Gegenbündnis stellt Aktionen zum Tag der Demokratie diesmal online

Ausgerechnet am Tag der Demokratie, Samstag den 14. November, zelebrierten etwa 90 Faschisten wie jedes Jahr in Remagen ihre jährliche Propaganda-Gedenkveranstaltung für Soldaten, Hitlerjungen und Waffen-SS, die im Frühjahr 1945 in alliierten Kriegsgefangenenlagern verstorben waren. 800 Gegendemonstranten stellten sich ihnen entgegen, mit Menschenkette, Demo und Sitzblockade.
Seit 13 Jahren inszenieren Rechtsradikale jedes Jahr im November, dem Monat der Trauertage, in Remagen im nördlichen Rheinland-Pfalz ein sogenanntes „Heldengedenken“ für die in den alliierten Gefangenenlagern auf den Rheinwiesen, den sogenannten „Rheinwiesenlagern“, ums Leben gekommenen deutschen Kriegsgefangenen. Dieses Ritual hatten sich Führungskader des mittlerweile zerschlagenen „Aktionsbüro Mittelrhein“ in Ahrweiler ausgedacht. Mit von der Partie in Remagen sind regelmäßig die Partei „Die Rechte,“ „Der III. Weg“ und NPD-Mitglieder sowie Freie Kameradschaften und ehemalige Mitglieder des „Aktionsbüros Mittelrhein“.

Ein breites gesellschaftliches Bündnis in Remagen, Gewerkschaften, Jugendverbände, Parteien, Kirchen und der Asta des RheinAhrCampus engagiert sich seit Jahren gegen diesen Aufmarsch im Rahmen von Aktionen rund um den Tag der Demokratie. Zur Gegendemo kommen regelmäßig Antifaschisten aus NRW und Rheinland-Pfalz.

Von der Bonner Stadtgesellschaft, Sozialdemokraten oder Grünen habe ich dort höchst selten jemanden gesehen. Ganz zu schweigen von Kölnern. Zwar berichtet der General-Anzeiger regelmäßig über den Aufmarsch und die Gegenaktionen, die Landesgrenze scheint bei dennoch der Wahrnehmung politischer Geschehnisse im nördlichen Rheinland-Pfalz wie eine Wetterscheide oder ein Vorhang zu wirken. Ausnahme: die Jugendverbände der SPD und der Linken sowie die Antifa. Hingegen ist der DGB Koblenz sehr aktiv .

Die BonnerInnen zieht es wohl eher nach Köln, gegen Pro NRW oder die AfD demonstrieren.

Die Rheinwiesenlager auf der „Goldenen Meile“

In den Rheinwiesenlagern waren im Frühjahr 1945 in allen drei Besatzungszonen der Westalliierten mehr als sieben Millionen Kriegsgefangene in 17 Lagern interniert, Wehrmachtssoldaten, Waffen-SS, minderjährige Flakhelfer von der Hitlerjugend und alte Männer vom Volkssturm sowie einige Frauen.

Die drei Westalliierten USA, Großbritannien und Frankreich führten jeweils in ihren Besatzungszonen diese Lager, um Kriegsverbrecher und Werwölfe (Nazi-Partisanen) herauszufinden und die gefangenen Soldaten zu Aufbauarbeiten in den von der Wehrmacht zerstörten Ländern Europas zu transportieren. Es gab vom Oberrhein bis zum Niederrhein insgesamt 17 dieser Lager.

Die britischen Lager, so schreibt ein Militärhistoriker, seien besser ausgestattet gewesen als die französischen und die amerikanischen. Die Amerikaner hatten gar nicht mit einer solchen Menge an Gefangenen gerechnet. Die ganze Heeresgruppe B, die im Ruhrgebiet eingekesselt war, ergab sich „den Amis“, wie die US-Soldaten von den Deutschen genannt wurden, insgesamt mehr als 300.000 Mann gerieten auf einen Schlag in amerikanische Gefangenschaft. Die Franzosen hatten selbst kaum etwas zu essen, da die deutsche Besatzung in Frankreich fast alles geplündert und ins Reich abtransportiert hatte.

Als für die Unterbringung solcher Menschenmengen geeignetes Gelände boten sich die breiten Rheinwiesen auf der untersten Terrasse des Rheintales und die „Goldene Meile“, der fruchtbare Ackerbaugürtel, die Korn- und Gemüsekammer des Rheinlandes, an (wegen der goldgelben Farbe der reifen Getreideähren so genannt).

Überwältigt von solchen Massen an Gefangenen, zäunten amerikanische Pioniertruppen auf den Rheinwiesen zwischen Remagen und Sinzig schnell zwei große Flächen mit Stacheldraht ein, in die eine Großteil der Gefangenen verbracht wurde, zeitweise mehr als 270.000 Männer und ein paar Frauen.

