von Monika Sieverding
Achtung: Zu viele Informationen über Corona können Ihrer Gesundheit schaden! – Corona-Berichte 24/7? Unsere Autorin ist Professorin für Gesundheitspsychologie und rät dazu, im alltäglichen Informationskonsum sehr wählerisch zu sein.
Die Corona-Epidemie hat uns nun seit mehr als einem Jahr im Griff und es ist kein Ende abzusehen. Es gibt täglich oder besser gesagt: stündlich neue Informationen und Berichte in den Medien über das Coronavirus und über die Versuche, die Situation in den Griff zu bekommen. Die Zeitungen sind voll mit aktuellen Zahlen zur Inzidenz, zu den belegten Betten auf Intensivstationen, zu Mortalitäts- und Impfraten, zu lokalen, regionalen, nationalen, internationalen Maßnahmen, Erfolgen und Rückschlägen bei Versuchen zur Eindämmung des Virus.
Es werden Expert:innen und Betroffene interviewt, aktuelle Forschungsbefunde vorgestellt, Berichte über Politiker:innentreffen und politische Entscheidungen geschrieben. Es wird über die Situation von Menschen im Lockdown, über die Umsetzung der Impfkampagne sowie über die Erfolge und Nebenwirkungen von verschiedenen Impfstoffen berichtet. Fast täglich gibt es Sondersendungen im Fernsehen, in Talkshows wird fast nur noch über das eine Thema diskutiert. Corona-Informationen: 24/7.
Von Vermeidern und Vigilanten
Neben den klassischen Medien Zeitungen, Fernsehen und Radio gibt es inzwischen auch die sozialen Medien wie Facebook oder Twitter, die ständig vermeintlich Neues bieten. Aber welches Maß an Informationen ist angemessen? Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten, denn der Informationsbedarf hängt auch von der Persönlichkeit ab. Es gibt Menschen, die in Krisen und bei Gefahr lieber nicht so genau wissen wollen, was alles passieren kann und was das für sie persönlich bedeuten würde, man nennt diese Menschen auch „Vermeider“. Und dann gibt es Menschen, die bei Gefahr alles ganz genau wissen wollen, das sind die „Vigilanten“ oder „besonders Aufmerksamen“.
Diese wollen etwa vor einer Operation wissen, wie die Operation durchgeführt wird, wie viele vergleichbare Operationen an diesem Krankenhaus schon durchgeführt wurden, was alles passieren kann, mit welchen Nebenwirkungen sie rechnen müssen. Und es gibt natürlich viele Menschen, die irgendwo dazwischen liegen und entweder vermeiden oder aktiv nach Informationen suchen, je nach Situation.
Aber unabhängig von der Persönlichkeit – gibt es ein empfehlenswertes Maß an Informationen? Es ist sicherlich nicht zielführend, den Kopf in den Sand zu stecken und die Corona-Epidemie und wichtige Informationen zur Verbreitung oder Eindämmung des Virus vollkommen zu ignorieren. Aber kann man sich auch zu viel informieren? Oder anders formuliert: Können zu viele Informationen eine Gefahr für die psychische und körperliche Gesundheit sein?
In einem Artikel für die einschlägige wissenschaftliche Zeitschrift „Health Psychology“ hat – zu Beginn der Corona-Pandemie, also im März 2020 – eine Autorinnengruppe aus Kalifornien um Dana Rose Garfin Forschungsergebnisse aus früheren Gesundheitskrisen (wie Ebola oder die Schweinegrippe) oder anderen kollektiven Traumata (wie Terroranschlägen) zusammengetragen. Sie zeigen auf, dass übermäßiger Konsum von Medienberichten über Krisen wiederholt zu negativen Konsequenzen geführt hat.
Stärkere Symptome nach zu viel Fernsehkonsum
Hier einige Beispiele: Menschen, die unmittelbar nach den Terroranschlägen vom 9. September 2001 überdurchschnittlich viele Stunden lang Fernsehberichte über die Angriffe angesehen haben, litten anschließend häufiger unter posttraumatischen Stresssymptomen und hatten zwei bis drei Jahre später häufiger neue körperliche Beschwerden wie kardiovaskuläre Symptome entwickelt (im Vergleich zu Personen mit unterdurchschnittlichem Fernsehkonsum).
Die Arbeitsgruppe um Garfin hat in eigenen Studien die Auswirkungen der Berichterstattung der Bombenattentate bei dem Boston-Marathon 2013 untersucht. Es wurde ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Medienkonsum und akuten Stresssymptomen nachgewiesen. Eine Teilgruppe von Personen, die in besonders exzessiver Weise Fernsehberichte über das Boston-Attentat angesehen hatte, litt anschließend sogar unter stärkeren Stresssymptomen als Personen, die bei den Anschlägen unmittelbar dabei gewesen waren.
