Manifest für Frieden – plus – Ein Blick zurück auf die NATO und ihre Missachtung russischer Sicherheitsinteressen
„Der vergnügte Ton der Bevormundung“ titelte der Tagesspiegel zum Schwarzer/Wagenknecht Aufruf und befand, dass Teile der Linken nicht die Opfergruppe (Ukrainer) fragen und eine Lehre des 20. Jahrhunderts ignorieren.
„Es ist Zeit, uns zuzuhören!“ zitiert der Autor aus der Petition „Manifest für den Frieden“ und sieht darin „kaltes Großmachtsdenken“:
„Uns! Nicht: den Ukrainern. Ausgerechnet die politische Linke, historischer Garant für berechtigte und notwendige Kritik an der Verordnungsarroganz imperial auftretender Staaten wie USA oder Großbritannien, macht sich kaltes Großmachtdenken zu eigen.“
Da Herr Dieckmann einmal so schön dabei war, nimmt er auch die Ein-China-Politik der USA auf die Hörner. Die Menschen in Taiwan wären auch nicht gefragt worden. Nicht einmal die Verfassung Taiwans behauptet, es handele sich um einen internationalen Konflikt. China und Taiwan ringen darum, wer das eigentliche China repräsentiert.
Aber das nur am Rande. Ist es „Großmachtsdenken“, einen Friedensschluss für einen Krieg zu fordern, der auf unserem Kontinent stattfindet und globale Wirkungen hat? Oder ist es nicht eher der vollständige Ausdruck größtmöglicher Besorgnis um die Zukunft des Landes, des Kontinents und der ganzen Welt?
Potential zur Weltenvernichtung
Denn diesem Krieg wohnt das Potential zur Weltenvernichtung inne. Eine Nuklearmacht ist direkt involviert, eine stellvertretend. So wie das der inzwischen ehemalige ukrainische Verteidigungsminister im Januar 2023 auch konstatierte. Die Ukraine kämpft stellvertretend für die NATO, quasi als ihr Teil. So wie es die deutsche Außenministerin Anfang Februar 2023 einräumte: „Wir sind im Krieg mit Russland.“ Das war keine Kriegserklärung, sondern das unvorsichtige Herausplatzen einer Wahrheit, die alle längst wissen.
Frau Baerbock gebührt auch der zweifelhafte Verdienst, das Wesen der westlichen Wirtschaftssanktionen enthüllt zu haben: Das wird Russland ruinieren. Mit völkerrechtswidrigen Sanktionen ist die westliche Allianz angetreten, das größte Land der Erde zu destabilisieren, und, glaubt man US-Stimmen, geht es um die Zerschlagung.
Als Folge der politischen Auflösung der Sowjetunion sind bereits jede Menge Konflikte im postsowjetischen Raum entstanden. Eine absichtsvolle strategische Destabilisierung Russlands vollzöge sich jedoch nicht auf dem Mars, der man genüsslich durch Teleskope zuschaut. Sie vollzöge sich in Europa. Man kann nur froh sein, dass jedenfalls laut IWF-Prognosen für 2023/2024, das Konzept gescheitert ist.
Eine strategische Schwächung Russlands ist das genaue Gegenteil dessen, warum die EU die Erweiterungspolitik betrieb und danach strebte, mit allen ihren Nachbarn in Freundschaft zu leben. Wer Konflikt und Armut in Europa willentlich in Kauf nimmt oder gar befördert, destabilisiert den ganzen Kontinent. Da nützt es auch wenig, Russland neuerdings aus Europa heraus zu definieren.
Es geht aktuell nicht „nur“ um die Verhinderung einer Kriegseskalation, die im nuklearen „Armaggedon“ enden würde. Es geht auch nicht „nur” um einen Kontinent, der möglicherweise auf Jahrzehnte von Feindschaft zerrissen sein könnte.
Aussichten, den Klimawandel zu begrenzen
Es geht ebenfalls um unsere Aussichten, den Klimawandel zu begrenzen. Es ist in die Köpfe der deutschen Politik nicht vorgedrungen, dass die Sabotage an Nordstream auch Umweltterrorismus bedeutete. Es ihnen nicht klar, dass in den Weiten der russischen Tundra, die aufzutauen droht, sich ein Umweltgau versteckt, der genauso dramatisch sein dürfte wie der Verlust des tropischen Regenwaldes
Alle reden vom Klimawandel. Unsere Kinder und Jugendlichen haben Angst um ihre Zukunft. Warum? Weil die Weltgemeinschaft nicht an einem Strang zieht. Egal, was wir als Bundesrepublik tun, diesen Prozess kann kein einziges Land allein begrenzen, sondern nur alle Völker gemeinsam. Die Weltgemeinschaft, die zusammensteht, gibt es nicht. Es regieren Feindschaft, Hass und abgrundtiefes Misstrauen. Es ist an so vielen Orten Krieg.
