Wie fast die gesamte Landespolitik erregte auch dieser Vorgang kaum öffentliche Aufmerksamkeit: die NRW-Energiewirtschaft implodiert, und keiner nimmt Notiz. Die zwei wichtigsten Machtsäulen der traditionellen SPD-Seilschaften in NRW, die Konzerne Eon und RWE spalten sich auf. Und die “Steinkohlen und Elektrizitäts-AG” Steag kündigt gleichzeitig den Rausschmiss von 1.000 Beschäftigten an. Alles ein gutes halbes Jahr vor einer mal wirklich wichtigen Landtagswahl, der von NRW im Mai 2017.

Diese Vorgänge haben ökonomisch eine Tiefenwirkung, die dem Niedergang von Kohle und Stahl in NRW durchaus ähnlich ist. Es geht um ähnlich viele Arbeitsplätze und es geht um Elitennetzwerke der Fast-immer-Regierungspartei SPD. Sicherlich geht es hinter den Kulissen bestimmt heiss her. In der Öffentlichkeit dagegen dominiert der Eindruck von Regungslosigkeit, das Kaninchen vor der Schlange. Wenn ich keinen Mucks mache, dann merkt vielleicht keiner was. Das wird natürlich ein Irrtum sein.
Dabei wird sogar in Kauf genommen, wie bei der Flucht des Vattenfall-Monopols aus Ostdeutschland, dass Teile der Branche in die Hände der organisierten Kriminalität fallen.

Der schlimme Klotz am Bein unseres Bundeslandes ist der Mangel an Intelligenz, um die Zeitläufte schneller als andere zur Kenntnis zu nehmen und strategisch zu verarbeiten. Goldene Zeiten gehen irgendwann immer vorüber, aber in ihrer Gegenwart scheint das Hirn nicht vom Himmel zu fallen, sondern einzuschlafen.

Wenn Eon und RWE jetzt gemerkt haben, dass sie den Zug der erneuerbaren Energien nicht verpassen dürfen, dann sind sie nicht nur zu spät dran. Sie sind als Träger oder organisatorisch-betriebliche Hüllen dieser Energieformen völlig ungeeignet. Die Eon- und RWE-Aktionäre, in hohem Masse übrigens Städte und Gemeinden in NRW organisiert im Verband der kommunalen Aktionäre, sind reich geworden, weil diese Konzerne Monopole waren. Sonne und Wind dagegen werden dezentral zu Energie verarbeitet. Es sind nicht Großkonzerne, die diese Energien erzeugen und verkaufen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann lässt sie sich auf Balkonien erzeugen und erwirtschaften. Dafür sind Monopole schlicht überflüssig.

Solche Prozesse, quasi anarchisch-individualistisch, machen altgediente Sozialdemokraten gedanklich ziemlich fertig. Es gibt Ausnahmen wie den verstorbenen Scheer oder den alten Eppler, aber die waren immer Außenseiter in ihrer Partei. In NRW wurden die immer für bekloppt gehalten.

Jetzt schmilzen also Eon und RWE dahin, und mit ihnen mehrere tausend weitere traditionelle Industriearbeitsplätze. Stattdessen entstehen neue, die Wind- und Solarbranche hat längst ein Vielfaches an Beschäftigten wie der Bergbau. Aber niemand verbindet diese Tatsache gedanklich mit der SPD, noch weniger mit der von NRW. Sie stellt, wie immer, den Landeswirtschaftsminister. Aber niemand weiss, wie der überhaupt heisst. Geschweige, dass irgendjemand mal einen öffentlichen innovativen Impuls von ihm wahrgenommen hätte. Bekannter werden da schon verrückte Sozis, die samt Mandat zur AfD überlaufen, tragisch und mitleiderregend. Das wird nicht gutgehen bei der Landtagswahl.

Schadenfreude für die NRW-Grünen besteht nicht. Zwar sind ihre LandesministerInnen weniger schlecht und insgesamt fehlerloser. In der Koalition ziehen sie früheren öffentlichkeitswirksamen Konflikten heute einen friedlichen Kurs der Geräuschlosigkeit vor. Für den Preis des ebenfalls-nicht-mehr-bemerkt-werdens. Mobilisieren geht anders.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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