Der Autor Guan Xin (Pseudonym)/overton ist für mich ein ständiger Quell von spannenden China-Informationen. Selten hält er sich mit Überbaugeschwätz auf, sondern berichtet aus dem wahren Leben. Und politökonomisch könnte es kaum Wichtigeres geben, als sein heutiges Thema: Der tiefe Fall des Immobilienriesen Evergrande – Das chinesische Immobilienunternehmen baute sich per Schneeballsystem ein Imperium auf, das nun vor seinem Ende steht. Wer hielt Evergrande den Schutzschirm auf?” “Wir” haben damit mehr Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten, als die meisten hierzulande glauben.

Die Demografie ist ähnlich. In China mag es aufgrund der langjährigen “Ein-Kind-Politik”, die als Beifang einen konfliktträchtigen Überschuss kontaktunfähiger Männer mitbrachte, radikaler aussehen (in Japan ist es übrigens ähnlich). Hierzulande kulminiert es im Gejammer über den “Fachkräftemangel”. Die “Boomer” gehen in Rente, ein “Pillenknick” nach dem andern betritt den Arbeitsmarkt und sieht sich in gestärkter Position gegenüber dem kleinen, mittleren und grossen Unternehmerkapital.

Beim deutschen Unternehmer rächt sich jetzt die Patriarchenkultur. Auszubildende gehen kein Bier mehr holen und fegen allenfalls aus eigenem Bedürfnis die Werkstatt. Auch 18-jährige können “Herrenjahre” beanspruchen, insbesondere was persönliche Ansprache und menschlichen Umgang betrifft. Das gefällt nicht jedem Chef. Daher der Mangel an fähigen Handwerker*inne*n.

Migrant*inn*en dito.

Unter den Milliarden Schwarzen dieser Welt spricht sich der Rassismus in Deutschland schneller rum, als er die Macht ergreifen kann.

No-Go-Areas breiten sich aus, statt von Staat und Gesellschaft bekämpft zu werden. Dann sollen sich die Rassisten doch selber pflegen. Oder ihre eigene Wohnung putzen. Oder sich Essen und Trinken servieren. Alles, was heute “Dienstleistung” genannt wird, wird wertvoller und teurer. Bei denen, die darunter leiden, entsteht Hass. Die meisten haben aber selbst die Ursachen dafür geschaffen.

Wie kommichdrauf – ach so, die Immobilienkrise. Tja, die Ähnlichkeiten sind doch frappierend. Die Unterschiede allerdings auch. Z.B. würde mich interessieren – Guan Xin schreibt das nicht konkreter – in welches “Ausland” der Herr Xu Jiayin seine 13 Mrd. € Fluchtkapital hat fliehen lassen. Denn solches Kapital flieht nicht nur gerne nach London, sondern auch nach Deutschland, und lässt sich hier von der Immobilienbranche waschen. Wie aktuell an René Benko zu sehen ist, ist dieses Geschäftsmodell nun auch in einer üblen Jauche gelandet …

Die chinesische Regierung lässt die betrügerischen Spekulant*inn*en nicht allzu lange frei rumlaufen. Und sie pustet ihnen auch kein zusätzliches Steuergeld zur Rettung in den Hintern. Es ist eher sensationell, dass die chinesische Realwirtschaft bislang nicht mehr in Mitleidenschaft gezogen wurde – wie es hier z.B. 2007/08 der Fall war, als die “Weltfinanzkrise” ihren Anfang mit der Hypothekenkrise in den USA nahm, mit der Deutschen Bank als führender Übeltäterin. Und mit Griechenland am unteren Ende, wie mir letzten Montag noch mal unschön im Ewald-Lienen-Film demonstriert wurde.

Wie schafft China das?

Wie schafft China das – bisher jedenfalls, muss ich vorsichtig ergänzen? Es muss was mit dem politökonomischen Vertrauen von Volk und Kapital in das autoritäre Regime zu tun haben. Einem Vertrauen, von dem ein Olaf Scholz noch nicht einmal träumen kann.

“Der Chinese an sich” hat in den letzten 100 Jahren schon “alles” erlebt, was schlimmer ist. Kolonialistische Überfälle, Völkermorde, Besatzungen, Zerstörungen durch Kriege wie durch katastrophale Wetterlagen inkl. des derzeitigen Klimawandels, Hungersnöte, mörderische Klassenkämpfe – alles hatten die schon. Und die meisten haben es noch selbst erlebt, bzw. mindestens Verwandte ersten Grades können davon berichten. Aus dieser Perspektive lebt die VR China weiterhin im “Wirtschaftswunder”-Bewusstsein. Das war in Deutschland die Zeit, in der ich geboren wurde. Das China heute ist dagegen auf wissenschaftlichem Spitzenniveau, auch was Schwangerschaftsverhütung betrifft. D.h. Kinder werden bewusst gemacht, immer weniger aus Versehen. Und die Unsicherheit, ob die es mal besser haben werden, die beginnt gerade erst.

Europäische Aussenpolitik könnte darauf Einfluss nehmen. Wenn es sie gäbe.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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