Nein, es geht mir nicht um Altersdiskriminierung. Mein Bruder ist zwei Jahre älter als Biden, geistig klar und doppelt so fit ohne Ausfälle. Es geht um die Würde des Amtes und derjenigen, die sich darum bemühen. Das Schweizer Fernsehen hat es sehr schön auf den Punkt gebracht, indem es die Bewohner*innen eines Altenheims und Politiker im Ruhestand um eine Kommentierung des Duells Biden/Trump gebeten haben.  Das Ergebnis war eindeutig: Erfahrung ist ein Plus, aber sie muss auch von ihrem Inhaber umgesetzt werden können. Daran gibt es nach dieser Diskussion bei beiden Kandidaten Zweifel. Eine ganze Nation – sieht man mal von den jeweiligen Wahlkampfteams und dem Kern der Aktiven ab – wälzt sich derzeit vor dem Einschlafen hin und her mit der Frage, dass sie weder den einen, noch den anderen wählen wollen und verzweifeln am US-Wahlsystem, das ihnen die Wahl zwischen Pest und Cholera aufoktroyiert.

Es ist wohl einmalig, dass nach einer US-Wahkampfdiskussion die US-amerikanische und die internationale Öffentlichkeit in einer Art und Weise über die Kandidaten, vor allem über Joe Biden diskutiert, die zwischen despektierlich und defätistisch schwankt. Die US-Demokraten sind in Panik, diskutieren hinter vorgehaltener Hand über Alternativen zu Biden. Da wären die unpopuläre Vizepräsidentin Camala Harris, Gretchen Whitmer und ein paar Demokraten aus der zweiten Reihe. Sie alle trauen sich nicht, etwas gegen den Chef zu sagen – die Situation erinnert an die Mechanismen, die der Manager Lee Iacocca in den Vorstandsebenen von Großunternehmen beschrieb. Alle wissen, dass es so nicht weitergeht, aber alle berichten an die Spitzenmanager nur, was sie glauben, dass diese hören wollen. Bei Trumps despotischem Herrschaftsstil mag das niemanden verwundern, bei den Demokraten muss das um so mehr verblüffen. Ihr König steht unbekleidet auf der Bühne und niemand traut sich, es ihm zu sagen. Seine Frau könnte es, sie bestärkt ihn aber wohl eher im Irrtum, alles weiter managen zu können. Obama und vielleicht Nancy Pelosi könnten es, aber sie trauen sich (noch) nicht. Dabei müssen alle wissen, dass in Sachen Kandidatur jeder Tag zählt und diese Linie nur im Desaster enden kann. Denn bei aller Wertschätzung der Persönlichkeit und Erfahrung Joe Bidens, die er als “Elder Statesman” gewinnbringend für die Demokraten einsetzen könnte, muss er erkennen, dass seine Zeit unwiderruflich zuende ist.

Alte Männer und Frauen können regieren, wenn sie klar bei Verstand sind

Konrad Adenauer war bei der Bundestagswahl  1957, als er die absolute Mehrheit für die CDU erreichte, 81 Jahre alt und regierte bis 1963. Er war bis zuletzt mit 87 Jahren kämpferisch, gerissen, überstand die “Spiegel-Affäre” 1962, aber er war viel weniger gefordert, als ein Joe Biden im 21. Jahrhundert und gab sich öffentlich keine Blöße. Golda Meir war israelische Ministerpräsidentin unter der ständigen Gefahr von Krieg und Terrorismus  noch mit 76 Jahren. Beide haben außergewöhnliche Belastungen ihres Amtes souverän gemeistert. Dass Joe Biden, der Politik am Rande eines Krieges in der Ukraine machen muss, der leicht eskalieren und einen Weltkrieg entfachen und ebenso in einem Desaster der Unglaubwürdigkeit des Westens enden kann, jederzeit voll handlungsfähig sein muss, versteht sich von selbst. Dass sein Gegenkandidat gesundleitlich zwar einen besseren Eindruck macht, aber ein politischer und verfassungsrechtlicher Rohrkrepierer wäre und für die US-Demokratie und die demokratische Staatengemeinschaft den Sargnagel der autoritären Oligarchien in Ost UND West bilden könnte, liegt auf der Hand. Beide Kandidaten vermitteln auf unterschiedlicher Weise mitnichten, dass sie bei klarem Verstand wären. Der eine mit notorischem Lügen, der andere mit Selbstbetrug über seine Gesundheit.

