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Somnambulismus

Frau Wagenknecht bei Herrn Lanz

Fan von Talkshows bin ich nicht. Mitunter bieten Talkshows überraschende, bizarre Ansichten, sofern man genauem Hinhören während rasch laufender Frage- und Antwort-Situationen eine Chance gibt. Am 27. Juni hatte Markus Lanz eine Diskussionsrunde zusammengestellt, in deren Mittelpunkt die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht stand. Und natürlich drehte sich die Diskussion mit ihr um den Eroberungskrieg der Russischen Föderation in der Ukraine.

Wagenknechts Position in diesem Krieg ist weitgehend bekannt. Weitgehend. Wagenknecht bestreitet keineswegs, dass die Russische Föderation unter Putin den Krieg mit der Ukraine angefangen hat. Sie besteht jedoch auf einem großen oder größeren Maß an Mitschuld des Westens am Kriegsausbruch, sie wirft dem Westen vor, durch Waffenlieferungen den Krieg zu verlängern, vorhandene Friedenschancen und grundsätzlich Russlands berechtigte Interessen missachtet zu haben und fortwährend zu missachten. Sie ging freilich bisher nicht so weit, dem russischen Präsidenten mit einer Art fürsorglichem Verständnis entgegen zu kommen.

Der bisherige Kern ihrer Position: Schuld und Verantwortung dem Westen auferlegen, die Rolle Putins auf den Aggressionsakt konzentrieren und dabei so etwas wie gleichzeitige Distanz zu beiden Seiten, West und Ost zu insinuieren, durchschimmern zu lassen. Einerseits, andererseits. Am Ende tauchte stets der missverstandene Russe, der kriegslüsterne Ami und der irgendwie missratene Ukrainer auf – „the god, the bad an the ugly“. Mit dieser Position wedelte sie sich durch mittlerweile zahllose Diskussionen. Lanz versuchte die Parteigründerin festzunageln, indem er Putins jüngste Position erst referierte, um in der Folge Wagenknecht zu Reaktionen zu provozieren. Putin hatte höchstselbst erklärt, es gebe erst dann Verhandlungen mit ihm über ein Ende des Kriegs, wenn sich das ukrainische Militär komplett aus ganz oder teilweise eroberten Gebieten zurückgezogen und das Land auf eine NATO-Mitgliedschaft verzichtet habe. Klartext: Zuerst Kapitulation, dann miteinander reden.

Spannend wirds dann ab Minute 34 der Sendung: Lanz insistiert darauf, dass Wagenknecht Putins Position bewerte: „Wie soll man das verhandeln?“

Sahra Wagenknecht, die Putins Kapitulations-Bedingung eine „Offerte“ nannte, also ein Angebot, antwortete: Man müsse die Waffenlieferungen an die Ukraine stoppen und dann einen sofortigen Waffenstillstand an den gegenwärtigen Frontlinien anbieten. Auf Lanz’ Widerspruch, das ginge doch nicht, da könne man nichts mehr verhandeln, gerät Sahra Wagenknecht aus ihrem Duktus, sie spürt die Enge ihrer Position, ist offenbar irritiert, antwortet rasch: „Russland hat die Gebiete annektiert, … da kann er doch nicht von sich aus … das würde doch sofort als Schwäche ausgelegt.“ („Er“ – das ist Putin).

Wenn ich den Satz „da kann er doch nicht von sich aus …“ ergänze, könnte er lauten: da kann doch nicht von sich aus – einen Rückzieher machen. Oder: .. seine Truppen zurückziehen. Denn die Ergänzung müsste zu etwas passen, das Putin als Schwäche ausgelegt würde. Viele Möglichkeiten gibt es nicht.

Sahra Wagenknecht merkte während der Auseinandersetzung mit Lanz, wie schwächlich ihre Argumentation klingt, sie fügte hinzu: Putin müsse Rücksicht auf die Stimmung im russischen Volk nehmen, daher könne er sich nicht zurückziehen. Sie relativiert die von Lanz beschriebene Putin-Position. Man habe ja auch schon anderes aus Moskau vernommen. Der Westen solle bitteschön ein Angebot machen: Sofortiges Schweigen der Waffen an den Frontlinien, ohne jede Vorbedingung. Ohne jegliche Vorbedingung, sagte sie.

Ein vergleichbares, auch nur annähernd vergleichbares Verständnis für die Haltung der ukrainischen Bevölkerung gibt es durch Wagenknecht nicht. Sie ist nicht auf Ausgleich von Interessen und auf Beachtung des internationalen Rechts bedacht, sondern auf den Vorteil der russischen, durch Putin verkörperten Seite. Das lässt ein Verstehen weit hinter sich. In der Wissenschaft nennt man das „Somnambulismus“.

Anm.d.Red.: Lesen Sie ergänzend auch Pascal Beucker/Jungle World: “Das autokratische Bündnis – Das Bündnis Sahra Wagenknecht erlebt derzeit ein Umfragehoch, hochrangige CDU-Politiker erklärten, sie könnten sich eine Koalition mit dem BSW auf Länderebene vorstellen. Doch erste Austritte zeigen, woran die Partei scheitern könnte.” Diese Beobachtungen erinnern an Erinnerungen von Ludger Volmer von 2019: “Von Blockierern und Blockadebrechern – Zum Scheitern der Bundesebene der Sammlungsbewegung Aufstehen“.

