2024 wird ungemütlich

Robert Kagan gibt in der Washington Post ein düsteres Bild der Lage in den USA vor Trumps neuerlicher Nominierung zum US-Präsidentschaftskandidaten. Das, was Kagan beschreibt, wird das Jahr 2024 überschatten. Die wichtigste Schlussfolgerung: Es wird ungemütlich.

Kagan beschreibt, wie es in den nächsten Monaten bei einflußreichen Gruppen zu einem rats race um Trumps Gunst kommen wird und wie er schon vor einer Wiederwahl zum Präsidenten von Justiz und demokratischen Institutionen kaum mehr zu bremsen sein wird. Im Ergebnis droht den USA eine Präsidentschaft, die den Weg in den Autoritarismus und die offene Diktatur einschlägt.

Ich halte Kagans Analyse für nicht unrealistisch. Trump wird sich in einer möglichen – und nicht unwahrscheinlichen – zweiten Amtzeit nicht mehr durch „die Erwachsenen im Raum“, also durch solche republikanische Berater und Amtsträger bremsen lassen, die versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Tatsächlich sind zweite Amtszeiten bei Möchtegernautokraten die wirklich gefährlichen – s. Orban in Ungarn oder die PiS-Partei in Polen. Trump wird durchregieren – und er weiß jetzt, wie das geht. Er wird die institutionellen Sicherungen, die ihm im Weg stehen, weitestgehend herausdrehen.

Wir sollten langsam anfangen darüber nachzudenken, was das für Deutschland und Europa bedeutet. Z.B. wenn Trump die Nato „auf Eis“ legt oder mit den USA einfach austritt. Angesichts von Putins Aggressivtrieb wird es dann sehr dunkel für die baltischen Staaten, für die Ukraine, aber auch für Polen. Und auch für den Rest von Europa. Wenn man Kagan so liest, dann ist es fast schon 5 nach 12 für dieses Europa.

Eigentlich bleibt Europa nur die Option, sehr schnell „erwachsen“ zu werden und seine Sicherheit und seine Außenpolitik selbst in die Hand zu nehmen. Für die wirtschaftlich stärkste Region der Welt sollte das von den materiellen Voraussetzungen her nicht allzu schwer sein. Es steht nirgendwo geschrieben, dass Europa vor Putins Russland, dass wirtschaftlich wenig mehr auf die Waagschale werfen kann als Italien, zittern muss.

Zittern muss man vielleicht vor Teilen der politischen Klasse, die das nicht begreift und die zum Beispiel das deutsch-französische Verhältnis weitgehend an die Wand gefahren hat. Oder auch vor einem Oppositionsführer und Möchtegernkanzler, der populistisch frei dreht. Und vor einem Kanzler, bei dem man im Moment nicht genau weiß, wie stark der Wirklichkeitskontakt noch ist. Noch drei Gründe mehr, sich für 2024 Sorgen zu machen.

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Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.