Letzte Generation: Die Klimakrise kann man nicht hinter Gitter sperren – Hausdurchsuchungen, beschleunigte Verfahren, Haftstrafen ohne Bewährung. Unser Autor meint, dass es andere Wege gibt, mit der Letzten Generation und der Klimakrise umzugehen.

Freundinnen von mir wurden gestern zu zwei Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Sie hatten friedlich dafür demonstriert, dass die Bundesregierung sich an ihre eigenen Gesetze hält. Sie wurden verurteilt, weil sie wollen, dass unsere Lebensgrundlagen geschützt werden.

Wenn ich kurz innehalte, wie jetzt beim Schreiben, komme ich mir vor wie in einem Land, das ich nicht kannte. Polizeibeamte, die vermummt und mit vorgehaltener Pistole Menschen aus dem Bett holen. Eine Generalstaatsanwaltschaft, die politische Anweisungen entgegennimmt und die Telefone von Bürgern abhört, ihre Standortdaten ermittelt und E-Mails mitliest.

Eine Berliner Justiz, die beschleunigte Verfahren einsetzt, was der Republikanische Anwältinnenverein mit dem Wort „Sondertribunal“ kommentiert und hinzufügt: Das deutsche Grundgesetz verbietet aus historischen Gründen Ausnahmegerichte. „Nun werden solche aber in Berlin nur für die Fälle der Letzten Generation eingeführt.“

Was passiert hier?

Es wird versucht, einen gesellschaftlichen Konflikt mithilfe der Justiz zu beenden. Menschen mit harten Strafen einzuschüchtern. Das wird nicht funktionieren.

Jüterbog abgebrannt. Braunschweig abgesoffen. Bundeskanzler abgetaucht

Die Klimakrise teilt Deutschland politisch in zwei Gruppen. Jene, die am fossilen Alltag festhalten wollen, nichts sehen als die Gegenwart, ihre Profite und Privilegien. Und jene, die Verantwortung übernehmen für die Zukunft, die wollen, dass auch die Kinder von heute morgen gut leben können: Gier gegen Generationenvertrag ­­– das ist ein moralischer Konflikt. Und egal wie viele Polizisten man schickt, wie viele Handys man abhört und wie viele Richter man abstellt: Man wird ihn nicht lösen. Im Gegenteil.

Die vergangenen Wochen zeigen, dass die Unterstützung für die Letzte Generation wächst ­– mehr Interessierte bei unseren Vorträgen, mehr Spenden, mehr prominente Fürsprecher –, und das nicht zuletzt auch wegen der Verfolgung. Denn sie offenbart etwas: dass die Koalition Scholz, die Landesregierungen und Wirtschaftsführer blank sind. Sie haben keine Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit. Und wir von der Letzten Generation machen das sichtbar.

Doch statt Lösungen anzubieten, versuchen sie, uns – die Überbringer der schlechten Nachricht – zum Schweigen zu bringen. Dabei müssten sie doch auch sehen: Selbst wenn sie jeden von uns einsperren, wird es andere Klimaprotestgruppen geben, die für Gerechtigkeit kämpfen. Denn die Krise eskaliert vor unseren Augen, allein in den vergangenen vier Wochen: Jüterbog abgebrannt. Braunschweig abgesoffen. Bundeskanzler abgetaucht.

Einen wachsenden gesellschaftlichen Konflikt kann man in einer Demokratie nur auf eine Weise lösen: reden. Doch derzeit wird in diesem Land viel geschrien, aber wenig gesprochen.

Die Folgen der Klimakrise sind seit 50 Jahren bekannt – doch nichts passiert

Wir müssen uns schwierige Fragen stellen: Ist die Klimakrise nur ein technisches Problem? Müssen wir die Emissionen von Superreichen regulieren? Kann man Wohlstand auch noch anders definieren als rein materiell? Braucht es für den Schutz der Lebensgrundlagen vielleicht ein anderes Wirtschaften?

Seit 50 Jahren sind die Folgen der Klimakrise bekannt. Seit 40 Jahren wird auf Klimakonferenzen versprochen, die Emissionen zu senken – doch nichts passiert. Und mit jedem Tag werden die Fragen drängender, denn uns läuft die Zeit davon. Vielleicht sind die Probleme jedoch zu groß, zu groß für unsere Regierung. Vielleicht braucht es ein Update für die Demokratie.

Wenn die Bundesregierung einen besseren Vorschlag hat, dann bitte

Eine Möglichkeit wäre ein Gesellschaftsrat, in dem 160 Menschen aus allen Teilen der Bevölkerung zusammenkommen und gemeinsam beraten, wie wir aus den fossilen Energien bis 2030 aussteigen können. Seine Empfehlungen würden der Regierung vorgelegt – sie könnte dann entscheiden, ob sie den Menschen zuhören will. Die Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern zeigen, wie zukunftsweisend dieses Format ist – und wie es mehr Demokratie schaffen kann.

Aber das ist nur eine Möglichkeit, ein Vorschlag, gemeinsam in die richtige Richtung zu gehen. Wenn die Bundesregierung einen besseren hat, dann bitte, denn Polizei und Gerichte werden das Problem nicht lösen – je deutlicher die Folgen der Klimakrise werden, desto mehr Menschen werden auf die Straße gehen und Lösungen fordern.

Die Klimakrise ist kein Naturphänomen. Sie ist ein eskalierender gesellschaftlicher Konflikt. Sowas kann man nicht hinter Gitter sperren.

Über Raphael Thelen / Berliner Zeitung:

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