Niemanden scheint am gegenwärtigen Krieg in der Ukraine (oder anderen Ortes) zu interessieren, dass Krieg nicht nur unersetzliches Menschenleben kostet, sondern Umweltzerstörung ist. Krieg und Aufrüstung sind Ressourcenverschwendung par excellence. Die aktuell forcierte Ankurbelung der deutschen und EU-Rüstungsproduktion schafft vielleicht Arbeitsplätze. Sie frisst gleichzeitig Energie und Material und Intelligenz, die entweder in Waffen münden, die nicht eingesetzt werden sollen oder im Krieg eingesetzt werden.
Geht das so weiter, ist das 1,5-Grad-Ziel nicht erreichbar. Schon jetzt ist der Klimawandel Ursache für Hunger und Flüchtlingsströme, und es wird schlimmer werden.
Viele üben sich in der Wiederholung der Verurteilung eines völkerrechtswidrigen Krieges Russlands in allen möglichen Superlativen („Zivilisationsbruch“) und verlieren jeden Maßstab und jeden Realitätsbezug. Seit 1990 wurden immer wieder völkerrechtswidrige Kriege geführt, in der Mehrheit von den USA/ NATO-Partnern. Nunmehr von Russland.
Das entschuldigt nichts, keinen einzigen Krieg. Allen Kriegen ist jedoch eines gleich. Sie waren vermeidbar. Auch der Krieg Russlands gegen große Teile der Ukraine.
Denn Russland führt nicht Krieg gegen „die“ Ukraine. Teile der Ukraine kämpfen auf russischer Seite. In diesem Krieg explodieren politisch unbewältigte Folgen der Umbrüche auf dem europäischen Kontinent 1989/91: Es geht um die ungelöste europäische Sicherheitsarchitektur, die in der Folge der deutschen Einheit entstehen sollte.
Die Ukraine ist seit vielen Jahren ein innerlich zerrissenes Land, wenn es um ihre politische Orientierung und ihre Identität geht. Das wusste auch die Bundeskanzlerin, die am 11. März 2008 auf der 41. Kommandeurstagung der Bundeswehr ihre Ablehnung einer NAT0-Mitgliedschaft für die Ukraine und für Georgien wie folgt begründete. Erstens stellte sie fest, die Bevölkerung eines Landes müsse einen solchen Schritt verlässlich wollen. Das war 2008 in der Ukraine definitiv nicht gegeben, und ob es 2020 dem Willen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger der von uns verteidigten Ukraine in den Grenzen vom Februar 2014 entspricht, wissen wir wegen der abtrünnigen Donbass-Gebiete auch nicht. Wir wissen lediglich, dass Selenskyj ins Amt gewählt wurde von mehr als 70 % der an dieser Wahl teilnehmenden Bevölkerung, um Frieden in der Ukraine und mit Russland zu erreichen.
Heute wissen wir, dass weder Deutschland (Merkel), Frankreich (Hollande) noch die Ukraine (Poroshenko, Selenskyj) Interesse an der Erfüllung einer Grundvoraussetzung dazu hatten, dem Minsker-Abkommen. Das ist widerlich genug.
Zweitens äußerte Merkel 2008:
„Nun meine zweite Bemerkung hierzu – diese meine ich ganz ernst: Länder, die selbst in regionale oder innere Konflikte verstrickt sind, können aus meiner Sicht nicht Mitglied der Nato sein. Wir sind ein Bündnis zur Verteidigung der Sicherheit und kein Bündnis, in dem einzelne Mitglieder noch mit ihrer eigenen Sicherheit zu tun haben. Weiter ins Detail möchte ich heute nicht gehen.“
Denn es gibt keine Nato-Politik „der offenen Tür“. Sie ist eine propagandistische Erfindung. In Art 10 des Nato-Statuts ist klar formuliert, dass ein betreffendes Land einen Sicherheitsgewinn für die Allianz darstellen müsse. Genau das bezweifelte Merkel, um wenige Monate später einzuknicken, um der „Bündnissolidarität“ willen.