Über Klaus Vater / Gastautor:

Klaus Vater, geboren 1946 in Mechernich, Abitur in Euskirchen, Studium der Politikwissenschaft, arbeitete zunächst als Nachrichtenredakteur und war von 1990 bis 1999 Referent der SPD-Bundestagsfraktion. Später wurde er stellvertretender Sprecher der deutschen Bundesregierung. Vater war zuvor Pressesprecher des Bundesministeriums für Gesundheit unter Ulla Schmidt, Sprecher von Arbeitsminister Walter Riester, Agentur-, Tageszeitungs- und Vorwärts-Redakteur. Mehr über den Autor auf seiner Webseite.

3 Kommentare

  1. A.Holberg

    Eine Frage: Herr Vater schreibt: “Ein vergleichbares, auch nur annähernd vergleichbares Verständnis für die Haltung der ukrainischen Bevölkerung gibt es durch Wagenknecht nicht”. Wer ist “die ukrainische Bevölkerung”? Sind das die Staatsbürger des ca. seit der Gründung der UdSSR existenten Staates Ukraine oder nur die ethnischen Ukrainer? Welche Haltung nehmen wohl die ethnischen Minderheiten in diesem Land ein, insbesondere die russische Minderheit im Osten und auf der 1954 der Ukraine von der Sowjeregierung geschenkten Krim, die starke russische Minderheit also, die den zweifellos nicht ohne geopolitische Hintergedanken so großzügig von den USA und ihren europäischen NATO-Partnern finanzierten und von rechtsradikalen Kräften, die die ostslawischen Ukrainer als Nachfahren der Wickinger(“Waräger”) betrachten, umgesetzten Maidan-Putsch, abgelehnt haben und diese Haltung dann mit rund 14.000 Toten bezahlen musste? Ja, und welche Haltung nimmt wohl die Mehrzahl jener wehrfähigen Ukrainer ein, die es vorgezogen haben, dem vermeintlichen Kampf um die Freiheit ihres Landes die Flucht gen Westen vorzuziehen? Ist es nicht so, dass die Gerechtigkeit es verlangt, dass Russland das Recht der benachbarten Völker auf Selbstbestimmung akzeptiert, also das Recht der in der Ukraine Lebenden, sich zu entscheiden, ob sie im Staat “Ukraine” leben oder nicht und z.B. in der “”Russischen Föderation”. Ein solches Recht sollte doch jeder anerkennen, der z.B. den Völkern des ehemaligen Jugoslawiens oder den Kurden oder den Sahrauis dieses Recht zugesteht, oder gilt das nicht, wenn “unsere” geopolitischen Interessen (d.h. das Interesse auf “unsere” weltweite Vormachtstellung) berührt sind? Und ist es nicht nachvollziehbar, dass ein Land. das die staatliche Unabhängkeit eines Nachbarvolkes anerkennt, es damit noch keineswegs akzeptiert, wenn dieses dann ihr Territorium für ein militärisches Vorrücken traditionell feindlicher Kräfte (in diesem Fall der NATO) zur Verfügung stellt?

    • Martin Böttger

      Autor Klaus Vater bat mich um Weiterleitung dieser Stellungnahme:
      Lieber Kommentar-Autor, es ist schwierig, Ihnen sachbezogen zu antworten, weil ich keine überprüfbaren und dann Ihre Position stützende Quellen finde. Ich möchte das am Beispiel erläutern. Sie schreiben:….”die starke russische Minderheit also, die den zweifellos nicht ohne geopolitische Hintergedanken so großzügig von den USA und ihren europäischen NATO-Partnern finanzierten und von rechtsradikalen Kräften, die die ostslawischen Ukrainer als Nachfahren der Wickinger(“Waräger”) betrachten, umgesetzten Maidan-Putsch, abgelehnt haben und diese Haltung dann mit rund 14.000 Toten bezahlen musste?”

      Dafür gibts nur eine seriöse Quelle: Nation, Katrina vanden Heuvel, in TP vom Febraur 24 wiedergegeben. Katrina stellt diese 14000 aber in den Zusammenhang, dass damit alle seit 2014 in der Ostukraine Gefallenen gemeint sind. alle – beider Seiten. Ich vermisse eine Quelle für Ihre Darstellung der Maidan-Kräfte, für Ihre Behauptungen bezüglich ethnisch russischer Menschen etc. Alle ernsthafte Wahlen geben nicht her, was Sie behaupten. Ich bin gerne bereit, mit Ihnen auszutauschen, auch zu streiten, freilich nur auf der Grundlage überprüfbater Quellen. Dank und Gruß KV

  2. w.nissing

    Autoren unterwerfen sich mit ihrer Phantasie und ihren Kenntnissen, ihrem Wissen der Bewertung durch andere. Das ist ein beinahe unwiderstehlicher Reiz. Zitat von Ihrer Web

    Ja den haben sie aber jetzt bei mir ausgereizt 🙂 .
    Sie suchen Quellen: Ralph Bosshardt wäre eine (Ex Nato Ex OECD usw), Emmanuel Todd bezüglich Gesellschaftsstruktur, vom Maidanputsch gibt es sogar ÖR Sachen….
    Ihren Einlasssungen nach zu Urteilen vermute ich aber das meine Einlassung vergebliche Mühe ist.

    Somnambulierend

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