Vom Fußballkäfig in Gelsenkirchen-Bismarck in die Geopolitik ist ein weiter Weg. Da kann einer schon mal ins Stolpern kommen, Massstäbe und Orientierung verlieren. Sie zu behalten ist ja schon unter “normalen” Umständen nicht leicht. Mesut Özil ist jetzt 31, sehr, sehr reich geworden. Um die wenigsten seiner umfangreichen Angelegenheiten wird er sich noch persönlich kümmern können. Und wenn ers doch versucht passieren ebenso Unfälle, wie wenn es sein Familienmanagement für ihn zu übernehmen versucht.
Zur politischen Bewertung seiner neuesten Ereignisproduktion verweise ich auf Alina Schwermer/taz – alles richtig. Ergänzend würde ich hinzufügen: Özils Managementgruppe gehört zu den Weltmeistern im Bespielen der asozialen Medien. Politiker wie Erdogan finden Özil deswegen so geil, weil sie ihn um seine Medienmacht beneiden. So wie in früheren Jahrzehnten Kratzfüsschen bei Herrn und Frau Springer (oder Mohn) gemacht wurden, gehört der 31-jährige plötzlich zu den Mächtigen. Hat er es gut gelernt, mit dieser Macht umzugehen? Meine Antwort wäre klar: Nein. Aber das war sie bei Springer und Mohn auch.
Das andere ist sein Noch-Arbeitgeber FC Arsenal. Zunächst ein Lob an Wikipedia: der Eintrag zu diesem Verein ist sensationell. Früher bekam ich sowas zu Weihnachten geschenkt, in Büchern. Nachdem sich dort zuletzt ein russischer Oligarch breitgemacht hat, ist der mittlerweile rausgekauft, von dem US-Milliardär Stan Kroenke. Der lebt in (arrangierter?) Ehe mit Mrs. Ann Walton Kroenke, ungefähr genauso reich wie er, Wal-Mart-Erbin. Ich unterstelle, dass es beiden in erster Linie ums Business geht. Menschenrechte sind – in ihren Augen – wie vieles andere auch: zu kaufen. Dafür muss das Geld zunächst mal “verdient” werden. Özil zahlen sie gewiss genug, dass sie von ihm verlangen könnten, sich aus ihren Unternehmensstrategien herauszuhalten.
Mr. Kroenke hat seine Milliarden angeblich mit Immobilien verdient. In diesen Angelegenheiten ist London die Hauptstadt des weltweiten Grosskapitals. Das dürfte sein Motiv sein, den FC Arsenal zu kaufen – mit seinen VIP-Logen im “Emirates”-Stadion als Marktplatz und Verhandlungsort. So weit gut durchdacht. Dass der weltweite Immobilienmarkt immer identischer mit dem Markt für kriminelle Geldwäsche wird – auch dafür wird Mr. Kroenke gewiss Fachmann sein. Blöd und störend nur die Sache mit dem Fußball (nicht nur Özil). Der Verein kackt sportlich gerade ab (gestern 0:3 gegen ManCity), nur noch Neunter in der Premier League, ohne Aussicht auf internationale Wettbewerbe und Kapitaleinnahmen. Seit Arsene Wenger schlussgemacht hat, geht es nur noch steiler bergab. Statt Profit zu machen wird der Fußballkonzern gemolken. Das kann Mr. Kroenke noch weniger gefallen, als Özils Solo. Die chinesischen Fans werden sich ob mit oder ohne Özil neue Lieblinge suchen – wegen der schwachen Leistungen aufm Platz.
Neben Schwermers Argumenten kommen zwei Dinge politisch erschwerend und von Özils Clan unbedacht hinzu: sein Trauzeuge Erdogan hat andere Sorgen als mit dem verzogenen Ziehsohn zu spielen. Und mit dem Gegner China überhebt er sich sowieso. Mesut hat derzeit schon genug Mühe mit dem Ball; die Geopolitik mit oder gegen China ist eine ganz andere Gewichtsklasse.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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