Diversity im Faschismus / Langsame Bahn, Wundersame Bahn LXXI
Ob Harald Projanskis/Junge Welt politische Weltsicht insgesamt satisfaktionsfähig ist, weiss ich nicht. Ausser in der Jungen Welt finde ich von ihm keine Veröffentlichungen. Ein Pseudonym? Vielleicht. Was er jüngst über die “Betreute Rechte” in Russland veröffentlichte, hat mich mindestens zum Denken angeregt.
Er füllt ein Riesen-Vakuum, das die deutsche Russland-Berichterstattung aus einer Kombination von sinnloser politischer Konfrontation und kostensparender Schwarz-Weiss-Zeichnungen in den letzten Jahrzehnten mutwillig erzeugt hat.
Das Interesse der herrschenden Klassen in Russland unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen Ländern. In erster Linie wollen sie ihre Herrschaft stabilisieren und stärken. Danach kommt erst mal ganz lange gar nichts. Weil sich herrschende Klassen verschiedener Länder zwar oft, aber nicht immer, vereinigen, kommt es immer mal wieder zu Konflikten und Kriegsgefahren. Ob Ihre und meine Interessen damit in Übereinstimmung zu bringen sind: ich meine allermeistens, fast immer: Nein!
Dafür bildet die schmerzfreie russische herrschende Klasse Projanski zufolge bestes Anschauungsmaterial. Absolut schmerzfrei wird mal kooptiert, mal ausgegrenzt und bekämpft, nach den Opportunitäten eines geradezu schon “reinen” Machiavellismus.
Ich weiss nicht, wie es Ihnen beim Lesen geht. Mich erinnerte die von Projanski beschriebene Praxis des Putin-Regimes mit oder gegen die russischen Faschisten stark an die des deutschen Inlandsgeheimdienstes. Ob bei der NPD, deren Verbot an seiner Infiltration scheiterte, ob die NSU-Mordserie oder das mutmasslich djihadistisch motivierte Breitscheidplatz-Attentat in Berlin 2016. Wurden die kriminellen Strukturen durch Geheimdienst-Angestellte beobachtet, oder gar am Leben gehalten? Unter Kontrolle gehalten ja offensichtlich nicht (die Verschwörungstheorie dazu würde lauten: doch!). Da hat der russische Geheimdienst dem deutschen einige “Handwerkskunst” voraus.
Unklar wie hierzulande die Merkel-Nachfolge ist Projanski zufolge die Putin-Nachfolge. Das ist nicht beruhigend.
Sie sollten den Text zügig lesen, weil die Junge Welt ihn in einigen Tagen in einem Paywall-Archiv verschwinden lässt.
10 Minuten längere IC-Fahrt für viele Tonnen CO2-Ensparung
Hendrik Auhagen/bruchstuecke verkündet ein “200%-Plus-Bahnkonzept” des VCD und des Bündnisses Bahn für Alle, das er zwar nicht verlinkt und ich im Originaltext auch nicht finde. Aber er überzeugt durch eine verblüffende Klarheit. Wenn der teure Geschwindigkeits-Fetischismus für die ICEs gebremst würde, könnte die Netzkapazität der Bahn ohne überteuerte Neu- und Tunnelbauten – die in der Regel sowieso immobilienkapitalistisch und nicht verkehrspolitisch motiviert sind – verdoppelt werden. Alle, die schon mal in Brühl oder Kalscheuren in einem Nahverkehrszug ausgebremst wurden, und das sind fast alle, die Bahn fahren, wissen wovon die Rede ist. Verspätete ICEs oder ICs müssen vorbeigelassen werden. So sammeln dann auch die anderen Züge Verspätungen.
Dem Gedanken eines funktionierenden Verkehrsnetzes widerspricht das, der Klassengesellschaft dagegen wird es gerecht. Bei einer Höchstgeschwindigkeit, wie sie für Autobahnen schon mit vollem Recht propagiert wird, könnten weit grössere Massen von Personen und Gütern zuverlässig von A nach B – und durch das gesamte Bahnnetz! – gebracht werden. Faszinierend gute Idee. Wird darum auch bestimmt von keiner der zur Wahl stehenden Parteien umgesetzt.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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