von Rainer Bohnet

Ein Brief der Bundesregierung an die EU-Kommission elektrisiert die Republik. Kostenloser ÖPNV in Bonn, Essen, Mannheim und einigen kleineren Städten als Mittel gegen drohende Dieselfahrverbote verbunden mit hohen finanziellen Strafzahlungen.

Der Gedanke, in einen Bus oder in eine Bahn jederzeit ohne Ticket einzusteigen, ist faszinierend. Wer jetzt noch mit dem Auto fährt, ist entweder total bescheuert oder gedankenlos. Die Euphorie ist verständlich, die Lokalpresse veröffentlicht Statements und Leserbriefe, WDR 5 diskutiert zur Mittagszeit mit Höhrern aus ganz NRW, die betroffenen Oberbürgermeister zucken erschrocken zusammen, die Chefs der Verkehrsunternehmen verfluchen den Rettungsversuch der geschäftsführenden Bundesregierung, und jeder Fahrgast in einem vollen Bus oder einer vollen Bahn denkt: “Wenn das hoffentlich gut geht.”

Selbstverständlich haben sich die beiden Ministerien und das Kanzleramt mit Detailplanungen bisher nicht befasst. So liegen z.B. Bonn, Essen und Mannheim in Ballungsräumen und jeweils innerhalb eines Verkehrsverbundes. Es wird kaum funktionieren, innerhalb eines Ballungsraums und innerhalb eines Verkehrsverbundes quasi eine Insel zu definieren, in der man sich kostenfrei bewegen kann. Denn durch die großen Pendlerströme und die vielfältigen Verflechtungen zwischen Stadt und Umland muss es grenzüberschreitende Lösungen geben. So sollte z.B. nicht nur Bonn, sondern mindestens auch der Rhein-Sieg-Kreis in die Gratiszone einbezogen werden. Im Ruhrgebiet ist das noch komplexer, weil die unmittelbaren Nachbarstädte von Essen allesamt Großstädte sind. Und der Ballungsraum Rhein-Necker umfasst neben Mannheim die Nachbarstädte Ludwigshafen und Heidelberg.

Die Finanzierung erscheint hingegen durchaus möglich zu sein. Der Finanzbedarf für den kompletten deutschen ÖPNV liegt jährlich bei rund 12 Mrd. EUR. Wenn man z.B. die Subventionierung des Dieselkraftstoffs endlich abschafft und hierdurch die freiwerdenden 8 Mrd. EUR in den ÖPNV umleitet, blieben nur noch 4 Mrd. EUR übrig, die der Haushalt der Bundesrepublik Deutschland locker stemmen könnte.

Der dritte Themenkomplex betrifft den Ausbau der infrastrukturellen und personellen Ressourcen bei den Verkehrsunternehmen. Sie müssen fit gemacht werden, damit sie dem gewünschten Fahrgastansturm gewachsen sein werden. Denn wenn zeitgleich zur Veröffentlichung des Briefs der Bundesregierung in Bonn die Straßenbahnlinie 61 wegen fehlender Bahnen auf Busersatzverkehr umgestellt werden muss, wird es dramatisch, weil systemische Fehlplanungen und Fehlinvestitionen zutage treten, die mir die Zornesröte ins Gesicht treiben.

Schnellschüsse alleine werden allerdings nicht nachhaltig sein. Denn der private Autoverkehr muss unabhängig von der Antriebsform (Diesel, Benzin, Elektro, Gas, Hybrid, Brennstoffzelle) signifikant eingedämmt werden. Und auf der Gegenseite fehlt es am dringend notwendigen Aus- und Neubau von Schienenstrecken, neuen S-Bahnen, neuen Straßenbahnen, der Elektrifizierung von Eisenbahnstrecken wie der Voreifelbahn, und der Bau einer Seilbahn vom Venusberg über den UN-Campus und Beuel bzw. Holtorf. Und um den Schienenverkehr insgesamt wettbewerbsfähiger zu machen, sollte die Bundesregierung eine Reduzierung der Trassenpreise in Erwägung ziehen.

Allein aus Klimaschutzgründen ist die Verkehrs- und Energiewende alternativlos. Wenn der Probelauf für einen kostenfreien ÖPNV hierfür die Initiatialzündung ist, wäre das politisch zu begrüßen. Denn leider passiert ohne Eskalationsstufe nichts, wie der Ausstieg aus der Atomenergie nach dem GAU in Fukushima deutlich zeigte.

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