Oder auch nicht: Laschet
Wie gewonnen, so zerronnen? Mit Beginn der Pandemie sprang die Union aus der Versenkung. Seit dem ersten Corona-Tag gaben ihre Politiker Merkel, Söder, Spahn, Altmaier und Laschet den Ton an. Ab dem Frühjahr 2020 stieg sie in drei Monaten von 26 auf fast 40 Prozent. Heute ist sie auf 34 Prozent zurückgerutscht. Ausgerechnet im Wahljahr 2021 kann es noch tiefer gehen.
Rückenwind verloren
Die Wende zum Schlechten vollzog sich um die Jahreswende. Als der Impfstoff zum Greifen nahe war, verlor die Union den Rückenwind. Der Impfstoff, von dem sich die Bürger das Ende aller Beschwernisse versprachen, entpuppte sich als Mangelware. Die Rückkehr zur Normalität geriet schlagartig außer Reichweite.

Viele Menschen und Unternehmen sehen ihre Hoffnungen enttäuscht, werden ungeduldig und gereizt. Der Unmut wächst. Er richtet sich vor allem gegen die Union, die in den vergangenen Monaten die Pandemiepolitik bestimmte. Heute weht den Politikern von CDU und CSU der Wind ins Gesicht.
Zweite Welle begünstigt
Als die Hoffnung auf eine schnelle Erlösung durch den Impfstoff platzte, rückten die Fehler der Pandemiepolitik in den Fokus. Schwer zu finden waren sie nicht. Sie wurden lauthals kritisiert und kleinlaut eingestanden. Zur Angst vor dem Virus gesellte sich die Furcht vor den negativen Folgen der politischen Fehler.

Der erste Lockdown aus dem Frühjahr 2020 war im Frühsommer schnell und fast ohne Schutzbedingungen gelockert worden. Die rasche, weitgehend bedingungslose Rückkehr zur Normalität erwies sich als verhängnisvoll. Sie begünstigte die zweite Infektionswelle.
Zu wenig gekümmert
Zu allem Übel unterließ es die Runde der Ministerpräsidenten auch, den zweiten Lockdown im Herbst frühzeitig zu starten. Dieses Versäumnis ließ die zweite Welle hochschlagen. Ihre vorhersehbare, leichtfertig riskierte Wucht verlängert nun den zweiten Lockdown. Er vergrößert die Ungeduld und den Unmut vieler Menschen.

Ihr Zorn trifft vor allem jene Unionspolitiker, die im Kampf gegen die Pandemie entscheidende Positionen innehaben. Bundesgesundheitsminister Spahn und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen (CDU) haben zu wenig Impfstoff bestellt und sich zu wenig um dessen Produktion gekümmert.
Unachtsam aufs Spiel gesetzt
Sie unterließen es auch, die Bevölkerung darauf vorzubereiten, dass in den ersten Monaten nach dem Impfstart nur wenig Impfstoff zur Verfügung stehen würde. Die Liefermengen bleiben weit hinter den Erwartungen der Bürger zurück.

Viele Menschen sind auf Spahn und von der Leyen schlecht zu sprechen. Ihrer Nachlässigkeit werden viele Corona-Opfer und große wirtschaftliche Schäden zugerechnet. Viele Existenzen wurden unachtsam aufs Spiel gesetzt. Viele gingen verloren.
Vertrauen geschrumpft
Die Runde der Ministerpräsidenten trug ihren Teil zu diesem Elend bei. Sie unterließ es, die Impfstoffproduktion ins Zentrum ihrer Pandemiepolitik zu rücken. An vielen Stellen offenbart die Pandemie die Defizite der deutschen Politik. Ihr unangenehmster Defekt: Sie ist es gewohnt, betulich zu verwalten. Sie ist nicht darauf trainiert, entschlossen zu gestalten.

Der Mangel an Impfstoff weckte den Argwohn der Bürger. Er lässt ihr Vertrauen in die Politik schrumpfen. Entgeistert stellen die Menschen fest: Es wird bis in den Mai hinein dauern, ehe allein die Risikogruppe der über 80-Jährigen geimpft ist.
Hechelnd hinterherlaufen
Die Impftermine für die jüngeren Altersgruppen rücken immer weiter in die Zukunft. Diese Gruppen sehen verärgert, dass ihre Altersgenossen in den USA, Großbritannien und Israel längst geimpft sind oder demnächst geimpft werden.

Deutschland hinkt nicht nur beim Impfen hinterher. Während in Nachbarländern längst getestet wird, was das Zeug hält, hielten sich die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten lange zurück. Seit sie befürchten, die Stimmung in der Bevölkerung könnte sich gegen sie richtet, laufen sie nun hechelnd hinterher.
Außer Kontrolle geraten
Dass es ausgerechnet in Deutschland an Impfstoff mangelt, können viele Bürger nicht nachvollziehen, wurde doch hier Impfstoff entwickelt. Dass die Lieferung einer großen Menge ausgeschlagen wurde, empört die Bürger und vergrößert ihre Sorge, den Politikern könnte die Kontrolle der Pandemie entgleiten.

