Beueler-Extradienst

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Strategie aus dem Schulbuch?

Hinter den Beitrag von Petra Erler im Extradienst würde ich gerne ein paar Fragezeichen setzen. Er klingt für mich auf den ersten Blick etwas nach Günter Verheugen, der ja mit im Mittelpunkt der verfehlten deutschen Russland-Politik stand – leider. Ich hielt eigentlich immer sehr viel von ihm. Er scheint zusammen mit seiner SPD irgendwie in den Schröder-Sog hineingeraten zu sein.

Was die russischen Territorialgewinne angeht, müssen wir einmal sehen. Es ist tatsächlich so, dass die momentan schwächere Seite (Ukraine) gerne in die Defensive geht, dem Gegner Geländegewinne erlaubt, für die er eine ca. 1 zu 4-Überlegenheit braucht und mit großen Opfern bezahlen muss, um gegen einen offensiv dann erschöpften Gegner (Russland) selbst in die Offensive zu gehen. Das ist traurig, aber das wäre – anders als Petra Erler meint – geradezu „schulmäßig“ und sozusagen normale Militärstrategie seit 200 Jahren (s. Clausewitz) und von Selenskij aktuell auch so angekündigt. Bald wissen wir mehr.

Verschiedene Kommentatoren sagen schon seit Tagen und Wochen, dass die Ukrainer sehr klug strategische Reserven aufgebaut und gerade nicht in die Mai/Juni-Schlacht im Osten der Ukraine geworfen haben. Die Ukraine spricht von 1 Mio SoldatInnen. Beobachter meinen, es könnten ca. 500000 sein. Zum Vergleich: die Russen hatten bei ihrem Einmarsch in die Ukraine 190000 Mann im Einsatz, von denen wohl ca 30000-40000 gefallen sind (der Vietnamkrieg kostete etwas über 50000 US-Amerikaner das Leben). Viele zehntausend Russen sind verletzt und insgesamt wohl nur noch weniger als die Hälfte unversehrt, aber sehr erschöpft. Das sind dramatische Verluste. Auch deswegen die von Putin angekündigte „operative Pause“.

Der Schulbuchstrategie gemäß hätte die Ukraine also auf den jetzigen Moment gewartet, um den „Kampf um die Initiative“ aufzunehmen und in die Gegenoffensive überzugehen. Ich weiß nicht, wie es in den nächsten Tage, Wochen und Monaten tatsächlich weitergeht, aber ich würde die Ukraine nicht unterschätzen und glaube, sie handelt (im Unterschied von wichtigen Teilen des deutschen Polit-Personals: „Gebt auf, Ukrainer, Euch bleiben nur noch wenige Stunden“ …) sehr professionell. Sie haben die Russen vor Kiew schon einmal in die Flucht geschlagen.

Was die ökonomische Relationen angeht, so beträgt die Übermacht wohl mehr als 20 zu 1 für den Westen, Kaufkraft rausgerechnet und überlegene Technik dann wieder reingerechnet. Beim etwas robusten Sojus-Beispiel von Frau Erler – auch in der DDR sagte man einmal, der „Towarisch baut robust“ – musste ich schon etwas schmunzeln. Auch der technische Rückstand auf der russischen Seite ist dramatisch. Von ihrem neuen Super-Panzer, von denen manche im Westen immer erzählen, gibt es nur ein handvoll Vorzeigeexemplare, die dann über den Roten Platz rollen. Auf dem Schlachtfeld sieht man immer mehr T62-Panzer aus dem Jahr 1962 (= Chrustschow gegen Kennedy ….).

Der Rusi-Artikel, den Frau Erler zitiert, hat insofern recht, als die westlichen Länder wohl die Munitionsproduktion runtergefahren haben. Aber am Beispiel des 2. Weltkrieges kann man ungefähr die Uhr stellen, wie lange das Hochfahren der Produktion dann wieder dauert. Das wäre dann auch eine Art „Kriegs-Keynesianismus“- irgendwie schräg und traurig, aber wahr.

Putin müsste jetzt eine Generalmobilmachung ausrufen. Die Rekrutierung von Strafgefangenen und Wagner-Söldner wird bei weitem nicht ausreichen. Aus Putins „Polizeioperation“ würde dann ungeplant ein großer Krieg. Bei der großen ökonomisch-technischen Unterlegenheit Russlands ist nicht klar – oder eigentlich doch ziemlich klar ist – wie der ausgehen wird, wenn der Westen zu etwa einem Viertel einsteigen würde. Das sind m.E. die Prognosen auf zwei, drei Jahre, die man auch im russischen Generalstab haben wird.

Hoffen wir, dass alles nicht so lange dauert, nicht so viele Menschen ums Leben kommen und die handelnden Figuren in Russland von ihrer Rhetorik runterkommen und erkennen, wie die Karten fundamental verteilt sind.

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Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.

Ein Kommentar

  1. Petra Erler

    Sehr geehrter Herr Olschanski,
    zwei Kommentare zu meinem Beitrag haben Ihnen offenbar nicht gereicht.
    Nun gut. Deshalb wiederhole ich gerne auch noch einmal:
    Sie argwöhnen, Günter Verheugen steckte hinter meinem Beitrag. Und nutzen Ihre antiquierte Sicht auf Frauen, um auf Günter Verheugen pauschal einzuprügeln.
    Wenn Sie mit ihm streiten wollen, äußern Sie sich doch bitte zu seinen öffentlichen Einlassungen.
    Ich möchte Ihnen erneut raten, Ihr Frauenbild zu überprüfen. Wenn Sie da schon nicht auf der Höhe der Zeit sind, wo dann?

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