Die Lager sollten Durchgangslager sein, die Gefangenen wurden erfasst, verhört, man suchte Kriegsverbrecher und Werwölfe (Nazi-Partisanen). Alle anderen arbeitsfähigen Männer sollten dann nach Frankreich abtransportiert werden zu Wiederaufbauarbeiten in der von den Deutschen ausgeplünderten Wirtschaft, vor allem im Bergbau und in der Landwirtschaft. Die Alten und die Minderjährigen, die man heute wohl als Kindersoldaten bezeichnen würde, also die Flakhelfer der Hitlerjugend, wurden so bald wie möglich entlassen. Im Frühjahr 1945 gab es keine ausreichende Verpflegung, die Leute hungerten und wurden krank.

In diesen höchst provisorisch errichteten Lagern herrschten katastrophale sanitäre und humanitäre Zustände. Die Insassen kampierten in der ersten Zeit unter freiem Himmel auf den Wiesen und mußten sich mit den Händen oder mit primitiven Werkzeugen Erdlöcher graben, die ihnen wenigstens ein bißchen Schutz vor Regen und Kälte bieten konnten. Viele wurden darin von den heftigen Regengüssen, die in diesem Frühjahr vom Himmel kamen, verschüttet. Erst später wurden Baracken errichtet.Allen hatte man zudem aus reiner Schikane ihre Mäntel oder Zeltplanen weggenommen. Die Amerikaner hatten noch in frischer Erinnerung, wie brutal die Waffen-SS bei der Ardennenoffensive in Malmedy amerikanische Kriegsgefangene ermordet hatte und gegen Zivilisten vorgegangen war.

Zwar orderten die Amerikaner rasch zusätzliche Verpflegung aus der Heimat, es dauerte aber etliche Wochen, bis die ankam und reichte bei weitem nicht aus. Zeitzeugen aus der Nachbarschaft berichteten bei der Eröffnung des Friedensmuseums in Remagen, dass die Bevölkerung den Hungernden Lebensmittel geben wollte und brutal daran gehindert worden seien. Selbst Familienangehörige durften ihre Verwandten nicht unterstützen. Nach der Übergabe an die Franzosen im Spätsommer 1945 wurde die Versorgungslage wieder schlechter, denn die Franzosen hatten selber kaum etwas und aßen erst mal die von den GIs zurückgelassenen Vorräte auf, wie sich ehemalige Lagerinsassen erinnerten.

Nach offiziellen Zahlen verstarben in beiden Lagern bei Remagen im Frühjahr 1945 1200 Insassen aufgrund von Hunger, Unterversorgung, und Durchfallerkrankungen. Der Journalist René Heilig beschrieb 2005 in der Zeitung „Neues Deutschland“ (hinter einer Paywall) die Lager als „Goldene Meile des Sterbens“.

Die Neonazis behaupten, es seien insgesamt in allen 17 Lagern in den drei Besatzungszonen eine Million Kriegsgefangene umgekommen und schaffen sich so einen Opfermythos. Und behaupten, es habe dort eine Massenvernichtung stattgefunden. Das ist durch nichts belegt.

„Trauerzug“ und Gegendemonstranten

Ein massives Polizeiaufgebot stand bereit, um die beiden Demonstrationen voneinander zu trennen. Auf dem Parkplatz hinter dem Bahnhof Remagen standen mindestens 30 Polizeibusse von Rheinland-pfälzischer Landespolizei und Bundespolizei. Auch Einheiten aus NRW waren hinzugezogen worden. Die Antifaschisten, meist junge Leute, sammelten sich vor dem Bahnhof, die Rechten mehrere hundert Meter entfernt auf dem Parkplatz auf der Rückseite. Vor dem Bahnhof erschallte quasi zum Empfang der Gegendemonstranten laute Gute-Laune-Musik von den Bläck Föss.

Drei Bündnisse stellten sich den Rechten entgegen: das Remagener Bündnis für Frieden und Toleranz, in dem Gewerkschaften, Parteien, Jugendverbände, Kirchen und einzelne Bürgerinnen aktiv sind, das Bündnis „NS-Verherrlichung stoppen“ , sowie das Bündnis „blockzhg“, dessen Aktivisten auch in den Vorjahren die Nazidemo blockiert hatten. Die Bonner Jugendbewegung hatte im Vorfeld auf der Hofgartenwiese öffentlich Sitzblockaden geübt.

An dem jüdischen Friedhof, der auf der Route der linken Demonstration lag, gab es eine Mahnwache.

