Beueler-Extradienst

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Ewig die “vaterlandslosen Gesellen”?

Kaiser Wilhelm II. und sein Reichskanzler haben 1897 die SPD, das Zentrum und die Freisinnigen Linksliberalen als “Vaterlandslose Gesellen” diffamiert. Dieses Stigma  zog sich durch die Weimarer Republik, die Verfolgung der Sozialdemokraten durch die Nazis, und feierte fröhliche Wiederauferstehung bei Adenauer. Sie richtete sich vor allem gegen die Ostpolitik Willy Brandts und Walter Scheels. CDU/CSU wie die Talkshow-Queens der Republik und ihre Politiksimulationen sehen derzeit ihre vordringlichste Aufgabe darin, das fortzuführen, Alarmismus und den Eindruck zu verbreiten, dass die Sozialdemokraten die Ukraine angeblich nicht mehr unterstützen wollten. Anlass ist die Unterstellung gegenüber dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Mützenich, weil er im Bundestag gewagt hat, zu sagen, dass man neben allen Waffenlieferungen auch darüber nachdenken müsse, ob und wie es zu einem Einfrieren oder einem möglichen Waffenstillstand im Ukrainekrieg  kommen könne.

Eine Sozialistenjagd, die Erinnerungen weckt

Es ging nicht darum, zu erklären, dass man nicht mehr weiterhin nach den USA der mit Abstand größte Waffen- und Munitionslieferant  für die Ukraine sein wolle. Nein, der SPD-Fraktionsvorsitzende erlaubte sich lediglich, nachzudenken – aber das ist in ideologisch geprägten Kriegszeiten nicht von allen erwünscht. Das ist gefährlich und weckt Erinnerungen an die bis heute nicht aufgearbeiteten Fehlentscheidungen der Politik in der Corona-Pandemie. Mützenich hat die Ukraine nicht aufgefordert, sie solle die “Weiße Fahne” hissen, wie es der Papst kürzlich erklärte.

Dessen bei uns überwiegend als befremdlich empfundene  Äußerung zeigt bei nüchterner Betrachtung, dass die Länder des globalen Südens, aus denen Franziskus kommt und deren Denken er nahesteht, den Ukraine-Konflikt aus völlig anderer Perspektive sehen, als wir. Aber auch das zu abstrahieren und den Menschen zu erklären – eine dringende Aufgabe der demokratischen Öffentlichkeit – findet derzeit nicht statt. Eine “Immer feste druff”- Mentalität herrscht in Berlin allseits vor. Maischberger und Miosga, aber auch Marietta Slomka und Lanz meinen inzwischen, in ihren Sendungen die (a)sozialen Netzwerke an Schrille der Vergleiche übertrumpfen zu müssen. Und dies trifft gerade Rolf Mützenich.

Unsolidarisches Verhalten in der Koalition

Erschreckend, in welchem Ton und absurden Vorwürfen die Vizepräsidentin des Bundestages, Katrin Göring-Eckardt MdB tags drauf im “Kölner Stadtanzeiger” über die SPD redete. In meinem Namen als Mitglied der Grünen spricht sie damit ausdrücklich nicht. Rolf Mützenich hat weder gefordert, den Status Quo anzuerkennen, noch irgendwelche Abstriche bei der Selbstbestimmung der Ukraine gemacht. Er bat nur, neben Waffenlieferungen, auch über Wege zu einem Ende dieses Krieges nachzudenken. Nachzudenken wird ihm aber nicht nur von der Opposition, jetzt auch noch von einer grünen Vizepräsidentin des Bundestages als Verrat an der Ukraine unterstellt. Dabei ist es doch geradezu existenziell, gerade vor dem Hintergrund der gescheiterten Abkommen von Minsk, darüber nachzudenken, mit welchen Mitteln ein wie und wann auch immer erreichbarer Waffenstillstand oder Verhandlungsbeginn wirkungsvoller gesichert werden kann, als mit den von Putin gebrochenen Verträgen. Ich bin dem Kanzler dankbar für seine Entscheidung zu “Taurus” und befrendet über die “Verhöre” mancher Talkmaster*innen, die sich anmaßen, es in Sachen “Taurus” besser zu wissen, und besonnene SPD-Politiker wegen ihrer Haltung regelrecht angehen, ohne selbst über irgendwelches Fachwissen zu verfügen. Medienvertreter*innen sind zwar nicht in der politischen Verantwortung, aber in der Verantwortung für das gesellschaftliche Klima, das sie mit bereiten. Das hat schon 2015 und in den Folgejahren die Berichterstattung über Flüchtlinge gezeigt.

Aufklärung hat es schwer

Was Rolf Mützenich gesagt hat, muss in der Demokratie selbstverständlich sein. Dass es nicht nur von der CDU/CSU-Opposition Denkverbote hagelt,  sondern auch von Journalist*innen der Berliner Blase, die keine professionelle Distanz wahren, sondern allzuoft den Eindruck vermitteln, am liebsten selbst eine Drohne steuern, einen Panzer fahren oder eine Haubitze abschießen zu wollen, oder “Tausus” bedenkenlos einzusetzen, diffamiert auch den demokratischen Diskurs. Die Mehrheit in Umfragen scheint es völlig anders zu sehen. Die Krise der etablierten Parteien ist auch eine Krise des unabhängigen und vor allem vielfältigen Journalismus. Vielen Berliner Journalist*innen fehlt es inzwischen an der professionellen Distanz, aus ihrer Blase heraus zu analysieren und zu kommentieren. Es ist Aufgabe des Journalismus, Politiker*innen zu befragen, warum sie dies oder das machen. Aber es ist nicht hilfreich, im Krieg Politiker*innen zu fragen, warum sie den einen oder anderen Angriff nicht dort und jetzt wagen oder die eine oder andere  Waffe hier oder da nicht einsetzen. Putin und sein Stab lachen darüber.

