Sehr ehrenwerter Herr Böttger.!

Gerne habe ich während meines Studiums im Rheinland gelebt. Nun bin ich wieder in mein Heimatland Nordrokea zurückgekehrt. Ich musste immer wieder feststellen, dass es – auch im Rheinland – falsche Vorstellungen über mein Heimatland gibt. Die boshafte ausländische Presse stellt unser Land immer wieder falsch dar.

Ich sende Ihnen diese Berichte, mit der Bitte, diese im Beueler Extradienst wohlwollend zu veröffentlichen. Dabei habe ich die Hoffnung, dass dies bei Ihren Leser/innen zu einem besseren Verständnis für unser großartiges Land beitragen mag. Mit Ihrer großzügigen Unterstützung werden die Leser/innen erkennen können, warum wir hier so gut und gerne leben!

Warum die Verteidigung wichtiger ist.

Derzeit gibt es hierzulande große Angst und vielerlei Befürchtungen, weil eines unserer Bruderländer in einen Krieg verwickelt ist: der überaus böse und hinterhältige Usurpator Wlad-Tin-Pu hat eines unserer Nachbarland aus heiterem Himmel überfallen. Die Menschen leiden große Qualen. Unser glorreiches Mutterland hat bisher alles mögliche getan, um unser Bruderland zu unterstützen. Die Befürchtung ist: fällt unser Nachbarland, wird der überaus böse und unberechenbare Usurpator Wlad-Tin-Pu auch unser Land überfallen. Um dies zu verhindern liefert unser Volk und andere befreundete Länder alle möglichen Waffen. Alle einzelnen Waffen kann ich nicht aufzählen, aber es gehören Panzer und Streubomben dazu. Sobald es möglich ist, werden wir auch Kampfflugzeuge (die besten der Welt!) liefern. Allerdings können wir noch nicht viele entbehren.

Um dem Bruderland helfen und auch um uns selbst verteidigen zu können, hat mein Heimatland sehr viel Geld in die Rüstung gesteckt. Unser glorreicher Führer, der Beglücker des Landes Lent-Do-In soll in seiner beispiellosen Tatkraft den Gegenwert von 100 Milliarden Euro für Rüstung ausgeben wollen. Das ist vorbildlich! Wir hoffen, dass dies dem Nachbarland und uns helfen wird, das Böse in Menschengestalt, den überaus bösen und hinterhältigen Wlad-Tin-Pu zu besiegen! Ob es reicht: wir wissen es nicht. Möglicherweise müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln.

Dies sind schwere Zeiten und wir alle müssen zusammenstehen. Da können nicht alle Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigt werden. Neulich kam es zu einer Diskussion über Lebensmittelhilfe speziell für die ärmeren Kinder unserer großen Nation. Diese war ursprünglich vorgesehen, um besonders gefährdeten Kindern (die es leider auch hier gibt) eine auskömmliche Versorgung zu sichern.

Dies ist schwerlich möglich. Das hat unser mitfühlender Schatz-Minister Chri-Ner-Lin in all seiner Bestürzung kund getan. So viel Geld gibt es in unserem Land nicht. Ausländische Besucher mag dies irritieren. Bereisen sie unser Land, sehen sie viele große Verwaltungsgebäude von Firmen und Banken, viele Produktionsstätten, viele große und neue Automobile sowie viele sehr fleißige Menschen. Andererseits: wer wäre berufen, unserem großartigen und mitleidigen Schatz-Minister Chri-Ner-Lin zu widersprechen? Niemand! Er weiß: wenn wir hier nicht sparen, sind unsere Fabriken in Gefahr und die vielen fleißigen Menschen werde ohne Arbeit sein.

So sehr das schmerzen mag: Hunger ist dem Tod durch den bösen Usurpator Wlad-Tin-Pu vorzuziehen. Denn so sagt unser großer Weiser Denk-Lau: das Volk kann erzogen werden. Der Feind nicht. Wie auch? Mit dem Feind kann man nicht reden! Man kann ihn nur besiegen oder wie unsere umsichtige und aller Orten gern gesehene Diplomatin Anle-Baer-Crook sagt: ruinieren.

