Da werden wieder einige im Berliner Konrad-Adenauer-Haus geseufzt und gestöhnt haben, nachdem ihr Parteivorsitzender Friedrich Merz im Warmen sitzend erklärt hatte, der Weihnachtsbaum in der guten Stube der Familie gehöre zur deutschen Leitkultur. Wie zu lesen ist, hat Merz Tee getrunken, als er das sagte, jedenfalls nichts Stärkeres.

Mehr als 40 Millionen Familien gibt es im Land – von der Einpersonenfamilie bis zu der mit vielen Köpfen. Etwa 30 Millionen Christbäume werden jährlich geschlagen, um aufgestellt zu werden, rund 2,5 Millionen steuern dänische Baumzüchter dazu bei. Dänischer Export. Keine deutschen Weihnachtsbäume. Und wenn man weitere drei bis vier Millionen Bäume abzieht, die von Verbänden, Verwaltungen, Gemeinden etc. vor den Türen beziehungsweise in den Entrees statt in den Stuben aufgerichtet werden, kann man folgern: So doll ist die Beziehung zwischen der Merzschen Leitkultur und den Christbäumen nicht.

Entweder stimmt da etwas mit den Christbäumen nicht (viele haben mit Leitkultur nüscht zu tun, vielmehr werden sie wegen rein privater Imagepflege geschlagen. Oder das mit der Leitkultur ist gefakt. Darauf lässt sich die Probe machen. Also los:

Ich könnte anführen, dass der bayrische Ministerpräsident Kreuze, Kruzifixe als obligatorisch an den Wänden der Amtsstuben durchgesetzt hat. Das stimmt; aber nicht als christliches Symbol, sondern die werden an die Wand geschlagen, weil sie geschichtlich-kulturelle Symbole sein sollen. Der Münchner Chefkatholik mit dem Nachnamen Marx hat denn auch gleich dem Ministerpräsidenten gesagt, das tauge nichts, was er da angerichtet habe. Auch das ist chronistisch gesehen bemerkenswert: Ein Mann namens Marx lässt nichts auf das zentrale Symbol des Christentums kommen.

Schaut man sich weiter um, entdeckt man Christdemokraten, die Weihnachten mit dem Weihnachtsmann in Verbindung bringen – beispielsweise der Hamburger Stadtverordnete der CDU Thering. Der sagte, zum Glück sei der Weihnachtsmann kein Sozialdemokrat – hat meines Wissens ja auch niemand behauptet. Der Weihnachtsmann ist, wenn man großzügig argumentiert, ein komplett säkularisierter Nikolaus. Mehr nicht. Hat mit Weihnacht nichts zu tun. Sie wollen widersprechen? Gut. Der Weihnachtsmann hat mit Weihnachten so wenig zu tun wie Lady Gaga mit Mutter Theresa.

Bleibt die Leitkultur. Das Wort wurde vom 2022 verstorbenen Zeit-Herausgeber Theo Sommer kreiert. Der wollte damit einen Weg der teilweisen Assimilierung von zuwandernden Menschen „markieren“. An den Weihnachtsbaum dachte Sommer nicht. Mit dem Weihnachtsbaum hatte seine Leitkultur nichts zu tun. Was Friedrich Merz da sagte, ist tatsächlich an Albernheit kaum noch zu übertreffen. Was kommt als Nächstes? Der Osterhase? Die pfingstlichen Flammenzungen? Was soll zwischen grünem Baum und Flammenzungen leiten? Der Gartenzwerg? Weiberfastnacht. Mein Großvater hatte für solche wie den Friedrich einen Spottnamen, im Dialekt gesprochen: Kirchetrappe-Helliger. Also ein selbsternannter Anführer, spöttisch „Heiliger, Helliger genannt, der es bis auf die Treppe zur Kirche schafft. Und dort bleibt.

Über Klaus Vater / Gastautor:

Klaus Vater, geboren 1946 in Mechernich, Abitur in Euskirchen, Studium der Politikwissenschaft, arbeitete zunächst als Nachrichtenredakteur und war von 1990 bis 1999 Referent der SPD-Bundestagsfraktion. Später wurde er stellvertretender Sprecher der deutschen Bundesregierung. Vater war zuvor Pressesprecher des Bundesministeriums für Gesundheit unter Ulla Schmidt, Sprecher von Arbeitsminister Walter Riester, Agentur-, Tageszeitungs- und Vorwärts-Redakteur. Mehr über den Autor auf seiner Webseite.