Die CDU spielt mit dem Vertrauen der Wähler. 2018 drängte sie ihre beliebteste Politikerin Merkel aus dem Parteivorsitz und sackte prompt in den Umfragen ab. Dank Merkels Corona-Politik erholte sie sich, obwohl der Partei die Suche nach einer neuen Führungskraft aus dem Ruder gelaufen war. Der erste Wurf schlug fehl: Die neue Vorsitzende Kramp-Karrenbauer gab rasch auf. Den zweiten Wurf überrollt nun die Pandemie. Beim Übergang in die Zeit nach Merkel ist die CDU drauf und dran, sich zu zerlegen.

In die Schranken gewiesen

Während die Bürger um ihre Gesundheit und ihr Auskommen bangen, befasst sich die CDU mit sich selbst. Sie versinkt in Machtkämpfen um den Parteivorsitz, die Kanzlerkandidatur und um den Termin ihres Bundesparteitags. Viele Wähler schätzen Merkels Kurs der Mitte und die Union als Garanten für Wohlstand, Sicherheit und Stabilität. Doch dieses Vertrauen lässt gerade nach. Die ersten wenden sich enttäuscht ab. Je nach Umfrageinstitut verlor die Union in den vergangen Wochen zwei bis fünf Prozentpunkte.

Urheber des Machtkampfes, der sich nun schon über Jahre hinzieht, sind die Konservativen in der CDU. Sie finden sich nicht damit ab, in der Partei eine Minderheit zu sein. Sie arbeiteten an Merkels Niedergang und an einem Kurswechsel – ohne Rücksicht auf die Verluste, die sie der Union zufügen.

Die Konservativen wollen den Partei- und Regierungskurs ändern. Über ihren Machtanspruch wird der Abschied von Merkel für die Partei statt zur Chance zum Risiko. Dabei war es der CDU Ende 2018 nach langen Konflikten gelungen, die Konservativen in die Schranken zu weisen und sich neu aufzustellen.

Eifrige Nachahmer

Der rechte Flügel der Union kassierte drei Niederlagen. Der Aufstand gegen Merkel scheiterte. Sie blieb im Kanzleramt. Die Wähler bestraften die CSU bei der Bayern-Wahl für die Attacken gegen Merkel, nahmen der Partei die absolute Mehrheit und zwangen CSU-Chef Söder zum Kurswechsel. Beim Kampf um den CDU-Vorsitz schließlich besiegte Kramp-Karrenbauer Merz, den Exponenten der Konservativen.

Sie ließen trotz dieser Pleiten nicht nach. Sie respektierten das Abstimmungsergebnis des Parteitags nicht. Sie wollen es revidieren. Das erste Etappenziel war schnell erreicht: Sie nutzten einige läppische Anfängerfehler Kramp-Karrenbauers, um sie zu demontieren. Die CDU Thüringen, die Merz verbunden ist, ließ sich mit der rechtsextremen AfD ein und Kramp-Karrenbauer auflaufen. Ihr fehlten Kraft und Nerven, den destruktiven Landesverband an die Kandare zu nehmen. Sie kündigte ihren Rücktritt an.

Selbstverstümmelung war bisher das Markenzeichen der SPD. Seit Jahrzehnten zelebriert sie die Demontage ihrer Führungsspitzen – zum eigenen Schaden. Über ihre unerbittlich ausgetragenen Dauerkonflikte schrumpfte die einstige Volkspartei zur Kleinpartei. Dennoch finden die Methoden, mit denen sie sich immer wieder amputiert, seit einigen Jahren bei den Konservativen der Union eifrige Nachahmer. Mit Kramp-Karrenbauers Demontage gelang ihnen das Gesellenstück.