Furcht vor dem Virus und Mangel an Impfstoff mischen sich mit der Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang. Anders als die Abgeordneten und Minister mit ihren garantierten Diäten pfeifen immer mehr Bürger finanziell auf dem letzten Loch. Es wird mit jedem Versäumnis der Politiker und mit jedem Zeitverzug größer.
Immer wieder ausgeschert
Unter diesen Bedingungen irritiert es viele Bürger, dass es dem Kränzchen der Ministerpräsidenten bei der Kanzlerin zunehmend schwerfällt, sich auf Maßnahmen gegen das Virus zu verständigen. Schon Tage vor den Treffen eifern die Länderchefs darum, aller Welt zu demonstrieren, wie uneins sie sind.

Sie setzen widersprüchliche Botschaften in die Welt, die oft nicht einmal einen Tag lang Bestand haben. Ihre Vereinbarungen sind oft ebenfalls nur von kurzer Dauer. Immer wieder scheren Ministerpräsidenten aus. Dem Kampf gegen das Virus ist anzumerken, dass er Teil des Bundestagswahlkampfes geworden ist.
Unerwartete Schwächen gezeigt
Die Union genießt den Ruf, in Wirtschaftsfragen und Krisenlagen vor allen anderen Parteien kompetent zu sein. Dieser Vorteil schwindet von Woche zu Woche. Etliche Spitzenpolitiker von CDU und CSU zeigen unerwartete Gestaltungs- und Durchsetzungsschwächen.

Bis heute schafft es NRW-Ministerpräsident und CDU-Chef Laschet nicht einmal, in den Gesundheitsämtern seines Bundeslandes eine Software zu installieren, die es den Ämtern ermöglicht, bundesweit Daten abzugleichen und auszutauschen.
Senioren abgebügelt
Selbst die Vergabe der Impftermine an über 80-jährige begann in NRW nicht als Aufbruch, sondern als Desaster. Tagelang versuchten die Betagten, deren Kinder und Enkel vergeblich, Termine zu bekommen. Die Aktion war miserabel vorbereitet. Es fehlte an kundigem Personal und geeigneter Technik.

Der Ärger der Betagten und ihrer Familien über den stümperhaften, schlampig organisierten Impfstart schlug in Empörung um, als Laschet, statt sich für die Mängel zu entschuldigen, die frustrierten Senioren auch noch abbügelte.
Als Irrlicht erschienen
Wider die Erfahrung der Betroffenen behauptete er, der Impfstart wäre gelungen. Viele Senioren fühlten sich als Opfer miserabler Dienstleistungen des Landes nicht nur schlecht behandelt, sondern auch noch verhöhnt. Der Ministerpräsident erschien ihnen als Irrlicht. Sie mussten annehmen, dass er entweder die Realität nicht kannte oder versuchte, sie schön zu reden.

Ohnehin hängt Laschet der Vorwurf nach, die Pandemie zu verharmlosen, seit er beim ersten Lockdown darauf drang, dessen wirtschaftliche Folgen zu berücksichtigen und ihn rasch zu öffnen. Die Wirtschaft applaudierte. Kritiker warfen ihm vor, es sei unverantwortlich, die Öffnung ohne Schutzkonzept zu propagieren.
In der Wagenburg verschanzt
Laschets realitätsfremde Reaktion auf die Impfpleite erinnert an die rot-grüne Vorgängerregierung Kraft. Sie präsentierte das Land gerne als Speerspitze des Fortschritts. Dabei wussten die Bürger genau, dass NRW in vielen Rankings auf hinteren Plätzen rangierte.

Kritik verstand die rot-grüne Koalition als Beleidigung. Kritiker der Missstände galten als Miesmacher. Das Innenleben der Koalitionsparteien entkoppelte sich von der Erfahrungswelt der Bürger. Besonders stark verschanzte sich die SPD-Landtagsfraktion in ihrer Wagenburg.
Den Senioren zu verdanken
Die Wähler bestraften den Realitätsverlust. Sie wählten Rot-grün 2017 kurzerhand ab. Laschet erhielt die Chance, das Land zukunftsfest zu machen. Dass er Ministerpräsident wurde, verdankte er vor allem jenen Senioren, die er beim Impfstart gerade brüskiert hat. Fast die Hälfte der CDU-Wähler sind älter als 60.