El Pais hat vor kurzem die Antworten der NATO und der USA auf die russischen Sicherheitsvorschläge vom Dezember 2021 veröffentlicht. El Pais kam zur Schlussfolgerung, diese Dokumente seien ein Beweis des Verhandlungswillens der USA und der NATO. Tatsächlich sind beide Antworten der Beweis dafür, dass es über den Kern der jahrzehntelangen Auseinandersetzung NATO-Russland überhaupt keine Verhandlungsbereitschaft gab/ gibt.
USA und NATO faseln von der Politik der „offenen Tür“, die NATO erklärte heuchlerisch ihre Unterstützung für die Verwirklichung des Minsker-Abkommens und kann sich noch nicht mal daran erinnern, dass das Prinzip „ungeteilter Sicherheit“ auch auf dem NATO-Russland-Rat 2010 festgeschrieben wurde. Denn das ist die Crux von allen: Entweder sind alle sicher oder keiner. Die nukleare Abschreckung ist das Gegenstück dazu – hier stehen sich NATO und Russland unversöhnlich gegenüber und solange man diese Logik nicht bricht, ist die gemeinsame Sicherheit tatsächlich nur geteilte Unsicherheit, die sich auf gegeneinander gerichtete Atomwaffen und einen Rüstungswettlauf stützt.
Geschichtlich wahr ist, dass die NATO in Russland nie einen Partner sah, dessen Interessen als gleichwertig galten. Sie sorgte mit ihrer Erweiterungspolitik dafür, dass kein inklusiver Sicherheitsraum entstehen konnte und glaubte, Russland wäre für alle Zeiten „geschlagen“ und aus dem Spiel. Es wurde so viel gelogen.
2002 kündigten die USA einseitig den ABM-Vertrag auf, der den Rüstungswettlauf zwischen den USA und der Sowjetunion zügeln sollte. Auch damals hieß es heuchlerisch, man werde russische Besorgnisse aufgreifen. Tatsächlich machten die USA keine Anstalten dazu. Stattdessen wurde das Tor zum Wettrüsten wieder aufgestoßen.
Solange die Logik vorherrscht, dass jede Seite nach einem Vorteil gegenüber der anderen strebt, solange herrscht globale Unsicherheit. Solange ist niemand sicher.
Gedächtnis der Völker
Was sich heute als Kampf zwischen Demokratie und Autokratie ausgibt, ist der Kampf der USA um ihre globale Dominanz. In diesem Kampf ist Russland zum Feind ausgerufen, China zum strategischen Hauptgegner. Tatsächlich unterstützen die Alliierten der USA ihren Hegemonialanspruch. Tatsächlich lehnen ihn Russland, China und immer mehr Staaten auf der Welt offen ab. Ein Kennedy, der die Größe und Einsicht hatte, zu erkennen, dass Frieden und Zusammenarbeit nicht in einer pax americana erreichbar sind, sondern nur im Begraben der Feindschaft, ist weit und breit nicht in Sicht. Auch kein Gorbatschow, der forderte, die Rüstungsproduktion weltweit zu konvertieren und den Ehrgeiz der Menschheit auf die Lösung der vordringlichen Menschheitsprobleme zu lenken. Deren geistiges Erbe lebt vielleicht in heutigen politischen Eliten nicht fort, wohl aber im Gedächtnis der Völker. Denn sie alle verbindet der gleiche Wunsch nach Frieden.
Wer die Demokratie in die Welt tragen will, muss sich um Frieden bemühen.
Genau das tut die US-geführte NATO nicht. Es passt nicht zusammen, einen Krieg zu verurteilen, aber dessen schnelles Ende durch eine Verhandlungslösung zwischen Russland und der Ukraine zu boykottieren. Der Zeuge ist glaubwürdig. Es ist ein ehemaliger israelischer Ministerpräsident, der sich mit allen konsultierte. Tatsächlich telefonierte auch der deutsche Bundeskanzler am 23. März mit den Präsidenten der Ukraine und Russlands, um sich über die Verhandlungsfortschritte zu informieren. Bis auch er auf die „neue“ NATO-Linie umschwenkte.