Rettungsring für den rechten Rand

Ihr Meisterstück haben die Konservativen bereits in Arbeit. Sie wollen die Union übernehmen. Sie wollen ihren Frontmann Merz, den die Partei bereits 2018 ablehnte, gegen das Votum des damaligen Parteitags als CDU-Chef, Kanzlerkandidat und Kanzler durchsetzen. Das Projekt scheiterte 2018, weil sich die Konservativen zu sicher waren, dass Merz zum CDU-Chef gewählt würde. Wie immer, wenn es darauf ankommt, unterließ er das Notwendige. Er sagte und tat das Falsche.

Das Projekt Merz droht den Konservativen erneut zu misslingen. Es hat bereits an Fahrt verloren und frisst sich allmählich fest. Der Schaden für die Union wächst stetig. Merz arbeitet daran, ihn zu vergrößern. Er spaltet die Union. Er treibt den Keil zwischen jenen Teil der Mitglieder, die mit ihm sympathisieren, und jenen Teil der Funktionäre, die ihn für unfähig halten, eine Volkspartei wie die CDU, die nächste Bundesregierung und die sie tragende Koalition zusammenzuhalten und zu führen.

Obwohl Merz viele Angriffspunkte für Kritik bietet, klammern sich die Konservativen an ihn. Sie und der rechte Rand der Union sehen ihn als Rettungsring. Der Erfolg der AfD hat den rechten Flügel der Union besonders stark verunsichert. Ein Teil ihrer Anhänger lief zur AfD über. Mit zunehmender Konkurrenz von rechts gaben sich die Konservativen in der CDU immer lauter und kompromissloser. Sie hoffen, Merz werde die AfD unter die Fünf-Prozent-Hürde drücken. Seine Kritiker in der Union befürchten, er werde wie einst Seehofer der AfD neuen Aufwind verschaffen.

Die Geschichte korrigieren

Wie die CDU hat auch ihre konservative Truppe Personalprobleme. Ihr bisheriger Vormann Schäuble, der Motor, der Merz in Gang hält, ist in die Jahre gekommen. Er gehört zur CDU Baden-Württemberg, deren rechter Flügel seit jeher gerne über den rechten Rand des demokratischen Parteienspektrums hinweg auslegt. Schäuble wäre vor 20 Jahren selbst gerne Kanzler geworden. Schon damals fand sich Merz an seiner Seite.

Der Plan ging nicht auf, weil Merkel die CDU vom damaligen Spendenskandal und seinen Urhebern schroff abgrenzte. In ihn war nicht nur ihr Vorgänger Kohl verstrickt, sondern auch Schäuble. Er musste Merkel den CDU-Vorsitz überlassen, Merz bald darauf den Fraktionsvorsitz. Das Lager der Konservativen erlebte den Verlust der beiden Posten als Katastrophe.

Heute arbeiten Merz und Schäuble daran, die Geschichte zu korrigieren. Obwohl Schäuble bereits 78 Jahre alt ist, will er in den nächsten Bundestag. An dessen Ende wäre er 83 Jahre alt. Der Pate der Konservativen will offenbar den Triumph, seinen Schützling an der Spitze von Partei und Regierung zu sehen, aus nächster Nähe genießen. Sollte Merz scheitern, wird Merz über die neue Niederlage vor Selbstmitleid zerfließen. Schäuble wird sie ertragen. Er ist gegen Niederlagen längst immun.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog des Autors, mit seiner freundlichen Genehmigung.

Über Ulrich Horn (Gastautor):

Begonnen hat Ulrich Horn in den 70er Jahren als freier Mitarbeiter in verschiedenen Lokalredaktionen des Ruhrgebiets. Von 1989 bis 2003 war er als Landeskorrespondent der WAZ in Düsseldorf. Bis 2008 war er dann als politischer Reporter in der Essener WAZ-Zentralredaktion tätig. Dort hat er schon in den 80er Jahren als Redakteur für Innenpolitik gearbeitet. 2009 ist er aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden. Seine Beiträge im Extradienst sind Crossposts aus seinem Blog "Post von Horn". Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe an dieser Stelle.