Die drei Bündnisse agierten offenbar jeweils autonom. So ist es zu erklären, dass Teilnehmer der Menschenkette sich wunderten, dass manche der Zugereisten „Nie wieder Deutschland!“ riefen. Sie kannten die Antideutschen noch nicht. Ihnen war auch entgangen, dass es während der Veranstaltung schon zu einer Sitzblockade und einem Polizeikessel gekommen war.

Demo und Blockaden unter Corona-Bedingungen

Für beide Demonstrationszüge und alle Aktionen galten die polizeilichen Auflagen: Maske auf, Abstand mindestens 1,5 Meter zwischen den Demoreihen. Immer nur drei Personen durften nebeneinander marschieren. Nicht singen. Bei der Aufstellung der Linken und Antifa vor dem Bahnhof sprühten junge Leute Abstandsmarken auf die Straße. Die Menschenkette half sich mit Bändern zwischen den Gliedern.

Ziel der Nazis und der Gegendemo war das ehemalige Lagergelände am Rheinufer, auf dem seit 1970 eine Friedenskapelle mit einer schwarzen Madonnenfigur steht. Die „Schwarze Madonna“ ist umkämpft, weil sie von einem Kriegsgefangenen aus Lehmerde und Bort gefertigt wurde, der auf Adolf Hitlers Liste der „Gottbegnadeten Künstler“ stand. Die Gegendemonstranten verhüllten die Friedenskapelle mit Tüchern, damit die Nazis sie nicht sehen können. Direkt gegenüber liegt der RheinAhrCampus der Fachhochschule. Dort stellte das linke und bürgerliche Bündnis eine Menschenkette auf. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer schickte ein Video mit einem Grußwort zum Tag der Demokratie, der Bürgermeister und der Landrat ebenfalls.

In hundert Metern Entfernung von der Kapelle zelebrierten die Rechten unter lautstarkem Protest der GegendemonstrantInnen martialisch mit gesenkten schwarzen Fahnen, umrahmt von Fahnenträgern mit schwarz-weiß-roten Fahnen, ihre Geschichtsklitterung. Bei dieser Veranstaltung erhob sich so viel wütender Aufruhr bei der Antifa, dass die Demonstrationsleitung per Lautsprecher zu Abstand und Ordnung ermahnen mußte. Die Szene sollte wohl an einen militärischen Aufzug zur Soldatenehrung erinnern. Ein Redner rief: „Ich rufe die Toten der Kriegsmarine“; die anderen antworteten: „Hier!“, „Ich rufe die Toten der Waffen-SS!“ Antwort im Chor „Hier!“. Und so weiter – mit den Toten der Hitlerjugend, der Wehrmacht, und den Zivilisten im Bombenkrieg, bei dem sie sich zu der Bezeichnung „Bombenholocaust“ verstiegen. Danach zogen sie, begleitet von der Polizei, zum Bahnhof zurück.

Das „blockzhg-Bündnis“ blockierte die Route der Nazis und wurde von der Polizei bis zum späten Nachmittag umzingelt – ohne Rücksicht auf die vorgeschriebenen Corona-Abstandsregeln. Es habe einige Verletzte gegeben, schreibt das Bündnis auf Twitter.

Die Polizei Koblenz teilte auf Anfrage des Beueler Extradienstes mit, dass sie 89 Strafanzeigen für Landfriedensbruch stellen wolle.

Faschisten und Coronaprotest

Die Präsenz der Rechten bei diesen Aufmärschen in Remagen scheint abzunehmen. Waren es 2017 noch 200 Personen, so waren es vergangenen Samstag nur 90.
Ein Grund könnte folgender sein: Seit Jahren wird nach Angaben eines Sprechers von „remagen-nazifrei“ der Aufmarsch von Dortmund im Ruhrgebiet aus organisiert, nicht mehr von lokalen Kräften. Dort gibt es zwei Häuser, ähnlich wie bis 2011 das “Braune Haus“ in Bad Neuenahr/Ahrweiler, in denen Nazi-WGs wohnen und die Szene vernetzen. Möglicherweise ist jetzt Dortmund das neue Aktionszentrum der Faschisten und nicht mehr das schöne Ahrtal.

Bonn polizeifreie Zone?

Aber ich habe auch eine andere Erklärung gehört: die restlichen Nazis sollen zur Corona-Demo in Bonn gegangen sein. Sie hätten gewußt, dass wegen des Aufmarsches in Remagen Bonn quasi polizeifrei wäre und die Gelegenheit genutzt, heißt es aus Kreisen wohlinformierter Linker aus Bonn.

In Remagen hielten sie sich an die Vorgaben der Polizei, da hatten sie Masken auf – manche mit den Farben schwarz weiß rot – und hielten sich an die 1,5 Meter-Abstände.

Hinweis: dieser Beitrag wurde am 19.11. abends durch eine korrigierte und überarbeitete Fassung ersetzt.

Über Annette Hauschild / Gastautorin: