Das, was sich die Bundesregierung angesichts des völkerrechtswidrigen Überfalls der türkischen Armee und ihrer verbündeten islamistischen Mörderbanden auf die Kurden und die Zivilbevölkerung im Nordirak leistet, ist ein Trauerspiel. Dort findet im Kleinen etwas statt, was im Jugoslawien-Konflikt “ethnische Säuberung” genannt wurde – das gezielte Vertreiben bestimmter Minderheiten oder Bevölkerungsgruppen und die “Besiedelung” des Territoriums mit arabischen Islamisten. Erdogan nennt dies Befriedung, Rußland spricht von einer “Schutzzone”. Diese zynische Diktion hat auch die öffentliche Diskussion bei uns längst übernommen. Soweit, so schlimm der Befund. Aber wie absurd verhält sich diese Bundesregierung, verhalten sich die Europäische Gemeinschaft und die NATO?

Anstatt mit Sanktionen und wirtschaftlichem Druck zu reagieren, der einzigen Sprache, die Erdogan versteht, verlegt man sich aufs Bitten und wagt nicht einmal ein Munitions- und Waffenembargo. Was hätten Hans-Dietrich Genscher oder Hans-Jürgen Wischnewski in dieser Situation getan? Sie wären zu Johnson und Macron, zu Putin, Assad, Erdogan und den Kurden und auch zu Trump gereist und hätten eine diplomatische Initiative ergriffen, zwischendurch sich in Brüssel mit Mogherini abgestimmt, selbst Wackelkandidaten wie Ungarn und Polen eingebunden und ausgelotet, wie eine Lösung aussehen könnte. Sie hätten dann eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats beantragt und dort eine Lösung des Konfliktes erarbeitet, der bestenfalls eine Stationierung von Blauhelmen oder robusten internationalen Kräften mit UN-Mandat beinhalten könnte. Das alles zunächst im Verschwiegenen, um den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, am Ende einer für alle gesichtswahrenden Lösung zuzustimmen. So funktioniert Diplomatie – reden, verhandeln, reden und vielleicht kommt dann der Erfolg. Das ist die handwerkliche Aufgabe von Außenpolitik. Das wäre die Aufgabe von Heiko Maas. Doch der macht sich einen schlanken Fuß und meint, es reiche doch, zu telefonieren und Erdogan gegenüber seine Empörung zum Ausdruck zu bringen. Er hat damit gute Chancen, als Außenminister “Tatenlos” in die Geschichte einzugehen.

Das Gegenteil von Handeln

Das scheint auch Annegret Kramp-Karrenbauer erkannt zu haben. Aber anstatt mit ihrem Kollegen zu sprechen oder den Koalitionsausschuss dafür zu nutzen, ihren Ministerkollegen einen Vorschlag zu unterbreiten, wie diese Regierung zu einem gemeinsamen Handeln in die beschriebene Richtung gehen könnte, sich ggf. im Sicherheitskabinett mit Maas und der Kanzlerin abzustimmen und einen entsprechenden Vorschlag in die NATO einzubringen, unternimmt sie einen öffentlichen Vorstoß, von dem sie wissen muss, dass er das Gegenteil von Handeln ist. Der in der eigenen Koalition unabgestimmte und in die Welt geplästerte Vorschlag einer internationalen Sicherheitszone unter Beteiligung Deutschlands wird nicht dadurch Realität, dass er per öffentlicher Diskussion zerfetzt wird. Wer so handelt, will gar nichts erreichen. Das ist, wie wir gerade erleben können, die garantierte Beerdigung erster Klasse im Parteienstreit wie nun geschehen. Kramp-Karrenbauer ist nicht dumm – warum macht sie das? Weil es ihr nicht um eine wirkliche Lösung der Krise, sondern parteipolitische Profilierung der Union und ihrer eigenen, angeschlagenen Person geht. Sie will die aktuelle Krise nutzen, um Wahlkampf zu betreiben und vielleicht auch, um zu unterstreichen, dass sie mehr Geld für die Bundeswehr braucht, es immer öfter zu Auslandseinsätzen kommen wird. Ihr Vorschlag entpuppt sich als Medienblase. In der Krise Syriens ist Ministerin Ratlos ebenso inkompetent wie Maas und Deutschland, die EU und NATO um keinen Schritt weiter gekommen.

Ministerin Ratlos und Minister Tatenlos bilden die Eckpfeiler der großen Koalition, führen Scheingefechte und Fakediskussionen. Das ist das Stoff, aus dem politischer Frust und Politikerverdrossenheit – nicht Politikverdrossenheit – genährt wird. So bedient man die Argumentationsmühlen der Populisten. Entweder wissen beide nicht, wie Politik in ihrem Amt funktioniert – schlimm. Denn eigentlich sollten es zumindest ihre Beamten und Stäbe wissen und ihnen raten – oder es ist noch schlimmer: Sie wollen ihren Job gar nicht ernsthaft ausüben, sondern sind nur darauf aus, folgenlose mediale Sprechblasen zu produzieren, um im nächsten Politbarometer um 0,1 Punkte zuzulegen. Das ist die Art zu regieren, die Typen wie Trump und Bolsonaro, Orban und Gauland, Salvini und Meuthen nach oben spült.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net