So mag man es in Deutschland als seltsam betrachten, bei den Kindern unserer großen Nation zu sparen. In Wahrheit ist es ein Akt der Barmherzigkeit. So lernen schon die Kleinsten, was wichtig ist in unserem Land und dass es es größere Ziele gibt als das eigene Wohlbefinden. Eine wichtige Lehre für ihr weiteres Leben. Sie können schon von klein auf lernen, dem Volke zu dienen!

Böse Gerüchte!

Es gilt bösen Gerüchten über unser glorreiches Land zu widersprechen! Einige der bösartigen Medien des Auslandes melden, dass es zwischen unserem Fernsehen und unserem glorreichen Führer Lent-Do-In eine “unheimliche” Kooperation gäbe.

Dazu muss man folgendes wissen: unser Fernsehen wird vom Volk finanziert. Jeder unserer Haushalte entrichtet für das Fernsehen monatlich einen gewissen Betrag, der etwa sieben Bier entspricht. Es ist das TVrash. Dafür bekommen wir alle wichtigen Informationen, die unser Land betreffen und sehr viele Filme und Serien. Viele der Serien kennen unsere Älteren noch aus ihrer Jugend. Dies ist also nicht anders als in Deutschland.

Nun haben uns ungewogene ausländische Zeitungen berichtet, dass unser Fernsehen aus dem Präsidialamt gesteuert würde.

Richtig ist: das Präsidialamt gibt Informationen, das Fernsehen sendet sie.

Was ist daran falsch?

Sollte ein Schreibtisch im Präsidialamt einem Schreibtisch im Fernsehen gegenüberstehen? Nein! Dies wäre Verschwendung!

Es macht doch sehr viel mehr Sinn, diese Informationen direkt aus dem Präsidialamt ins Fernsehen zu geben. Das spart Mitarbeiter/innen und Ressourcen.

Die fremden Zeitungen behaupten, Medien könnten weitere Informationen hinzufügen oder “Fragen” stellen. Wozu? Gibt es mehr als eine Wahrheit? Nein! Es gibt ja auch nur eine Welt!

Wie könnte es dann mehr als eine Wahrheit geben?

Wir wissen: wir benötigen keine anderen Fragen. Mögliche Fragen hat unserer weiser und gütiger Wohltäter des Landes, der Führer Lent-Do-In bereits im Vorfeld geklärt.

Wozu führen andere “Wahrheiten” und „Fragen“? Dies können wir in anderen Ländern sehen: es gibt viele Auseinandersetzungen und viel Verwirrung! Das führt in dort nur zur Schwächung des Volkswillens! Und bei vielen anderen Ländern nur zu Mord und Totschlag oder schlimmem Drogenkonsum, der die Gemeinschaft schädigt!

Davon sind wir in Nordrokea weit entfernt: das Volk ist gesund und einig.

Einen weiteren Vorwurf feindlicher Medien möchte ich noch erwähnen: es wird bemängelt, dass unser Fernsehen (TVrash) einseitig sei. Als Beispiel wird vorgetragen, dass in einer unserer Aussendungen eine Mitarbeiterin des Senders vermeintlich als Konsumentin interviewt wurde. Das mag sein. Aber: gehört sie nicht auch als Konsumentin zum Volk? Das zeigt die Arroganz der feindlichen Medien: sie halten Journalisten für etwas Besseres, die nicht zum Volk gehören!

So sind wir nicht!

Diese wirren Vorwürfe werden den höchsten Leiter unseres TVrash nur erheitern. Er wird sich den Bauch vor Lachen gehalten haben. Tim-Ro-Bu weiß: er allein hat die Wahrheit des Führers verstanden und nichts wird ihn aufhalten, diese zu verkünden. Gut so!

Wir stehen einig zusammen!

CO2?

