Wie der Komiker Loriot einmal das DDR-Fernsehen besuchte – Das „Kulturmagazin“ des DDR-Fernsehens wurde sogar in West-Berliner Zeitungen gelobt. Unser Autor war dort Moderator. Hier erzählt er, was er mit Loriot als Gast erlebte.

Vermutlich wäre Vicco von Bülow aus allen Wolken gefallen, hätte ihm jemand prophezeit, dass das Bundesministerium der Finanzen seinen 100. Geburtstag zum Anlass nehmen würde, seinen Künstlernamen nebst Markenzeichen zu versilbern. Numismatiker aber dürfen sich freuen. Für den Herbst dieses Jahres ist eine 20-Euro-Sammlermünze angekündigt, die auf der Bildseite jenen „Rosenkavalier“ zeigt, auf den Autogrammsammler hoffen durften, wenn Loriot in ihrem Beisein seinen Namenszug auf ein Blatt Papier setzte.

Den berühmten Knollennaseweis mit der Blume im Mund hat Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow auch vor mehr als vier Jahrzehnten bereitwillig gezeichnet, als mein Freund und Kollege Alfred Roesler und ich ihn zu einem Interview für das „Kulturmagazin“ des DDR-Fernsehens baten. Mitte der 70er-Jahre waren wir nach dem Studium zeitgleich in die Medienbranche eingestiegen. Da hatten die gestandenen Mitarbeiter der Redaktion Kulturpolitik die Ressorts längst untereinander aufgeteilt.

Also machten wir aus der Not eine Tugend, legten es nicht darauf an, den Alteingesessenen ihr publizistisches Gewerbegebiet streitig zu machen, sondern bildeten ein Team und stürzten uns auf jene Sujets, denen die Etablierten nichts abgewinnen konnten oder wollten. Die Redakteurin, in deren Beritt die ernste Musik fiel, hatte nichts dagegen einzuwenden, dass wir uns in der SpARTE Tonkunst für den Hausgebrauch für Reinhard Lakomy und dessen „Geschichtenlieder“ engagierten. Der Sachwalter der Cineasten gab sein Plazet, als wir einen Beitrag zum Animationsfilm „Hase und Wolf“ ins Gespräch brachten. Der Literaturredakteur, dessen Aufmerksamkeit üblicherweise Christa Wolf, Stephan Hermlin oder Hermann Kant galt, winkte generös jenen Programmvorschlag durch, der sich mit dem Mädchenbild in der DDR-Kinderliteratur befasste. Und die Kollegen, die ihre Kompetenz im Fach bildende Kunst in die Waagschale warfen, äußerten keine Vorbehalte, als wir uns für den Karikaturisten Manfred Bofinger interessierten.

„Kulturmagazin“ im DDR-Fernsehen: Programm mit Sonderstellung

Folgerichtig gab es auch keinerlei Einwände, als Roesler und Griebner die Anwesenheit Vicco von Bülows in Ost-Berlin – der Künstler war gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Jean Effel zu einem Gespräch der TV-Reihe „Eulenspiegels Probierstube“ angereist – zu nutzen gedachten, um einen Einspieler für das „Kulturmagazin“ zu produzieren. Die Sendung – 1973 gestartet, beginnend mit der 50. Ausgabe jeweils am Freitag vierzehntäglich in der sogenannten Zweitachse nach der Serie ausgestrahlt – nahm seinerzeit im Adlershofer Programm schon deshalb eine Sonderstellung ein, weil die Autorinnen und Autoren in ihren Filmbeiträgen mehrheitlich für jenes Betragen plädierten, das Bertolt Brecht „zu den größten Vergnügungen der menschlichen Rasse“ zählte: den eigenständigen Gebrauch der Denkwerkzeuge.

Dies war auch im Westteil der Stadt nicht unbemerkt geblieben. Zum Ärger der leitenden Genossen des Staatlichen Komitees für Fernsehen wurden gelegentlich ganze Nummern oder einzelne Beiträge des Magazins im Tagesspiegel lobend erwähnt. So auch 1977, in jenem Jahr, als wir Loriot zum Gespräch baten. Der Artikel der Rezensentin bezog sich auf ein Interview mit dem Moskauer Trickfilmregisseur Fjodor Chitruk.

Originaltext Ursula Schaaf: „Als kritischer Bürger meldete er Kritik am Fernsehen an, besonders, was die Vermittlung seines Metiers betrifft. Da schäme er sich manchmal, daß Unqualifiziertes angeboten und vom Publikum akzeptiert werde. Die Programmgestalter hätten doch eine ungeheure Kraft in ihren Händen: ‚Macht doch was Gescheites daraus.‘ Eine Mahnung, die das ‚Kulturmagazin‘, das Chitruk vorstellte, eigentlich immer befolgt, aber nur viel zu selten und zu kurz Gelegenheit dazu hat.“

Gerechnet vom Veröffentlichungsdatum dieses Artikels an sollten nur anderthalb Jahre ins Land ziehen, bis einer kompletten Ausgabe des „Kulturmagazins“ – vorangegangen war die Ausstrahlung von Egon Günthers „Ursula“ und Frank Beyers „Geschlossene Gesellschaft“ – nach der Studioaufzeichnung die Abnahme und damit die Freigabe zur Sendung verweigert wurde. Im Zuge weiterführender Ermittlungen unter Aufsicht der Abteilung Agitation im Zentralkomitee der SED gerieten etliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Redaktion in Verdacht, an konterrevolutionären Aktivitäten im Staatsfernsehen der DDR beteiligt gewesen zu sein. Was für die Betroffenen und das Format fatale Folgen hatte. Aber das ist nicht nur eine andere Geschichte, sondern zugleich ein weites, durch die Zeitenwende im Jahr 1989 weitgehend abgeerntetes Feld.

