Best of Nubbeldienstag: Chinas “Der Pate”, rassistische Täterfaszination, Biden in Ukraine, Fahrrad-Suvs

Wenn es ein “Markt” und nicht Macht wäre, dann hätten europäische TV-Anstalten die Sache längst angekauft und mit Übersetzung gesendet. Meine Neugier ist jedenfalls geweckt, weil sie es mir wohl nie zeigen werden, von Guan Xin, der bei overton unter Pseudonym schreibt: Fernsehfieber im Reich der Mitte – In China ist eine neue Serie angelaufen. Ein Straßenfeger, der das Land im Griff der Korruption zeigt. Ändern wird das Format freilich nichts.” Wie mag ein chinesischer Marlon Brando wohl aussehen?

Zur Ambivalenz der Sache gehört, dass Xi Jinping seinen Aufstieg zur Macht, wie so viele Diktatoren weltweit, mit einer “Anti-Korruptions-Kampagne” gelabelt hat (und labelt), die ihre materielle Grundlage in den gesellschaftlichen Verhältnissen fand. Guan Xins Darstellung der Publikumsreaktion zeigt, wenn sie zutrifft, den grossen Realismus ebendieses Publikums.

Rassistische Täterfaszination

Was Guan Xin als chinesische Täterfaszination beschreibt, haben wir weissen Deutschen auch. René Martens/MDR-Altpapier zitiert ausführlich aus einer Rede von Asal Dardan beim Augsburger Brechtfestival, und diese Zitate sind es wert, hier ausführlich weitergegeben zu werden:

“Es gibt eine Faszination für Täter. Genau dieser Faszination gilt es entgegenzuwirken, weil jeder Täter zur Inspiration wird, vor allem, wenn sich gesellschaftlich nicht genug bewegt. Darum sagt man zu Recht, dass es nicht um die Täter, sondern um die Ermordeten gehen muss. Das Innenleben und die Entwicklung des Täters interessieren mich nicht. Was mich interessiert, ist, wie geschickt der Täter aus Hanau zum anderen wurde, gemacht wurde, ausgelagert wurde, von einer Gesellschaft, die nun drei Jahre nach seiner Tat die Frage verdient: Warum seid ihr so sicher, dass er mit euch nichts zu tun hat? Die Opfer mit ihren Namen, ihren Gesichtern und Geschichten, sie sind ohnehin andere. Sie sind schon vor ihrem Mord Projektionsfläche, sind jene, die bei Döner-Morden und Shisha-Morden draufgehen, sind jene, die zu Kopftuchmädchen und Messermännern erklärt werden.

Auch der Täter mit seinen Wahnvorstellungen wurde zum anderen gemacht. Seine Gewalt irre, seine Gedanken irre. Das sagten Politiker*innen aus allen Parteien, so stand es in Medienberichten und Kommentaren. Auf diese Weise kann das deutsche Selbstverständnis unversehrt bleiben. Ja, der Täter war psychisch krank, wurde mit paranoider Schizophrenie diagnostiziert. Er hatte einen Verfolgungswahn. In diesem Wahn, den er sehr artikuliert und ruhig erklären konnte, machte er sehr bestimmte Menschen zur Bedrohung, die auch ganz ohne Wahnvorstellungen immer wieder als bedrohlich dargestellt werden. Über diese Überschneidung zwischen dem individuellen Wahn eines psychisch kranken Mannes und einer Gesellschaft, in der er aufgewachsen ist – in der er Waffen besessen hat –, kann im öffentlichen Diskurs nicht immer wieder hinweggegangen werden.

