Marktwirtschaft oder Journalismus? Beides zusammen gibts nicht

Ralf Heimann, erfahrener Lokaljournalist aus Münster, macht es in seiner gestrigen MDR-Altpapierkolumne klar. Journalismus mit menschenwürdiger Bezahlung ist unter den real existierenden Bedingungen kapitalistischer Marktwirtschaft nicht machbar. In seiner Beschreibung wird deutlich, dass heutige Stiftungen, in denen verstorbene Oligarchen ihr Vermögen steuervermeidend verstaut haben, nur Impulsfürderungen vergeben. aber nicht dauerhaft finanzieren wollen.

Derzeit ist die Lage so, dass der Lokaljournalismus der Vergangenheit in seinen Sterbeprozess eingetreten ist. Gedruckte Zeitungen funktionieren nicht mehr als Geschäftsmodell. Sie waren einst zu 80-90% durch Anzeigenkunden finanziert. Die sind weg zu Alphabet, Meta usw. Die Abonnent*inn*en sind weder bereit noch in der Lage, das finanziell zu kompensieren. Die Mehrheit der Lokalpresse versucht vergeblich, den Verlust digital zu kompensieren. Die Abonnent*inn*en sehen nicht ein, den Kostenvorteil (Einsparung von Druck und Vertrieb) einseitig die besitzenden Milliardärsfamilien geniessen zu lassen. Das ist ihnen die gelieferte journalistische Qualität nicht wert.

Darum sorgen die weit verbreiteten digitalen Bezahlmauern (Paywalls) für eine Abmeldung und Selbsterniedrigung entsprechender Medien in den übriggebliebenen öffentlichen Diskursen. Zu diesem Thema hat der ebenfalls sehr erfahrene Ex-Journalist und Unternehmensberater Thomas Knüwer, übrigens ebenfalls mit Herkunft Münster, in den letzten Jahren das Nötige geschrieben.

So ist die vertrackte Lage entstanden, die Heimann zutreffend beschreibt: es gibt engagierte Journalist*inn*en, die gerne und gut arbeiten wollen. Wie es auch ein Publikum gibt, das sich lokal informieren und unterhalten lassen möchte. Aber die Wertschätzung für die erforderliche menschliche Arbeit reicht nicht aus für eine hinreichend kaufkräftige Nachfrage.

Der Markt versagt. Mal wieder.

Das ist die Stelle, an der der demokratische Staat gefordert ist. Bekanntermassen wird er jedoch durch die neoliberale FDP daran gehindert, seinen demokratischen Aufgaben nachzukommen. In Kürze werden Wahlniederlagen folgen, die dem Neoliberalismus das nötige Oberwasser verleihen, mittels CDU/CSU, FDP und AfD eine Hegemonie im politischen Raum zurückzuerobern, die er gesellschaftlich längst verloren hat. Das gelingt ihm, weil die Mehrheit aus Liberalen, Sozialdemokrat*inn*en und Linken nicht mehr imstande ist, legitime Interessen zu bündeln, zu verbinden und politisch zuzuspitzen. Vielmehr lässt sich diese Mehrheit durch rechtes Agendasetting, an dem die verendenden “alten” Medien begeistert und selbstmörderisch mitwirken: zellteilen, demotivieren, demobilisieren und organisationsunfähig machen, aufmerksamkeitsökonomischen Mechanismen der asozialen Medien sei Dank. Und ablesbar an Wahlbeteiligungen.

Es wird ein – historisch betrachtet wimpernschlagkurzes – Fenster der Gelegenheit bleiben, in dem der politisch wiedererstarkende Neoliberalismus noch nicht in Faschismus umkippt. In diesem Fenster wird sich demokratische (Gegen-)Öffentlichkeit rekonstruieren müssen. Oder sie wird sterben.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net