Woher rühren diese negativen Folgen? Ein wesentlicher Wirkmechanismus wird darin gesehen, dass sich die Bedrohungswahrnehmung erhöht und dadurch ein „Kämpfe oder flüchte!“-Stress-Modus aktiviert wird, der zu psychischen und körperlichen Problemen führen kann. Erste Studien sind bereits der Frage nachgegangen, ob die Vorhersage von Garfin und Kolleginnen zutrifft, auch zu hoher Medienkonsum zum Thema Coronavirus könnte der Gesundheit schaden. Bisher liegen zu dieser Fragestellung vor allem Querschnittstudien vor, in denen Medienkonsum und psychische Symptome zum selben Messzeitpunkt erfasst wurden, weshalb man eine umgekehrte Wirkung (ängstliche und gestresste Menschen suchen mehr Informationen über die Corona-Epidemie) sowie eine Wechselwirkung nicht ausschließen kann.
Je mehr Medienkonsum zu Covid-19, desto höher das Stresslevel
Studien aus China, USA und Russland kommen dabei übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass hoher beziehungsweise exzessiver Medienkonsum mit erhöhten Ausprägungen von Stress und Angst einhergeht: „Je mehr Medieninformationen zu Covid-19 man sich aussetzt, desto gestresster wird man sich fühlen“ (Yao 2020). Hao Yao untersuchte diesen Zusammenhang als einer der ersten in einer kleineren Studie in China mit 300 Personen. Er fand eine klare Dosis-Antwort-Beziehung: Je mehr Stunden pro Tag die Teilnehmer:innen Medienberichte zum Coronavirus konsumierten, desto höher waren ihr Stresslevel und ihr Angstniveau. (Der mittlere Medienkonsum-Wert lag bei vier Stunden am Tag.)
Das Team um Kira Riehm von der John Hopkins University in Baltimore untersuchte den Zusammenhang in einer repräsentativen Stichprobe mit mehr als 6000 Personen in den USA und kam zu dem gleichen Ergebnis. Sie berichten, dass nicht nur die überdurchschnittliche Nutzung von sozialen Medien, sondern auch die häufige Nutzung von traditionellen Medien jeweils mit erhöhtem psychologischen Stress assoziiert waren. Noch größer war die Stichprobe in einer russischen Studie einer Arbeitsgruppe um Daniel Munblit, an der mehr als 23.000 Personen teilnahmen. Nach Kontrolle der Ausgangs-Angstwerte zeigte sich ein starker Zusammenhang zwischen der Zeit, die Menschen Informationen über Covid-19 verfolgten und ihren Angstwerten, die im Durchschnitt deutlich über den Normwerten lagen.
Der Medienkonsum zu Covid-19 sollte klar begrenzt werden
Im Vergleich zu Personen, die 30 Minuten oder weniger am Tag Covid-19-bezogene Nachrichten konsumierten, stiegen die Angstwerte mit dem täglichen Medienkonsum kontinuierlich an und waren am höchsten bei den Personen mit drei Stunden oder mehr Medienkonsum zu Covid-19 am Tag. Es fehlen natürlich noch die Erkenntnisse über langfristige gesundheitliche Folgen eines erhöhten Corona-Medienkonsums.
Dennoch: Die Ergebnisse aus den früheren und aktuellen Studien legen nahe, den Medienkonsum zu Corona und Covid-19 sehr bewusst auszuwählen und klar zu begrenzen. Man muss nicht jeden ARD-Brennpunkt und jede Talkshow zu diesem Thema verfolgen, vor allem, da dort häufig die immer gleichen Themen wiedergekäut werden. Vielleicht wäre es eine gute Strategie, sich morgens über den aktuellen Stand zu informieren, abends ein Update zu erhalten und ein- oder zweimal in der Woche vielleicht zusätzlich noch etwas zu vertiefen. Als Gesundheitspsychologin würde ich empfehlen: Seien Sie wählerisch. Tun Sie etwas für Ihre Gesundheit und konsumieren Sie nicht mehr als eine Stunde Informationen am Tag!
Monika Sieverding ist Psychologie-Professorin an der Universität Heidelberg und leitet dort die Arbeitseinheit Genderforschung und Gesundheitspsychologie. In einem aktuellen Projekt geht es um die Bereitschaft, sich gegen Corona impfen zu lassen sowie um Geschlechterunterschiede in dieser Bereitschaft.
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