Wussten Sie, dass migrantische Jungs häufig gemeinsam auftreten, sich in Gruppen durch die Öffentlichkeit bewegen, aus Selbstschutz? Und nun werden sie in diesen Gruppen zu Gefährdern erklärt, alle auf einmal, einfach so, ohne Blick auf die Hintergründe oder die gesellschaftlichen Verhältnisse, als hätten wir keine Erfahrung damit, was passiert, wenn man mit solch grausamem Blick auf Menschen schaut, wenn man Individuen für Projektionen heranzieht, in denen ganze Gruppen, Kulturen, Phänotypen als gefährlich gebrandmarkt werden. Dem Täter von Hanau reichte es jedenfalls nicht, auf diese Weise auf sie zu blicken. Er wollte sie auslöschen. Er hat acht Männer und eine Frau hingerichtet. Sie sahen für ihn aus wie die Menschen, über die unsere Politiker*innen und unsere Medien auf diese Weise sprechen und schreiben. Das Schreckgespenst des bedrohlichen Fremden, des anderen.”

Ukrainekrieg

Florian Rötzer/overton betrachtet Biden in Kiew: Was steckt hinter der Inszenierung? – Der US-Präsident konnte bei seinem Besuch auf russische Zurückhaltung vertrauen. Nach außen demonstrierte er anhaltenden Rückhalt”.

Ulrich Heyden/overton begleicht eine Rechnung mit DLF-Redakteurin Sabine Adler, die mich grundsätzlich wenig interessiert, meine Kritik an deutscher Kriegsberichterstattung aber durchaus artikuliert: Deutschlandfunk: ‘Russland verschleppt blonde, ukrainische Kinder’ – und wo sind die Fakten? – Seit dem Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine Ende Februar 2022 behaupten große deutsche Medien und Politiker wie Annalena Baerbock oder der SPD-Abgeordnete Michael Roth, Russland ‘verschleppe’ Kinder aus der Ukraine nach Russland. Man stützt sich dabei auf den ukrainischen Präsidenten Selenski, der behauptete Russland habe 11.000 Kinder ‘verschleppt’. Ukrainische Medien nennen gar die Zahl von 230.000 nach Russland verschleppten ukrainischen Kindern. Ulrich Heyden, der im letzten Jahr mehrmals in Donezk und Lugansk war, hat den Vorwurf der „Deportation“ untersucht.”

Wissenschaftlich war die Ukraine-Berichterstattung in den ersten Kriegsmonaten von Autoren im Auftrag der Otto Brenner Stiftung untersucht worden. Sie haben nun einen “Endbericht” vorgelegt, der ihre ersten Schlüsse bestätigt. Warum die Autoren den Spiegel positiv herausheben, entzieht sich meiner Kenntnis, weil ich diese bezahlmauerte Festung des deutschen Journalismus nicht lese. Bilden Sie Ihre Meinung selbst.

Wenn Sie wissen wollen, was Deutschlands Herrschende denken, müssen Sie die Presseschau des DLF hören. Der zitiert heute das Handelsblatt u.a. hiermit: “Die überraschende Reise des Präsidenten nach Kiew zeigt einmal mehr: Die USA sind und bleiben die Schutzmacht Europas. Nur wie lange noch?“ Das ist ihre Angst.

Darum wollen sie manches lieber nicht wissen. Liudmila Kotlyarova/Berliner Zeitung recherchierte das gegenwärtige “Aufklärungsinteresse” deutscher Konzerne und Behörden an der Pipelinesprengung: Nach Seymour Hershs Recherche: Das sagen deutsche Behörden zu Nord-Stream-ErmittlungenUnser Interview mit US-Journalist Seymour Hersh, der die USA der Angriffe auf die Nord-Stream-Pipelines bezichtigt, schlägt hohe Wellen. Wie lange schweigen deutsche Behörden noch?” Ich weiss nicht, wie es Ihnen damit geht. Mich erinnert das an die deutsche “Verkehrswende”, und das dafür zuständige Bundesministerium. Also alles ganz normal …

Fahrrad-SUVs

Tom Burggraf/taz: SUV-E-Bikes: Der Preis ist fast egal – Autos werden immer größer – Fahrräder auch. Was der Trend zum SUV-E-Bike mit der Klimabilanz macht.” Sarichdoch.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net