Diese Wähler sind leicht zu demotivieren. Sie nehmen es sehr genau. Sie legen Wert darauf, dass die Dinge funktionieren. Sie erwarten, dass es korrekt und respektvoll zugeht. Schlamperei und Fehler aus Nachlässigkeit vergessen sie so schnell nicht.
In die Büsche geschlagen
Aufmerksam dürften sie Laschets jüngste Volte registriert haben. Der CDU-Chef stellte jene Schutzmaßnahmen infrage, denen er in der Ministerpräsidenten-Runde seinen Segen gab. Laschet versucht, sich von Merkel und Söder abzusetzen und ihnen die Verantwortung für die sinkenden Sympathiewerte der Union anzuheften.

Der Versuch, sich aus der Mitverantwortung für die Pandemiepolitik zu stehlen und deren negative Folgen bei anderen in der Union abzuladen, stieß auf Kritik. Gegen den Vorwurf, er versuche, sich in die Büsche zu schlagen, entgegnete er verdruckst, man habe ihn falsch verstanden. Seine Äußerungen seien von den Medien überspitzt wiedergegeben worden.
Bürger ratlos gemacht
Auf diesem Niveau herumzueiern, ist heutzutage selbst in CDU-Ortsverbänden verpönt. Wer an der CDU-Basis weiß denn, ob Laschet in der Pandemie für Lockerung oder für Einschränkung steht? Wer an der CDU-Basis kann verbindlich darlegen, welche Position Laschet zur Pandemie vertritt? Wer in der CDU das nicht kann, wird es schwer haben, sie den Bürgern vor Ort zu erläutern.

Laschets Taktieren verärgert Parteifreunde, irritiert Sympathisanten und macht Bürger ratlos. Bisher waren es die Kanzlerkandidaten der SPD, die das Privileg beanspruchten, die Wähler vor den Kopf zu stoßen. Laschet scheint entschlossen, der SPD dieses Privileg streitig zu machen.
Spuren hinterlassen
Er verlängert die Reihe jener Unionspolitiker, die sich mit den Herausforderungen der Pandemie schwertun. Spahn scheitert daran, ausreichend Impfstoff zu besorgen. Altmaier schafft es nicht, Hilfen für die Wirtschaft zeitnah auszahlen. EU-Präsidentin von der Leyen bringt keine wasserdichten Verträge über Impfstoffe zustande. CSU-Chef Söder nervt die Bayern mit immer stärkeren Einschränkungen.

Die Fehlleistungen hinterlassen bei den Wählern Spuren. Die Union ist in Umfragen auf 34 Prozent abgesackt. SPD, FDP und AfD legen leicht zu. Söder verliert in Bayern stark an Zustimmung. Der Stimmungstrend für die Union weist nach unten.
Keine Sorge bereitet
Dem neuen CDU-Chef Laschet hängt der Vorwurf nach, er agiere in der Pandemie als Populist. Er hänge sein Fähnchen nach dem Wind. Die CDU-Fraktion im NRW-Landtag stärkt ihm eisern den Rücken. Wie jede ordentliche Regierungsfraktion versteht sie sich als Schutzschild ihres Ministerpräsidenten.

Auch sie neigt dazu, sich vor Kritik von außen abzuschirmen und sich in Ihrer Wagenburg gemütlich einzurichten. Der Rückzug dorthin ist der kürzeste Weg zur nächsten Wahlniederlage und zurück in die Opposition. Der Fraktion scheint ihre Lage keine Sorge zu bereiten. Sie fühlt sich in der Wagenburg offenbar wohl.
Spekulationen kursieren lassen
Dabei hat sie genügend Grund zur Sorge. Seit Monaten stehen die Maßnahmen gegen Corona und Laschets Karriere im Zentrum der NRW-Politik, für ein so großes Bundesland zu wenig. Laschet will Kanzler werden. Er bewirbt sich für den Bundestag. Seine Tage als Ministerpräsident sind gezählt. Über die Zukunft von NRW nach der Pandemie ist von ihm so gut wie nichts zu hören.

Schon wird er als Wanderer zwischen den Welten beschrieben, in Düsseldorf abgereist, in Berlin noch nicht angekommen. Über ihn und seine Nachfolge in NRW kursieren abenteuerliche Spekulationen. Er lässt sie munter sprießen. Die CDU-Landtagsfraktion nimmt sie gottergeben hin, als gäbe es die Wähler gar nicht. – Sie werden sich ihre Gedanken machen.

Über Ulrich Horn (Gastautor):

Begonnen hat Ulrich Horn in den 70er Jahren als freier Mitarbeiter in verschiedenen Lokalredaktionen des Ruhrgebiets. Von 1989 bis 2003 war er als Landeskorrespondent der WAZ in Düsseldorf. Bis 2008 war er dann als politischer Reporter in der Essener WAZ-Zentralredaktion tätig. Dort hat er schon in den 80er Jahren als Redakteur für Innenpolitik gearbeitet. 2009 ist er aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden. Seine Beiträge im Extradienst sind Crossposts aus seinem Blog "Post von Horn". Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe an dieser Stelle.