“Medienprofis” sollten nicht unsichtbar bleiben

Hätte René Martens/MDR-Altpapier es nicht erwähnt, ich hätte es nicht bemerkt. Eine Rentnerin und ein Rentner (letzterer ab 1.6.) aus der was-mit-Medien-Branche haben was Substanzielles zu sagen: Sabine Rollberg und Jürgen Döschner, beide WDR-Gewächse. Über Rollberg berichtete der Fachdienst epd-Medien, aber nur in der Druckversion, online nicht auffindbar (ausser bei Martens), Rollberg hatte im Februar (!) auf einer Veranstaltung des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik gesprochen, von der es ein YouTube-Video gibt: 432 Abrufe, 7 Abonnenten. Boah ey, gehts noch?

Wie ist es möglich, dass Medien-“Profis” so dilettantisch arbeiten? Döschner kann nichts dafür. Er wird von seinem Arbeitgeber WDR auf seine Rest-Tage so behandelt, als existiere er nicht Er behilft sich mit Mastodon. Meine Website gibts ja auch nur, weil sie mir mein Maschinist gebaut hat. Kann ich kaum übelnehmen.

Aber wer macht bei diesem Berliner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik eigentlich die Öffentlichkeitsarbeit, dass es ihm gelingt, seine Tagungen und ihre Ergebnisse so viele Monate geheim zu halten? Berliner Veranstalter*innen müssen wissen: wenn sie digital keine Texte veröffentlichen, dann sind Berliner Veranstaltungen im Rest der Republik, da wo ein paar Millionen mehr als die 3 Berliner*innen wohnen und leben, wie nicht stattgefunden. Das Geld hätten Sie sich sparen können!

Sabine Rollberg habe ich vor vielen Jahren bei einer WDR-internen Veranstaltung persönlich kennengelernt. Wir haben nicht den gleichen Filmgeschmack, stimmen aber medienpolitisch sehr überein. Darum hier die Zitate aus epd-Medien, die ich aus einer Email von Heiko Hilker/DIMBB entnommen habe (der sie fälschlicherweise “Evelyn” nennt – aber danke für die wichtigen Zitate!). Sie stimmen inhaltlich. Leider.

“Wie konnte es dazu kommen, dass die Redaktionen inzwischen nicht mehr die Wirbelsäule der Sender sind?

Was ist passiert, dass den Sendern das Rückgrat abhandengekommen ist? Ich wage zu behaupten, dass ganz wenige Redakteur:innen heute noch über Dramaturgie, Qualität eines Filmes diskutieren können, sie sehen Programme als Produkte, als Ware. Ich will das Rad nicht zurückdrehen, wir leben inzwischen in einer digitalen Welt, es geht um andere Verbreitungswege, aber es geht um Programm, um Qualität, Glaubwürdigkeit, Einzigartigkeit und Innovation, egal ob gestreamt oder gesendet wird, heutige Redaktionen sind Experten in Zuschauerwanderung oder Zielgruppenbestimmung.

Mein Anliegen ist, bei der notwendigen Reform nicht nur an neue Wege zu denken, um das junge Publikum zu erreichen, sondern an Inhalte, an soliden, kreativen innovativen Content. Meine Überzeugung ist, dass dies nur mithilfe von wieder erstarkten Redaktionen möglich ist. Die Skandale rund um die öffentlichrechtlichen Sender haben offensichtlich gemacht, dass die internen Strukturen im System der Sender marode sind: Angst, Inkompetenz, mangelnde Transparenz, fehlende Kommunikation und undurchsichtige Hierarchiestrukturen haben zur Krise beigetragen. Das macht anfällig für falsche Entscheidungen und für Verschlafen aktueller Ereignisse. Daran krankt das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es wirkt manchmal verwunderlich, dass überhaupt noch neue Programme entstehen.

Wieso haben Redakteure Angst? Sie sind meist fest angestellt, werden ordentlich bezahlt, sie sind geschützt, denn es gibt einen Personalrat im Haus, eine Redakteursvertretung, ihre Rente ist sicher. Sie haben viele Privilegien, wie Urlaubsgeld, 13. Monatsgehalt et cetera. Dennoch geht eine Angst in vielen Anstalten um. Wenn zwei Kollegen sich über einen Missstand austauschen wollen, verziehen sie sich vors Haus und schauen hinter sich, bevor sie offen miteinander sprechen.

Es hat sich ein System von Günstlingen breit gemacht, man gehört dazu oder nicht, es gibt Cliquen um Hierarchen, wenn man da nicht dazu zählt, wird man unsichtbar, gläsern, keiner hört einem zu, wenn man auf Konferenzen etwas sagt. Es ist einschüchternd, verletzend, wenn man so übergangen wird. Kolleg:innen bekommen das Stigma, schwierig zu sein, werden ausgegrenzt.

Kurz: Man stirbt den sozialen Tod.”

“In den Anfangsjahren des Fernsehens kamen die Redakteur:innen aus anderen Branchen: Theater, Verlage, sie waren Fachredakteur:innen und es gab Fachredaktionen für die verschiedenen Bereiche. In den Redaktionen arbeiteten Experten für ihr Gebiet, die Entscheidungen, die sie trafen, waren auf ihrer Kompetenz aufgebaut und diese Kompetenz war auch gefragt und geschätzt.

Vorgesetzte wären gar nicht auf die Idee gekommen, alles besser wissen zu wollen und in Konkurrenz mit den Redakteur:innen zu treten. Die Redaktionen waren das Herz der Sender, sie waren programmprägend, fühlten sich frei und waren daher offen und mutig für Innovation, Veränderung, hatten Wagemut, ihr Ziel war es, Avantgarde zu sein und couragierte Projekte zu riskieren.

Doch in der Ära Pleitgen, in den 90er Jahren, wurde die Fachredaktion abgeschafft, jeder sollte alles können, heute Service, morgen Sport, übermorgen Landes- oder gar Auslandsstudio. Der damalige Intendant war überzeugt, so den Sender besser für die Zukunft zu wappnen. Auch bei Führungspositionen kommen die zum Zuge, die sich unterordnen und in Seilschaften bewähren. […]

Während die Digitalisierung in vielen Industriezweigen dazu geführt hat, dass die Hierarchien flacher und horizontaler geworden sind, bewegten sich die Sender in den letzten Jahren in die entgegengesetzte Richtung.

Sie wurden hierarchischer. Dafür ein marginales, aber signifikantes Beispiel. Es hat sich zusätzlich eingebürgert, dass auch noch Leitung der Sendung zusätzlich zum Namen eines Redakteurs auf dem Abspann steht. Dies ist nicht nur überflüssig, sondern auch unzulässig, denn der Redakteur ist der presserechtlich Verantwortliche.

Dies gehört aber zu den vielen Degenerationserscheinungen des Berufs des Redakteurs, der zunehmend von wachsenden Hierarchiestrukturen zermalmt wird. Private, zukunftsorientierte Unternehmen haben in den letzten Jahren ihre Leitungsebenen verflacht, sie sind horizontaler geworden. Die Anstalten, vor allem der WDR, sind vertikaler geworden.”

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net