Der Migrationapakt und die Debatte um ihn ist ein hilfloser Aktionismus der Demokraten gegenüber der faschistoiden Propaganda der AfD. In der Debatte des Bundestages hätte die Chance bestanden, die AfD in ihrer Rolle als Vorksverhetzer, Lügner, Rassisten und Extremisten festzunageln. Stattdessen geriet die Diskussion teilweise zum Desaster der demokratischen Parteien und zum heimlichen ideologischen Punktsieg der Neofaschisten. Wider jedes bessere Wissen hatten vor einigen Wochen die AfD-Ideologen den UN-Migrationspakt, ein an sich mittelmäßig interessantes, weil nicht verbindliches und recht technokratisches Abkommen über humanitäre Mindeststandards und Regeln bei der Abwicklung von Migration auserkoren, um eine rassistische, volksverhetzende und bar jeder Realität angesiedelte Kampagne zu führen.

Die Diskussion hatte mit dem Inhalt des Abkommens nichts zu tun, diente der AfD ausschießlich dazu, die falsche Behauptung in die Welt zu setzen, der “Migrationspakt” sei irgendwie heimlich zustandegekommen und löse die Migration von “Millionen Afrikanern, die auf gepackten Koffern sitzen” aus. Spätestens bei dieser zutiefst rassistischen Anmutung wäre eigenltich klar gewesen, worum es der AfD ging, nämlich rassistische, volksverhetzende Lügen zu verbreiten und sich als verbale Hooligans zu betätigen. Aber eine deutliche Reaktion gegen die AfD blieb aus.

Statt dies herauszuarbeiten, die AfD wegen ihres rechtsextremen Tuns offensiv anzugreifen und als geistige Brandstifter zu ächten, bemühte sich sogar die geschätzte Bundestags-Vizepräsidentin der  “Linken” Petra Pau, darauf hinzuweisen, dass der Migrationspakt weder zu Masseneinwanderung, noch zu mehr Migration, sondern nur zum Gegenteil führen würde, nämlich dass Schleppern das Handwerk gelegt werde. Anstatt anzugreifen, begaben sich die RednerInnen aller demokratischen Partien auf das selbe Terrain der AfD der Flüchtlingsabschreckung.

Kein/e einzige/r Redner/in  machte deutlich, dass Migration natürlich IMMER ein Gewinn für die Einwanderungsgesellschaften bedeutet, dass sogar durch die Sozialleistungen, die Flüchtlingen gezahlt werden, das Bruttosozialprodukt gestiegen ist, in der Betreuung von Flüchtlingen 2015-2018 Langzeitarbeitslose in Arbeit gekommen sind, die sonst niemals in den 1. Arbeitsmarkt zurückgefunden hätten. Dass Flüchtlinge ganz wesentlich zum Wachstum beitragen, dass sie, wenn sie arbeiten, i.d.R. mehrere Jahre ins Sozialsystem einzahlen, ohne dies jemals auszuschöpfen, wenn sie nach 5-7 Jahren (so beim Kosovo) in die Heimat zurückkehren. Schon 1993 hat das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung in der damaligen Asyldiskussion nachgewiesen, dass Flüchtlinge einen volkswirtschaftlichen Milliardengewinn bedeuten.

Parlamentarier von heute haben weder den Mut oder es mangelt an Sachkenntnis, um diese Fakten der faschistischen Propaganda der AfD offensiv entgegenzuhalten. Solange dieses Faktum nicht bekannt ist oder nicht genannt wird, kann dem von der AfD und anderen Rechtsextremisten verbreiteten Irrglauben, Flüchtlinge “kosteten” den Staat nur oder “lägen uns auf der Tasche”, was angesichts des von ihnen in der Tat verursachten Wirtschaftswachstums nicht zutrifft, nicht widerlegt werden. Dieser mangelnde Mut, solche für rechte Propaganda unangenehme Fakten auszusprechen, zeigt, wie weit es der AfD und anderen Neonazis bereits gelungen ist, den allgemeinen öffentlichen Diskurs nach rechts zu verschieben.

In der Tat muss festgestellt werden, dass die meisten demokratischen Parteien bis hin zu Teilen der Grünen sich darin übertreffen, sich als die besseren Durchgreifer, Abschotter, Mißbrauchskontrollierer, Abschieber, Schlepperverfolger zu empfehlen und damit auf das Diskussionsmuster der rechten Ideologen einzugehen. So kann aber nicht wirkungsvoll und nachhaltig einer allgemeinen Rechtsentwicklung entgegen gewirkt werden. Ein aktuelles Beispiel hierfür sind die Vorschläge der Kandidaten im Zuge der CDU-Vorstandskandidaturen. Eine Woche, nachdem Merz die Änderung des Grundrechts auf Asyl und Spahn eine Abstimmung über den Migrationspakt öffentlich gefordert hatten, stiegen die Umfragewerte der AfD, die bis dahin gesunken waren, um zwei Prozentpunkte an. Die Erkenntnis, dass es nichts nützt, rechte Forderungen aufzunehmen, sondern Wähler trotzdem das Original wählen, musste schon die CSU bei der Landtagswahl machen. Im Gegensatz zu Markus Söder haben Merz und Spahn noch nichts gelernt.

Weder SPD, FDP, noch Grüne oder Linke verfügen derzeit anscheinend über eine wahrnehmbare Strategie, um der rechtsextremistischen Kampagne der AfD anders als durch Beschwichtigung und Beruhigung der Debatten im Bundestag zu begegnen, wobei sie versuchen die Unterstellungen der AfD immanent zu widerlegen, ohne diese aber in gebührender Form wegen ihrer Kampagne an sich anzugreifen. Dass etwa die Gelegenheit der Debatte über den Migrationspakt, über die die AfD offensichtlich Unwahrheiten verbreitet, nicht genutzt wurde, um die Verfassungsfeindlichkeit der AfD herauszustreichen, ist ein schwerer politischer Fehler. So werden die demokratischen Fraktionen auf Dauer nicht erfolgreich bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus sein.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net