Auch Deutschland geht es heute um „Siegfrieden“, und wie dieser „Siegfrieden“ aussehen soll, hat uns der inzwischen zum stellvertretenden Außenminister arrivierte Melnyk auch wissen lassen: Erst wenn (das faschistische) Russland im Staub liegt, wie Deutschland 1945, dann wären die Bedingungen eines dauerhaften Friedens gegeben. Leider ist Melnyk kein Außenseiter. Und leider ist die ganze Wut und der ganze Hass, die aus vielen seiner Äußerungen sprechen, real. Er ist ein typischer Vertreter des Teils der ukrainischen Bevölkerung, die alles Russische noch mehr hassen als den Krieg. Ein Bandera-Anhänger eben.
Auch ein russischer Angriffskrieg bildet keine Legitimationsgrundlage für Völkerhass. Auch ein russischer Angriffskrieg entlastet uns nicht von der Pflicht, Nazi-Gedankengut zu erkennen und zu bekämpfen, wo immer es sich regt. Es darf nicht bagatellisiert werden. Nur, weil Russland das zu einem Problem der Ukraine erklärt, ist es nicht zwingend Propaganda.
Der Bayrische Rundfunk lieferte jüngst ein Meisterstück, die Ehrentitelverleihung „Edelweiss“ an eine kriegsverdiente ukrainische Brigade für unschuldig zu halten. Selbst die Russen liebten diese Blumen und nähmen sie nun, heuchlerisch, wie sie sind, zum Beweis sinistren ukrainischen Treibens.
Bis auf Russlands höchsten Elbrus (in der deutschen Nazi-Phantasie höchster Berg des künftigen von Deutschland beherrschten Europa) sind die BR-Reporter allerdings nicht hochgekraxelt, denn dort landeten die deutschen Enzian-und Edelweiss-Gebirgsjäger einst einen Propaganda-Coup, bevor sie später in Griechenland und Jugoslawien Mordtaten verübten.
Die Welt hielt die Geschichte der Elbrusbezwingung und ihre symbolische Bedeutung 2012 fest. Der BR hätte auch sagen können, dass die Ukraine die Nationalblume der Schweiz so liebt, um nicht darüber nachdenken zu müssen, dass 1941 ein Edelweiss-Lied für die deutsche Wehrmacht komponiert wurde, weil das Edelweise auch für Reinheit, Mut und Stärke steht. So wurde die Blume zu reiner Propaganda missbraucht.
Der BR hätte auch schreiben können, dass Selenskyi ein Fan der Netflix-Serie „The Man in the High Castle“ ist, die ein fiktives Szenario aufmacht (Nazi-Deutschland und Japan besiegten im Zweiten Weltkrieg die USA) und die Titelmusik „Edelweiss“ wäre einfach nur ganz bezaubernd gesungen.
Ein sehr grosses Ding
Das kann man alles machen, wenn man sich um den Grund herumdrückt, warum Selenkyj sein Wahlversprechen, für Frieden zu sorgen in der Ukraine und mit Russland, nicht einlöste. Der lag nicht in Russland, sondern an den extremen Nationalisten in der Ukraine. Sie haben seine Wahlagenda in den Boden gestampft und Selenskyj mit dem Tod bedroht. Niemand seiner westlichen Freunde hat ihm geholfen, im Gegenteil. Der Westen schaute weg und bewaffnete seine Ukraine. Heute marschiert Selenskyj an vorderster Front als extremer ukrainischer Nationalist (oder tut nur so) und versucht, diese Leute mit Edelweiss-Bröckchen zu besänftigen. Das ist wahrlich kein so großes Ding.
Dass er aber gleichzeitig versucht, die NATO mit aller Macht in den Krieg zu ziehen, ist ein sehr großes Ding, und ein Beleg dafür, dass er genau weiß, ohne die NATO wird seine Ukraine verlieren. Aber die NATO lässt kämpfen, egal wie lange es dauert und was es kostet. Sie hat nur einen unbestimmten Kriegszeitplan. Glaubt man dem NATO-Generalsekretär, leeren sich inzwischen die Arsenale der NATO.
Wie Frieden organisiert werden soll, interessiert die NATO nicht.
Kein Aggressionskrieg entlässt die Politik aus der Pflicht, ihn so schnell wie möglich zu beenden. Wenn die Politik versagt, müssen die Bürger sprechen. Daher ist der von Schwarzer und Wagenknecht initiierte Aufruf auch nichts anderes als Ausdruck einer Bürgerpflicht.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog der Autorin, mit ihrer freundlichen Genehmigung. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt.
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