Loriot: Ein Moralist mit Zeichenstift?

Das Interview mit Vicco von Bülow fand auf einem Sitzmöbel statt, das der Gast als Moderator seiner vom Süddeutschen Rundfunk und Radio Bremen präsentierten TV-Shows seit den 60er-Jahren bestens kannte: einem dem legendären Loriot-Sofa nachempfundenen Requisit. Unser Gegenüber wertete das stante pede als Einladung zu einem Heimspiel.

Gleich zu Beginn des Dialogs auf Standardfragen angesprochen, auf die er möglicherweise Standardantworten im Repertoire habe, hub der Grandseigneur des blitzgescheiten Humors launig zu erklären an, weshalb Loriot „Loriot“ heiße, und gab im selben Atemzug seine Ansichten zum Thema „Erziehung des Publikums – ja oder nein?“ preis. „Es gibt in Mecklenburg den Vogel Pirol. Nicht nur in Mecklenburg, aber in Mecklenburg heißt er unter anderem Vogel Bülow. Weil er einen Ruf hat, der diesem Namen ähnelt. Und auf Französisch heißt der Vogel Bülow oder der Pirol ‚Loriot‘. – Und das andere war das mit der Erziehung des Menschen durch Satire. Wir Karikaturisten möchten das immer gern, aber ich glaube, die Aussichten sind gering. Aber wir versuchen es halt und lassen nicht nach in der Bemühung.“

Die Eisbrecherfrage hatte ihren Zweck erfüllt, wir waren von der ersten Minute an mitten im Gespräch. Die Anspielung, wie er als hauptamtlicher Unruhestifter es denn mit seinem Häuschen und dem Gärtchen halte, veranlasste von Bülow zu der Erwiderung, dass ein kritischer Geist auch willens und in der Lage sein müsse, die Komik in seinen eigenen Lebensumständen zu entdecken. Dafür bekannte er wenig später freimütig, dass er sich zwar täglich ein fixes Arbeitspensum verordne, dieses Versprechen an sich selbst allerdings nur selten einlösen könne. Denn bisweilen hänge ihm die Arbeit, wie seinem Visavis doch sicher auch?, einfach zum Halse heraus. Ein andermal hingegen gebe es Momente, in denen er mit dem Zeichengerät auf bestem Wege sei. An solchen Tagen fahre er die früheren Verluste mühelos wieder ein.

Besonders ist mir seine Antwort auf jene Frage in Erinnerung geblieben, in der wir von ihm wissen wollten, ob er – dem Bild zufolge, das Vicco von Bülow von Loriot habe – als „Moralist mit dem Zeichenstift“ zu verorten sei. „Es schmeichelt mir, aber ich möchte es doch nicht so gern bejahen. Denn Moral hat oft nichts mit Witz zu tun. Und in erster Linie möchte der Humorist auch gerne komisch sein. Und darum muss er manchmal die Moral aus dem Spiel lassen.“

Bevor ich Loriot bat, sein berühmtes Strichmännlein für unsere Zuschauer gut sichtbar vor der Kamera zu Papier zu bringen, lag mir eine letzte Frage auf der Zunge: „Ich möchte noch auf eine Eigenschaft zu sprechen kommen, die sowohl Ihrem als auch meinem Beruf zugehörig ist, die Neugier. Empfinden Sie Neugier als Laster oder als Tugend?“ „Ich glaube, dass die Neugier in unseren Berufen eine ganz entscheidende Tugend ist. Denn ohne die Neugier möchte man nichts erfahren. Und der, der nichts Neues mehr erfahren möchte, der lebt eigentlich nicht mehr.“

Der Beitrag wurde am 3. Juni 1977 im „Kulturmagazin“ ausgestrahlt. In der folgenden Redaktionssitzung erntete das Team Roesler & Griebner überwiegend freundliche Worte. Eine Ermahnung aus der Chefetage der Rudower Chaussee 3 blieb dem Interviewer jedoch nicht erspart. Ein Journalist des DDR-Fernsehens hätte sich, so lautete der Vorhalt, bei der Formulierung der finalen Frage mit einem Gesprächspartner aus der BRD niemals so komplizenhaft gemeinmachen dürfen. Statt ihn auf berufliche Berührungspunkte anzusprechen, sei in dieser Konstellation, das verlange schon der Klassenstandpunkt, strikte Abgrenzung geboten.

Der 20-Euro-Sterling-Silberling, der am 28. September 2023 zu Ehren des Cartoonisten, Karikaturisten, Komödianten, Drehbuchautors und Regisseurs Vicco von Bülow herausgegeben wird, soll die Randschrift tragen: „Ach was.“

Reinhard Griebner, geboren 1952 in Görlitz, arbeitete beim Fernsehen der DDR, später bei ORB und rbb. Er ist Autor zahlreicher Kinderbücher, Hörspiele und Erzählungen.

Über Reinhard Griebner / Berliner Zeitung:

Dieses ist ein Beitrag aus der Open-Source-Initiative der Berliner Zeitung. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert. Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0) und darf für nicht kommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.