Wie 60er-Jahre-Filme zu Erfolgsgrößen wurden

Am Tag der Deutschen Einheit oder zur Weihnachtszeit kommt das Fernsehpublikum hierzulande in den nostalgischen Genuss legendärer Schablonenfilme der 60er-Jahre: Noch einmal erregen Edgar Wallace und der edle Winnetou dann die Gemüter.

Westdeutsche Leinwandgrößen

Mal spielte er Harfe, mal hing er tot im Schrank. Der exzentrisch-exzessive Mime Klaus Kinski gehörte ebenso zum unentbehrlichen Darstellerteam der Edgar-Wallace-Verfilmungen wie fast die gesamte Garde westdeutscher Leinwandgrößen der 60er-Jahre. Darunter Elisabeth Flickenschildt, Karin Dor (vom Regisseur Harald Reinl entdeckt und weggeheiratet), Uschi Glas und die aufstrebende Brigitte Grothum. Oder Siegfried Schürenberg als Chef von Scotland Yard, der privat in seinem Haus in Berlin-Frohnau eine Heerschar obdachloser Katzen beherbergte.

Werner Peters war spezialisiert auf zwielichtige Gestalten, während Dieter Borsche, der 1963 in Rolf Hochhuths Bühnenstück „Der Stellvertreter“ Theatergeschichte schrieb, ein Gastspiel in „Die toten Augen von London“ gab. Die Detektiv- und Ermittlerrollen hatten die Rialto-Film und ihr Tausendsassa Horst Wendlandt (1924–2002) in erster Linie dem gut aussehenden Joachim Fuchsberger (der als Nachrichtensprecher vom Bayerischen Rundfunk abgeworben wurde) und dem Gentlemantyp Heinz Drache vorbehalten (der später als „Tatort“-Kommissar des Senders Freies Berlin mit seiner Eleganz Schiffbruch erlitt, weil im Fernsehen der 80er-Jahre der harte Ton von Kommissar Schimanski – Götz George – mit seinem Rekord beim Gebrauch des Wortes „Scheiße“ angebrochen war).

Als Bösewichter und Halunken brillierten neben Altmeister Fritz Rasp und dem grenzwertigen Klaus Kinski noch Pinkas Braun und Ex-Dracula Christopher Lee. Für den Humor der damaligen Zeit sorgte neben „Mr. Pumpernickel“ Chris Howland vor allem Trantüte Eddi Arent, dem der vielsagende Name „Barnaby“ verpasst wurde.

Alles begann 1959 mit dem „Frosch mit der Maske“, der zu einem Riesenkinoerfolg wurde – und endete peu à peu ab 1962, weil der Filius Matthias von Horst Wendlandt seinen Vater auf eine neue Idee brachte.

Erfolg der Karl-May-Filme

Der neunjährige Matthias sagte seinem Vater mit kindlichem Nachdruck, er solle sich von Edgar Wallace verabschieden und seine Filme mit den Stoffen von Karl May, mit Winnetou und Old Shatterhand, in Szene setzen. Als Belohnung für diese Geschäftsidee schenkte Horst Wendlandt seinem Sohn ein neues Fahrrad.

Heute will der 71-jährige Produzent und jetzige Chef der Rialto-Film nicht mehr unbedingt bei dieser über Jahrzehnte kolportierten Version der Anerkennung seiner Kindheitsidee bleiben. „Ich wusste ja auch, dass ein Erfolg von Karl-May-Filmen mir später ebenfalls etwas einbringen würde“, sagt er im Gespräch über den „Mythos Winnetou“.

1962 nahm die Erfolgsstory ihren Lauf. Bis heute sind der Tag der Deutschen Einheit und die Weihnachtszeit für öffentlich-rechtliche sowie für privat-kommerzielle Fernsehanstalten anscheinend Jahr für Jahr der beste Zeitpunkt, um die schwarz-weißen Wallace-Krimis oder die farbigen Filmrollen mit dem unsterblichen Winnetou aus den Regalen zu holen.

Der Erfolg der Streifen hing nicht zuletzt an den Regisseuren, an den Drehorten, der Musik und den Darstellern. Auch hier kam das erprobte Wallace-Prinzip zur Anwendung: klassische Akteure, gepaart mit humorigen Randfiguren. So kamen bei den Karl-May-Verfilmungen wiederum Eddi Arent, aber auch Ralf Wolter als drolliger Sam Hawkens sowie Heinz Erhardt als schrulliger Komponist im Film „Unter Geiern“ zum Zuge.

Beginn der Winnetou-Ära

Absoluter Kracher und filmhistorischer Höhepunkt jedoch war Horst Wendlandts Entdeckung des Winnetou-Darstellers Pierre Brice. Matthias Wendlandt berichtet darüber mit einem breiten Schmunzeln. Denn bei einem Empfang während der Berliner Filmfestspiele 1962 musterte sein Vater Pierre Brice so lange und so eindringlich, dass dieser den erfahrenen Berliner Filmproduzenten in eine falsche Kategorie einordnete und seinen Manager um Schutz und Hilfe bat.

