Im abgelaufenen Jahr hatte ich ernsthaft erwogen, im Kino “Oppenheimer” zu sehen, habe es dann aber nicht geschafft, gemischt mit nicht genug Lust und Drang ihn unbedingt zu sehen. Wenn ich nun den befreundeten Autor Detlef zum Winkel, hier bei bruchstuecke lese: “Oppenheimer in der Unterhaltungsindustrie: Legenden übernommen und verstärkt”, dann bin ich froh darum. Wenn ich seiner Kritik folge, enthält der Film alles, was ich an Filmen hasse. Emotionalisierung und Überwältigung. Auch die heute als “modern” geltenden “Presenter” in Dokumentarfilmen setzen darauf: Identifikation mit einer sympathisch präsentierten Person soll ins Rechercheabenteuer führen, als sei es ein realistischer Spielfilm. Das geht nicht nur oft in die Hose, sondern hält mich auch als Publikum für zu doof für harte, sachliche Stoffe. Bei mir entsteht so Widerwille.

Zwei Texte verdeutlichen mir heute den Tanz der Menschheit auf der Rasierklinge. Klaus Moegling/telepolis: Militärische Konflikte auf dem Vormarsch: Die Welt aus dem Griff des Kriegsregimes befreien – Militärdominanz könnte zu globalen Kriegsregime führen. Davor warnte der Philosoph Antonio Negri. Aber wie kann die drohende Katastrophe abgewendet werden?” Der Autor geht selbst auf sein Abschweifen in Utopien (UN-Reform u.ähnl.) ein. Das ist exakt meine Kritik an seiner Darstellung. Das steigert sich in die Absurdität: “Möglicherweise weist die sich immer noch in der Entwicklung befindliche EU den Weg in eine solche Zukunft.” Die real existierende EU vor und nach der EU-Parlamentswahl am 9.6. kann er damit nicht wirklich meinen.

Entscheidend aber ist, dass die “Apokalypse in Zeitlupe”, der Klimawandel, die komplizierten von ihm angeregten Reformprozesse nicht abzuwarten gedenkt. D.h. im Klartext: die klimapolitische Wende muss mit den real existierenden Regimes dieser Welt durchgesetzt werden, und zwar nicht in der nächsten, sondern in der jetzigen Menschheitsgeneration. Das verlangt ganz andere Fantasien der Verständigung, der Verhandlungskompetenz und des Interessenausgleichs (Diplomatie!). Und immensen Druck von der gesellschaftlichen Basis, die gut daran tut, sich global zu vernetzen.

Tom Engelhardt/TomDispatch/overton hat das begriffen: Das ultimative Zwillingspaar: Atomwaffen und Klimawandel im Jahr 2024 – Ehrlich gesagt, was sind wir für seltsame Geschöpfe? Nichts hält uns auf, wenn es um Zerstörung geht, oder? (Und dabei denke ich noch nicht einmal an die völlige, andauernde Verwüstung in Gaza.)”

Während ich dies schreibe, melden die DLF-Nachrichten: Frankreich will 14 neue Kraftwerke bauen – Frankreich will in den kommenden Jahren deutlich mehr neue Atomkraftwerke bauen als bisher bekannt.” Ökonomisch vernünftige Gründe gibt es dafür nicht. Aber die Wiederwahl von Trump könnte einer sein.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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