Was ist nur aus dem klugen Integrationsminister der NRW-Landesregierung Rüttgers geworden? Wie konnte er beim Karrieremachen so abstürzen? Vergleichbar mit seinem Beichtvater im Geiste, dem Kardinal, der im Kölner Dom befiehlt. Aus der damaligen Landesregierung war viel Schlechtes zu vernehmen, aus dem Laschet-Ministerium dagegen viel Gutes. Der Chef sei beratbar. Er hat das Haus nicht von Sozialdemokrat*inn*en gesäubert, sondern auf Fachkundige unter ihnen sogar gelegentlich gehört. Dadurch war ihm die integrationspolitische Basisarbeit in den Kommunen nicht durchgehend fremd. Welch ein Kontrast zu heute. Und zu Frau Baerbock.
Die wird zwar, wie es derzeit aussieht, so wenig Bundeskanzlerin, wie er Kanzler. Aber sie wird bei der Weiterentwicklung dieser Republik noch eine wichtige Rolle spielen. Bei der Bonner Kundgebung mit ihr war gestern natürlich nichts Neues oder gar politisch Verbindliches zu hören. Sie spielte ihren Auftritt routiniert – und fehlerlos! – ab, mit gut dosierter Empathie. Die Sympathie zwischen ihr und dem grossen Publikum war gegenseitig. Das Publikum war für mich der interessantere Teil. Die Kapazität der real existierenden Hallen in dieser Stadt hätte es klar gesprengt. Das Durchschnittsalter war niedrig, die Aufmerksamkeit hoch, der Optimismus (erstaunlich) gross. Baerbock teilte die Bühne mit einer Medizinerin in Ausbildung aus Aachen, die in den “-for Future”-Bündnissen aktiv ist, und einen rhetorisch genauso geschliffenen und inhaltlich verbindlicheren Vortrag lieferte. Ihr wurde die gleiche Aufmerksamkeit des Publikums zuteil, wie ihrer Starrednerin zuvor. Erst danach verlor die Veranstaltung an Spannung, weil der TV-gerechte moderatorenartige Auftritt Hirschhausens der kommunikativen Situation eines vollbesetzten Münsterplatzes nicht gerecht werden konnte. Die Bonner Grünen, die gerüchteweise ihrer Bundespartei dafür einen namhaften Euro-Betrag abdrücken mussten, dürfen den Abend als “hat sich gelohnt” verbuchen.
“Warum so spät?” – Die Abba-Platte
Wie furchtbar dagegen die Laschet-Rohrkrepierer. Die Sache mit seinem Team. Der Karikaturist der taz lästert heute: “Warum so spät?” – “Was, Laschets Team?” – “Nein, die neue Abba-Platte.” Diese Teamnominierung hat die gleiche Bedeutung wie der 2:0-Auswärtssieg der DFB-Elf in …, das Ding mit der Burg da, zwischen der Schweiz und Österreich. Für die Bundestagswahl weniger bedeutend als irgendein Sack Reis, einzig zu dem Zweck, von der eigenen Partei nicht schon vor der Wahl abgesägt zu werden.
Noch gestriger die Angstmacherei vor … ja tatsächlich … Olaf Scholz. Wer soll den ernsthaft fürchten? Am ehesten noch die letzten Nichtskapierer, die mit ihm soziale Hoffnungen verbinden. Rot-Grün-Rot macht Olaf nur, wenn erstens der FDP-Lindner noch mal den gleichen Fehler macht wie 2017, und zweitens (was wahrscheinlicher als erstens wäre) die Linkspartei zu ihm unter der Türritze durchkriecht. Wer soll das fürchten? Das Grosskapital und die Superreichen wissen längst, was sie am Olaf haben. Mit dem kann mann super Deals machen, der ist geschäftsfähig, der hat “Regierungsfähigkeit” im ambivalenten, flexiblen Sinne des Wortes längst nachgewiesen: von mächtigen Lobbys jederzeit formbar. Der letzte sozialdemokratische Wahlgewinner. Was will das deutsche Kapital mehr?
Viel spricht dafür, dass Scholz – sowieso die Grünen – auch die FDP “kriegt”. Zum einen weiss er, wie das geht. Zum andern gehts ihr längst nicht so gut, wie die Umfragen suggerieren. Der Spiegel, mit einem Ex-Jungdemokraten als Mitautor, hat einen Konflikt spitzgekriegt, zwischen der FDP und einer “Adelsfamilie”, zu der eine Blitzumfrage meinerseits in fachkundigen Bekanntenkreisen ergab, dass es sich eigentlich nur um die Familie des langjährigen und betagten (80) FDP-Schatzmeisters (1987-2020) Hermann Otto Prinz zu Solms-Hohensolms-Lich, ihrem heutigen “Ehrenvorsitzenden”, handeln kann.
So eine Adelsfamilie ist nicht nur weitverzweigt, sondern auch durchzogen von unzähligen Konflikten und “schwarzen” (oder ganz andersfarbigen) Schafen. Wodurch kann sie geeint handeln? Durch die allgegenwärtigen Gesetze des Kapitalismus, in diesem Falle denen des Immobilienkapitalismus. Nachdem sie also der FDP jahrzehntelang den Hals und das Leben gerettet haben, verlangen sie nun die Rendite, die der Immobilienmarkt anderen superreichen Familien überreich schenkt. Und ausgerechnet sie, die sich solche polithistorischen Verdienste zu seiner Rettung durch seine zuverlässigste neoliberale politische Kraft erworben haben, sollen darauf verzichten? Diesem jungen Schnösel zuliebe?
Nicht leicht für den Lindner. Dann lieber regieren. Da ist die Verhandlungsposition gleich viel besser. Olaf wirds mit Vergnügen gelesen haben. Besagter Mitautor und er dürften seit langem gut miteinander bekannt sei.
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