging um nichts Wichtiges, die Qualifikation für die letzten 16 war längst klar, ein Übungsspiel, um die Spannung (des Teams, nicht des Publikums!) aufrecht zu erhalten. Ergebnis: 1:1. Kann also auch nicht der Grund sein (und die Tagesschau kannte es ja noch nicht, sondern sendete Trailerwerbung, damit niemand nach dem Wetterbericht ab- oder umschalte). Heute morgen um 8 eröffneten die WDR-Nachrichten immer noch mit diesem Nicht-Ereignis.

Warum tun die das? Dazugehörenwollen? Selbstbesoffenheit? Staatsräson “Sommermärchen muss gaaanz unbedingt sein!”? Nix anderes zu tun? Sagen Sies mir.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net