Es ist mir ein Anliegen über zwei kleine Anekdoten aus dem hiesigen Alltag zu berichten:

Wie allseits bekannt, droht der Ausstoß von diesem bösen CO2, die Erde zu vernichten. Wir haben in unserem glorreichen Land einen Weg gefunden, dieses CO2 zu reduzieren. So bald wie möglich werden alle Heizungen in unseren Häusern und Wohnungen auf eine digitale Erfassung umgestellt. Und dies nicht nur für ein Jahr sondern für jeden Monat! In jeder Wohnung soll jeden Monat die Heizleistung (und damit der böse CO2-Ausstoß) messbar sein! So hat jeder Mieter oder Eigentümer einen monatlichen Überblick über seine Energieverwendung und kann sie somit anpassen. Sollte der Verbrauch an Heizenergie über dem vorgeschriebenen Maß liegen, werden Beratungen angeboten. Da wir nicht über genügend Berater verfügen, werden die örtlichen Ordnungsbehörden diese Aufgabe übernehmen. Falls es übermäßige Verbrauche von Energie geben sollte, werden die Berater die Beratung intensivieren.

In den kommenden Jahren sollen alle diese Daten zentral abgerufen werden können. Für den Fall, dass wir in unseren Wohnungen zu viel Energie verbrauchen, müssen Maßnahmen ergriffen werden. Dies in dem Fall, dass unserer Automobil- oder Chemieindustrie (die besten der Welt!) zu wenig Energie für ihre Produktion zur Verfügung stehen sollte. Dann muss das Volk sich einschränken um unsere Betriebe zu retten. Auch dabei werden uns die Berater unterstützen und uns zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der teuren Energie bewegen.

Ist dies nicht innovativ? Wenn die Welt es uns nachtäte, wäre sie gerettet!

Eine andere Anekdote aus unserem Alltag erzählte mir meine Freundin Es-Meint-Gut. Sie war Lehrerin in einer unseren vorbildlichen Elementarschulen. Sie hatte den Eindruck, dass einige ihrer Schüler/innen etwas übergewichtig sein könnten. Dies ist dem Alter kein gutes Zeichen. Aus ihrer Sicht hat die Anzahl der Schüler mit großem Gewicht zugenommen – dies vor allem bei Schülern, die mit dem Auto zur Schule gefahren werden. Aber dies sei eine sehr persönliche Sicht, wie sie erklärte. Andererseits weisen aus ihrer Sicht andere Schüler Anzeichen einer Untergewichtigkeit auf. Als Einzelfälle berichtete sie von einer Familie, deren Vater wegen unangemessener Kritik versetzt wurde. Ein anderer Fall betraf eine Familie mit einem kranken Geschwister. So oder so gibt es aus ihrer Sicht Kinder, die nicht ausreichend ernährt werden.

Ihr Vorschlag: regelmäßige Messung des Gewichtes. Dann könnten die Behörden die Ursachen untersuchen und über Beratung entsprechende Maßnahmen ergreifen.

Der Vorschlag wurde vom Schulleiter an den Präfekten und den Staatssekretär weiterleitet. Die zuständige Ministerin entschied allerdings: Nein!

Die Staatsverwaltung werde nicht in die Familien hineinregieren. Die Wohlfahrt der Kinder obliegt allein den Eltern. Diese sind fürsorglich für ihre Kinder tätig. Eine staatliche Überwachung und Steuerung ist daher entbehrlich.

Ist dies nicht ein Zeichen an die Welt? Unfreundliche Auslandspresse beanstandet immer wieder, dass wir in einem Land mit weitreichenden Regulierungen lebten und wir als Bürger/innen überwacht würden. Aber so ist es nicht! Die individuellen Entscheidungen unserer Eltern gehen irgendwelchen möglichen Regulierungen oder Überwachungen vor. Hier zählt die Entscheidung jedes einzelnen Bürgers!

Und das ist gut so!

Meine Bekannte, die inzwischen in der Wüstenstadt Egress, in einer Fabrik arbeitet, kann ich nicht mehr erreichen. Ich kann mir vorstellen, dass sie mit dieser Entscheidung des Ministeriums unglücklich ist. Allein: für das Volkswohl ist ihre Anregung nicht förderlich. Wir bleiben ein Volk von Individuen und es gibt keine behauptete Überwachung unserer Mitmenschen.

Mit den besten Grüßen!

Ergebenst:

Pet-Lu-Tig

Über Petra Lustig / Gastautorin:

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