Archaische Signale spielen eine Rolle

Wiederholt habe ich in ähnlichen Fällen darauf hingewiesen, dass es neben der verbalen immer eine non-verbale Ebene der Kommunikation gibt, die viel direkter wirkt, als politische Akteur*inn*e*n glauben. Trump etwa scheint dergleichen zu ahnen, denn seine archaischen, oft unbewussten, aber Gewalt oder Mißachtung ausstrahlenden Gesten sind seine Stärke und Schwäche zugleich. Er polarisiert, bindet damit Jünger an sich und ekelt Kritiker weg. Joe Biden versuchte die ganze Amtszeit über durch Lockerheit zu beeindrucken, stolperte aber im wahrsten Sinne des Wortes über seine Gebrechlichkeit und seine Konzentrationslücken. Beides sind aber auf der Ebene der unterschwelligen, unbewussten Vertrauensbildung mangelhafte Tugenden. Archaische Rudelführer sind nur dann anerkannt, wenn ihnen zugetraut wird, jederzeit handeln, zuzuschlagen, sein Rudel, die Nation, verteidigen zu können.  [Exkurs: Das ist auch das Problem von Kanzler Olaf Scholz: Er erklärt viel, spricht kluge Worte, aber er vermittelt keine Sicherheit, keine Leidenschaft, er brennt für – nichts.] Wer sich in Körpersprache und nonverbaler Kommunikation auskennt, wird das teilen. Ich gehe noch einen Schritt weiter und zitiere eine renommierte Western-Pferdetrainerin: “Wir Menschen sind kommunikativ zu 70% Tiere, wir machen uns das nur nicht klar”.

Helmut Schmidt als Role-Model Kompetenz

Wer Auftritte von Bundeskanzler Helmut Schmidt aus den 70er Jahren betrachtet, sein Agieren in Diskussionsrunden mit Helmut Kohl etwa, wird erkennen, dass er mit Aggression, Frechheit und intellektueller Arroganz, die an persönlicher Herabwürdigung grenzte, seinen Widersacher Kohl in Schach hielt, der dagegen keinerlei Argumente aufbieten konnte, als weinerliches Selbstmitleid und das Lamentieren über den bösen politischen Gegner – höchst unattraktiv, signalisiert es doch auf der archaischen Wahrnehmungsebene Unterlegenheit. Kohl benahm sich wie ein beleidigter pfälzischer Ortsbürgermeister, während Schmidt den weltläufigen Ökonomen gab, der sogar dem damaligen US-Präsidenten und provinziellen Erdnussfarmer Jimmy Carter Nachhilfe in Weltpolitik erteilte. Schmidt hat man das so abgenommen, dass er noch jahrelang nach seiner Kanzlerschaft weltweit Vorträge als “Elder Statesman” über Weltökonomie hielt – im Gegensatz zu Friedrich Merz kompetent und nicht von einem Konzern angestellt.

Ein handlungsfähiger Präsident?

Biden ist nicht mehr umfänglich handlungsfähig. Er hat nicht schnell genug reagiert, kündigt nun Gespräche mit Senatoren und Gouverneur*inn*en an, hechelt damit aber seiner eigenen Handlungsfähigkeit hinterher. Natürlich ist es zu begrüßen, dass er Gespräche führt, aber er sollte lieber seine Nachfolge ordnen. Denn eine junge Nachfolgerin, die jetz oder spätestens auf der Convention der Demokraten im August gekürt würde und vom “Elder Stateman”  Biden im Wahlkampf aktiv unterstützt würde, wäre ein  unglaublich solides und umfassendes Symbol für eine Kandidatur für das demokratische US-Amerika gegen Donald Trump. Biden hat den Schlüssel in der Hand, von seinem Rückzugsposten aus den Widerstand und den endgültigen Wahlkampf gegen Trump solide zu stärken.

Eine handlungsfähige Regierungsperson

Was die Demokraten in den USA nun brauchen, ist mehr als eine neue Kandidatin statt des angeschlagenen Biden. Die Person muss mehr darstellen, als die glück- und profillose Kamala Harris.  Gretchen Withmer wäre eine Kämpferin für Demokratie und Wahrheit. Sie oder andere starke Frauen der  Demokraten wären die richtige Alternative zu Lügenkönig Donald Trump. Noch ist nicht klar, wer sich hier herausmendeln könnte. Der Markt öffnet sich in gleichem Maße, wie die US-Regierung unter Biden dementiert. Er ist der unzweifelhaft der integrierte “Elefant im Raum.”

 

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net