Besorgniserregend unprofessionell

Am besorgniserregendsten erscheint, wie inzwischen Grüne und FDP miteinander umgehen. Das Nineau ist kaum zu untertreffen. Strack-Zimmermann hat ja manchmal Unterhaltungswert, jedoch ist der FDP-Generalsekretär politisch so substanzlos, zu erklären, dass er lieber mit der CDU regieren möchte und damit programmatischen Offenbarungseid leistet. Warum ihn Lindner hält, ist ein Rätsel. Warum der Mann nicht längst, wie damals Erich Mende, die FDP verlässt, ist mir unverständlich. Wer seinen politischen Koalitionspartnern öffentlich erklärt, dass er am liebsten mit der Opposition bumsen möchte, obwohl es zahlenmäßig dafür gar nicht reicht, sollte lieber mit Mathematik in der Grundschule 2. Klasse nochmal ganz von vorn anfangen. Am besten gemeinsam mit dem größten Strategen aller Zeiten Toni Hofreiter, der dort möglichst oft unter der Schulbank “Schiffe versenken” spielen sollte. Dabei kann man lernen, dass es nicht klug ist, dem Gegner zu zeigen oder öffentlich zu diskutieren, wo die eigenen Schiffe liegen, und wo man Kreuze machen muss sie zu versenken.

In der tiefen Krise haben die Koalitionspartner den Schuss nicht gehört

Mutwillige Beschädigung des Koalitionsklimas ist das Allerletzte, was die Koalition, vor allem aber die verunsicherte Republik  jetzt braucht. Weder hat die Grüne Fraktionsführung jedoch die nötige Autorität, um Hofreiter zu disziplinieren. Ähnlich gilt das für die FDP-Fraktionsführung.  Beide haben offensichtlich keinerlei Strategie und nicht das ausreichende Selbstbewußtsein, ihre Macht als Fraktionsvorsitzende gelegentlich auch gegenüber der Regierung zu nutzen. Weil das so ist, lassen sie sich von  den “Huthis in den eigenen Reihen” treiben, die beide ihren Karriereknick – der eine nicht Agrarminister, die andere nicht Verteidigungsministerin geworden – nicht verkraftet haben und so die Koalition seit zwei Jahren um jeden öffentlichen Erfolg ihrer Politik bringen. Scholz, Habeck, Lindner und die Ampelkoalition als Ganzes sind das Schiff, das permanent von den eigenen Leuten beschossen wird, und immer mehr Schlagseite nimmt. Dass Dürr und Hasselmann das dulden, ist völlig unverständlich. Beide müssen doch wissen, wie unerträglich es für die Demokratie wäre, sollte 2025 die FDP mit ihren derzeit stabilen unter 4% aus dem Parlament fliegen, die Grünen noch mehr verlieren und die Nazis der AfD mit weit über 20%+ in den Bundestag einziehen. Gegen die aktuelle Bedrohung ist die FDP bis auf die üblichen Reflexe ratlos und sie erreicht ihre Wählerschaft nicht mehr. “Keiner in der Führungsriege hat eine Strategie, sie richten den Liberalismus zugrunde!” so ein jahrzehntelang erfahrenes, in vielen Vorständen erprobtes FDP-Mitglied dieser Tage. Und fügt resigniert hinzu: “Die Nazis müssen gar nichts machen – wir Demokraten zerlegen uns selbst.”

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

3 Kommentare

  1. Renate Maria Hendricks

    Danke, ein wirklich guttuender Kommentar in einer Zeit, in der wir von vielen Seiten Denkverbote auferlegt bekommen. Das betrifft nicht nur die Ukraine, Israel oder rechte und linke Kreise der Gesellschaft. Nein Frau Faeser will jetzt die Denkverbote auch noch gesetzlich regeln. Gut zu wissen, das man Ende die Gedanken frei sind. Ich hoffe , dass Journalisten sich mehr und mehrihrer wichtigen Aufgabe bewusst sind. Denn ihre Rolle ist immanent, um die lebendige und demokratische Auseinandersetzung in einer Gesellschaft anzuregen und zu ermöglichen..

  2. Gernot G. Herrmann

    Lieber Roland,

    wo Du recht hast, hast Du recht! Obwohl … ob die FDP aus dem nächsten Bundestag fliegt oder nicht, wird an der Option, dass die nächste Bundesdregierung eine schwarz-grüne Minderheitasregierung sein wird, nix ändern. Den Hofreiters, Baerbocks, Göring Eckhards und wiwe die Waffenlieferant*innen alle heißen, wird es egal sein, ob der Bundeskanzler Merz, Wüst oder Söder heißt – solange sie mitspielen dürfen, werden sie jede Kröte schlucken und weiterhin schlafwandlerisch (Clark lässt grüßen) Kriegspropaganda verbreiten.

    • Martin Böttger

      Was Du alles schon vorher weisst … Warum bist Du nicht Wahrsagwr geworden?

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