Doch ganz anders als von Pierre Brice vermutet, hatte Horst Wendlandt seinen künftigen Winnetou-Darsteller entdeckt. Ein Volltreffer, wie sich in den folgenden Jahren herausstellte. Lex Barker und Stewart Granger als Old Shatterhand, die liebliche Marie Versini als Winnetous Schwester (synchronisiert von Ilse Pagé) und der junge Götz George komplettierten die Erfolgsgeschichte, die bis 1968 dauerte.

Da versuchte Wendlandts Berliner Konkurrent und zeitweiliger Kooperationspartner Artur Brauner vergeblich ein „Winnetou“-Revival. Erst Jahrzehnte später belegten besondere Tage im deutschen Alltag die Langlebigkeit von „Wallace“ und „Winnetou“.

Fantastisch ist bekanntlich die musikalische Untermalung der Karl-May-Filme aus dem Hause Wendlandt, die Martin Böttcher anvertraut wurde. Pierre Brice als Winnetou und die von Böttcher komponierte Titelmelodie wurden zu tragenden Säulen und zu Erfolgsgaranten der einmaligen Rialto-Projekte.

Lobende Erwähnung aus den Erfahrungen mit Zuschauerreaktionen hat Matthias Wendlandt noch für die Regisseure: für Alfred Vohrer, der 14 Wallace-Filme inszenierte, und für Harald Reinl, der bei „Wallace“ und bei „Winnetou“ am Werk war und später selbst Opfer eines Verbrechens wurde, als seine dritte Ehefrau – nach der Ehe mit Karin Dor – ihn 1986 im gemeinsamen Haus auf Teneriffa mit einem Küchenmesser erstach.

Abenteuerliches und Spannendes weiß Matthias Wendlandt von den Drehorten zu berichten, die durch die Zusammenarbeit mit einer jugoslawischen Produktionsfirma in der Karst-Landschaft von Kroatien lagen. Hunderte von einheimischen Kaskadeuren waren mit ihren Pferden stets zur Stelle – wo immer sie gebraucht wurden.

Wagenburgen oder Farmen mussten mühevoll in den kroatischen Nationalparks erbaut werden – heutzutage erledigen sich solche Baumaßnahmen durch Digitalisierung. Auf diese Weise spannte sich der Filmbogen vom „Schatz im Silbersee“ 1962 – sogleich ein Hit der ersten Güteklasse – bis zu Winnetous Tod. Daran wird Matthias Wendlandt allerdings nicht so gern erinnert.

Bis heute hat Rialto-Film die Wäschekörbe von Kritik- und Drohbriefen aufbewahrt, die das filmische Ableben des edlen Winnetou auslöste. Selbst ernst zu nehmende Todesdrohungen waren darunter.

Dass Winnetou unsterblich ist, wollte Matthias Wendlandt in Kooperation mit RTL 2015/16 beweisen, als zu Weihnachten 2016 der 2015 produzierte dreiteilige Fernsehfilm „Winnetou – Der Mythos lebt“ ausgestrahlt wurde.

Wie bei allen Versuchen nach der Zeit von Pierre Brice und Martin Böttcher hielt sich der Erfolg in Grenzen. Die alten Streifen sind wohl nicht zu übertreffen. Dabei ficht Wendlandt junior die aktuelle Diskussion um indigene Völker und um korrekte Benennungen und Bezeichnungen, die selbst das 50-jährige Playmobil-Jubiläum nicht verschont, nicht an.

Rialto-Film war stets stolz darauf, in den Karl-May-Filmen einen erkennbaren Gegenpol zur Darstellung in US-amerikanischen Angeboten zu liefern, in denen die Ureinwohner Nordamerikas meist als kriegerischer, mit Vorsicht zu genießender Menschenschlag vorgeführt wurden. Hier ähnelten Wendlandts Verfilmungen zuweilen den Vorgaben des Indianer-Museums in Radebeul zu DDR-Zeiten, das heute wieder Karl-May-Museum heißt.

Im Zuge der „Erbepflege“ durfte der bis dahin geächtete Karl May Anfang der 80er-Jahre in der DDR ebenso wie Martin Luther oder Friedrich der Große wieder neben Karl Marx bestehen („Der May ist gekommen!“), und sogar die Produktion von Karl-May-Filmen kam bis zum Ende des SED-Regimes in Schwung. Einmal mehr erwies sich: Den Winnetou in seinem Lauf halten weder Ochs’ noch Esel auf.

Alexander Kulpok ist Journalist und Autor. Er arbeitete im Sender Freies Berlin, zunächst im Jugendfunk, dann als Reporter, Redakteur, Moderator und schließlich lange als Leiter der ARD- und ZDF-Videotextredaktion. Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

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