In den öffentlichen Debatten um die Coronakrise ist es einer der “schwersten” Vorwürfe: “Spaltung der Gesellschaft!” Es gab in meinem langen Leben Phasen, da hätten die meisten mir ähnlich gesinnten geantwortet, manche Lehrer*innen mussten sich das von uns anhören, oder wir raunten es zumindest zu den Sitznachbar*inne*n: “Heul’ doch!” War das nur Ruhrgebiets-Folklore? Das kann ich verneinen: bereits 1976 zog ich fort, ins Rheinland. Von Kräften, die sich hegemonial dünken, wird es dennoch versucht: Andersmeinende auf diese Weise auszugrenzen. Billiger gehts halt nicht. Streit wird als gefährlich angesehen. Er ist es nicht. Streiten im Denken und Diskutieren ist ein notwendiger Bestandteil der Demokratie, insbesondere auch der als besonders fies geltende Parteienstreit. Wenn es ihn nicht mehr gibt, ist die Demokratie zuende.
Spaltung kann sogar sinnvoll sein. Ich habe es z.B. 1982 mit ein paar tausend weiteren mit der FDP versucht. Hat leider nicht geklappt. Viel wäre unserem Land erspart geblieben, worunter wir heute noch leiden.
Besonders Wehleidige kämpfen um die Opferrolle. “Mann darf das ja nicht mehr sagen, aber …” Genauso Quatsch. Mann darf (fast) alles sagen – nur keine Frauen und Kinder verprügeln (seit 2000, die Gesetzesänderung haben viele verpasst). Es gibt nur kein Grundrecht auf keinen Widerspruch. Wer in den Wald hineinpfeift, darf Wind ernten. Wer davon umfällt, kann das Pfeifen freiwillig sein lassen – eigene Entscheidung. Ja, das ist anstrengend, mit kleinem Hirn so viel zu denken vor dem schwätzen. Das zu lernen, dafür ist die Einrichtung Schule erfunden worden.
Um das nun auf die Coronakrise zu übersetzen. Kölner*innen wussten mit als erste, wie das Virus die Spaltungen ihrer Stadt sichtbar gemacht hat. Es hat sie nicht verursacht. Das war die Politik dieser Bundesregierung, sowie ihrer zahlreichen nicht besseren Vorgängerinnen. Wenn diese Frage zum Gegenstand des Bundestagswahlkampfes werden sollte, dann wäre das ein Kollateralnutzen des Virus. Wenigstens das.
Denn es liesse sich darüber hinaus philosophieren, dass das Virus die Fratze des deutschen Standortchauvinismus hinter Merkels Gesicht für alle sichtbar gemacht hat. Die Bundesregierung verteidigt das Patentrecht gegen globale Massenimpfungen, weil sie bei der überteuerten Version von Pfizer/Biontech, so einer Art Impf-Nato, glaubt eine globale Spitzenstellung gegen China u.a erobert zu haben, und auf Leben und Tod – leider in diesem Falle keine dramatisierende Übertreibung – verteidigen zu müssen.
Das, mit Verlaub, ist spaltender als es sich irgendjemand hätte ausdenken können, und reiht sich fast bruchlos in die schlechtesten deutschen Traditionen ein. Wer ein “Robert-Koch-Institut” betreibt, weiss genau, was ich meine.
Besteht nun Aussicht, dass solche Spaltungspolitik von der öffentlichen Meinung hinweggefegt wird? Davon träume ich (ist auch nicht verboten). Angesichts fehlender linker Medienpolitik kann ich das noch lange träumen. Das offen und ehrliche Handelsblatt als Organ von Herrschenden verbarrikadiert seine Analysen ebenso in einer Paywall, wie in wenigen Tagen die sich nicht namentlich zeigenden und ihre Texte linkfrei gestaltenden Kolleg*inn*en von German-Foreign-Policy.com. So lange darf in Indien, Brasilien, der Mehrheit der Länder und Staaten dieser Welt, weitergestorben werden und das böse Virus weiter mutieren, um die Profite der Patente auf immer und ewig sprudeln zu lassen. Oder eben, je nach Marktlage 12-20 €/Person an Pfizer abdrücken: so viel muss Ihnen Ihr Leben doch wert sein. Und es ist ja für einen guten Zweck: deutsche Industrie-Werte. Was gibt es Edleres auf der Welt?
Update 13.5.: während die oben verlinkte German-Foreign-Policy-Analyse in Kürze in einem Paywall-Archiv verschwinden wird, gibt es jetzt in der Jungle World/Johammes Simon eine gute, der das nicht droht.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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