Bonn wächst, der Rhein-Sieg-Kreis wächst, Köln wächst. Eigentlich positiv. Aber wo können neue Wohnungen gebaut werden? Und warum haben rund 50 Prozent aller Bonnerinnen und Bonner große Schwierigkeiten, eine bezahlbare Wohnung zu finden? Die Hälfte der Bonner Bevölkerung hat Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein und damit steht ihnen eine mit öffentlichen Geldern finanzierte Wohnung zu.

Der dringend notwendige Neubau von Wohnungen trifft allerdings überall auf erbitterten Widerstand. “50 % aller Bonnerinnen und Bonner werden für unerwünscht erklärt,” kritisiert Jean-Pierre Schneider, Vorstand der Bonner Caritas. Er bezieht sich auf Bürgerinitiativen und renitente Anwohner*innen, die sich mit allen Mitteln gegen den Bau von Sozialwohnungen zur Wehr setzen. Auf der anderen Seite gibt es z.B. im Tannenbusch und in Medinghoven überproportional viele preiswerte Wohnungen, in Röttgen hingegen so gut wie keine. Das ist ein soziologisches Problem mit gesellschaftspolitischem Sprengstoff, vor allem dann, wenn eine Kommune im Rhein-Sieg-Kreis erklärt, in ihrem Gebiet keinerlei Sozialwohnungen zuzulassen.

Es gibt noch ein weiteres Konfliktfeld, nämlich den Schutz von Natur und Umwelt. Dort wo große Wohngebiete neu entstehen sollen, wie z.B. auf dem Gelände der ehemaligen Landwirtschaftskammer in Roleber, werden von Investoren und den Planungsämtern Flächen planerisch verfrühstückt, die unter Naturschutz stehen, unmittelbar an sensible Flächen grenzen und Naherholungsgebiete gefährden. Und obwohl eine integrierte Planung eigentlich Standard sein sollte, finden aufkeimende Verkehrsaspekte wie eine adäquate öffentliche Anbindung an Busse und Bahnen, ein erhöhter Bedarf an Kitas und Schulen oder auch Kapazitätserweiterungen bei der Wasser- bzw. Abwasserver- bzw. -entsorgung oftmals erst nachrangig Berücksichtigung, vor allem ohne die dringend notwendige Transparenz für die Bürger*innen. Dieses Szenario provoziert geradezu Ablehnung und Skepsis. Und sollte der Investor oder die Stadt das Neubauprojekt im Hau-Ruck-Verfahren realisieren und damit Fakten schaffen, muss man sich nicht wundern, wenn diese Fälle vor Gericht landen. Mit der zwangsläufigen Konsequenz jahrelanger Verzögerungen.

Die Lösung für diesen gordischen Knoten kann nur lauten, einen möglichst großen Konsens zwischen den Beteiligten herzustellen. Dazu bedarf es von Anfang an einer integrierten Gesamtplanung, die alle Aspekte des Wohnungsbaus, der Verkehrsanbindung, der öffentlichen Infrastruktur sowie des Natur- und Umweltschutzes einbezieht und berücksichtigt. Darüber hinaus ist bei der Ausweisung neuer Wohngebiete die zwingende Kooperation zwischen den benachbarten Gebietskörperschaften unabdingbar, da sowohl das Oberzentrum Bonn als auch der Rhein-Sieg-Kreis vor der Zukunftsfrage stehen, möglichst viel bezahlbaren Wohnraum rasch zu schaffen und die verfügbaren Flächen immer rarer werden.

Die Verfügbarkeit von Grundstücken, die sich im Eigentum der Städte und Gemeinden befinden, ist eine weitere entscheidende Rahmenbedingung. Denn es dürfte bekannt sein, dass private Wohnungsbaufirmen, die kapitalkräftige Finanzkonzerne sind, nur wenig Interesse am Bau öffentlich geförderter Wohnungen zeigen. Deshalb macht es Sinn, städtische Grundstücke grundsätzlich nicht zu veräußern und sogar private Flächen durch die öffentliche Hand zurückzukaufen. Dieses Modell praktiziert die Stadt Ulm sehr offensiv und erfolgreich und realisiert hierdurch öffentlich finanzierte Wohnungen mit Sozialbindung in der Innenstadt im Schatten des Ulmer Münsters.

Aber warum muss immer völlig neu gebaut werden, da der sogenannte Flächenfraß und die Versiegelung der Natur dramatische Dimensionen erreichen, vor allem in den prosperierenden Großstädten und Ballungsräumen? Wenn man mit offenen Augen durch die Städte geht oder fährt, sieht man überall Bestandsgebäude, auf deren Dächern ohne großen Aufwand noch ein oder zwei zusätzliche Stockwerke gebaut werden könnten. Oder es gibt Ecken, die sich einer gesteuerten Stadtplanung völlig entziehen konnten. Dort stehen Hütten oder andere wenig zweckdienliche Gebäude. Es wundert daher kaum, dass z.B. die großen Discounter Aldi, Lidl & Co. planen, ihre schlichten uniformen Verkaufstempel durch Neubauwohnungen im ersten und/oder zweiten Stock aufzuhübschen. Davon versprechen sie sich schnellere und unkomplizierte Genehmigungsverfahren.

Wir dürfen keine Zeit verlieren. Denn der Druck durch den Bevölkerungszuwachs wird täglich größer. Und wenn es uns gelingt, die Natur weitgehend zu schützen und mit der Bevölkerung eine größtmögliche Akzeptanz zu erzielen, wäre sehr viel gewonnen.

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