Jongleure und eine Jongleurin – Was ist schon eine Milliarde?

Gestern im Westfalenstadion. Diese Krise ward lange nicht gesehen. Gut, die zweite Halbzeit beim 1:1 der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA gegen den Tabellenletzten war auch schlimm. Noch bedeutender war, dass in Deutschlands grösstem Fussballstadion 1.000 Plätze freiblieben. Dauerkarteninhaber*innen sind gelegentlich verhindert. Die meisten in Dortmund haben aber lange Telefonlisten von Freund*inn*en, die die gerne mal für ein Spiel ausleihen. Anders als bei den Plastikvereinen mit Ministadien (Leverkusen, Wolfsburg, und irgendwas-mit-heim), wo im Winter gähnende Leere auf den Tribünen herrscht. Die leeren Plätze in Westfalens Stadion markieren den Riss im Business.

Es sind die zuschauerstarken Borussias in Dortmund und Mönchengladbach, deren Führungen für diesen Riss hauptverantwortlich sind. In einem Beschlussvorgang, der als schlechtes Drehbuch von jedem Filmstudio zurückgewiesen worden wäre, haben sie sich demonstrativ von ihren Fans und Vereinsmitgliedern abgewandt. Wie können sie da erwarten, dass das Stadion wie ein “12. Mann” hinter einer disparaten Truppe von Jungmillionären steht? Im speziellen Fall BVB kommt noch hinzu, dass ein Verpassen der Qualifikation zur Kapitalvermehrungsmaschine-für-die-die-jetzt-schon-zu-viel-davon-haben Champions League zu einem Crash der GmbH & Co. KGaA führen dürfte. Nicht amüsant.

Heimlich wissen sie tief in sich drin, dass ihre Zeit und ihre Art der Machtausübung zu Ende geht. Noch mal eine Trainerentlassung, noch einen TV-Vertrag abschliesssen, und dann schnell ab in die Rente …

Die mit – unseren – Milliarden jonglieren

Herrjeh werden Sie sagen, wenn Sie sich nicht für Fussball interessieren, was ist schon eine Milliarde? Sie werden an die missratene Haushaltperformance der “Ampel” denken, und mit Grausen an diesen Finanzminister. Zu besinnlichen Weihnachtszeit präsentiert die FAZ in ihrer Paywall das Benko-Desaster, von dem wir gar nicht so viel wissen wollen: “Abschied vom Hochhaus: Benko soll Signa-Anteile am Chrysler Building verkaufen – Sechsundvierzig Seiten im A3-Format braucht es, um das Organigramm der Signa Holding darzustellen. Der Sanierungsverwalter versucht, sich im komplexen Dickicht zurechtzufinden.” So macht mann das, wenn mann sich teure Berater*innen zur Vermeidung des Steuernzahlens leisten kann.

Mit Benko erwischt es gewiss keinen Falschen. Wie auch die 150/170 Leute, die auf einer imaginären “Epstein-Liste” stehen sollen. All diese Affären dienen als Erpressungspotential um das Politikpersonal gewogen zu halten. Wer nicht spurt, den holen die Dinge ein.

Flinten-Uschis Balance auf der Rasierklinge

Angemessen erregt agiert die Präsidentin der EU-Kommission. Nun hat das neue Premium-Medium des Springerkonzerns Politico seine Folterwerkzeuge präsentiert. Das wird nur von Elitenangehörigen bezahlt und gelesen, zu denen selbstverständlich, das ist der Kern des Springer-Geschäftsmodells, alle Journalist*inn*en gehören, die meinen beruflich dabeisein zu müssen. Gute und schlechte. Eric Bonse/taz und Michael Maier/Berliner Zeitung gehören für mich zu den Guten.

Dass Springer nun dieses Klavier spielt, das schon so lange unbenutzt in der Brüsseler Gegend rumsteht, weist darauf hin, dass die Story auch einen rechten Twist nehmen kann – Munition zur EU-Wahl am 9.6. Erinnern Sie sich noch, dass die deutschen Parteien vor fünf Jahren viel Wind um “Spitzenkandidat*inn*en” für den Vorsitz der EU-Kommission machten? Darum ist es dies Mal merkwürdig still geworden. Hat ja auch nichts gebracht. Jedenfalls nichts Gutes.

Die ehemalige EU-Kabinettschefin Petra Erler rekapituliert das merkwürdige Zulassungsverfahren für die Corona-Impfstoffe und setzt sie zu den damaligen PR-Strategien in Beziehung. Ich persönlich zweifle nicht, dass die Impfung mir genützt hat. Ich war zwar einmal infiziert, aber symptomfrei. Mein Vater (91) machte alle Impfzyklen mit und hat ohne Infektion überlebt. Solche individuellen Erfahrungen sind relevant, auch politisch. Sie ersetzen aber selbstverständlich keine wissenschaftliche Evaluation (dieser Link ist mit Firefox paywallfrei). Gibt es die? Und wer bezahlt sie?

Es ist in jedem privaten Umkreis wahrnehmbar, dass jahreszeitgemäss, und weil das Wetter die Menschen in geschlossene Räume treibt, die Atemwegsinfektionen erneut massenhaft grassieren, aber – scheinbar – nicht vergleichbar lebensgefährdend verlaufen. Oder doch? Wer weiss es?

Was macht eigentlich der Bundesgesundheitsminister? Es gab Zeiten, da verfolgte er uns in den Medien mehr, als wir vertragen konnten.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net