Beueler-Extradienst

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Freie Fahrt für E-Fahrzeuge?

Wer in der vergangenen Woche die Nachrichtengebeung nur oberflächlich vorbeirauschen liess, konnte den Eindruck gewinnen, die Bundesregierung wolle für die Monsterlimousinen von Tesla die Lieferketten freischiessen. Mehrheitsaktionär soll ja schliesslich der angeblich reichste Mann der Welt sein. Das ist natürlich grob vereinfachend, und hielte einer vertiefenden materialistischen Analyse gar nicht stand. Aber die ist ja sowieso aus der Mode gekommen, und frau*mann hat heutzutage alle Mühe den Neoliberalismus ideologisch zu beerdigen. Aber ich schweife ab …

Heute mittag kam mir auf dem Schwarzrheindorfer Rheideich, einem kombinierten Fuss- und Radweg, ein gleissendes Weisslicht fast lautlos entgegen. Es entpuppte sich als lautloser Elektro-Motorroller (“Vespa” ist nur die erfolgreichste Marke). Der ältere Herr, der es fuhr, fuhr mit rücksichtsvoll gedrosselter Geschwindigkeit. Wollte er Vorbild sein? Denn hinter ihm sass auf dem Sozius noch ein Kind, behelmt wie er, und darum nicht näher zu erkennen.

Ich habe mich schon mehrmals mit solchen Leuten gestritten. Und auch mit dem städtischen Ordnungsamt korrespondiert, das mir seinerzeit sensationellerweise an einem späten Freitagabend Auskunft zu seiner Einschätzung gab. Die lautet verkürzt: ist alles geregelt, kein Handlungsbedarf.

In der Tat hängt am Beginn des Weges an der Kaiser-Konrad-Strasse ein kombiniertes Verbotsschild für PKW und motorisierte Zweiräder. Abgase sind auf dem Schild nicht zu erkennen und sachlich ohne Belang. Sollte damit alles klar sein. E-Fahrräder, die auf 25 km/h Motorleistung gedrosselt sind, dürfen fahren, ohne Helmpflicht. Fahrzeuge mit 40 km/h-Fähigkeit fallen unter das Verbotsschild, auch elektrische. Aber wer weiss das?

Der Standpunkt des Bonner Ordnungsamtes ist grundsätzlich korrekt, gesellschaftlich aber nicht mehr ausreichend. Nicht nur die Massstäbe von “Gut und Böse” in der Politik, sondern auch im Indivisualverhalten, fallen gesellschaftlich auseinander (hier hülfe jetzt wieder materialistische Analyse weiter, aber die kann ja keine*r). Darum ist eine öffentlich angezettelte Debatte erforderlich, die erst in Spurenelementen begonnen hat: wem gehören welche Flächen? Das reicht von Immobilien bis zum Verkehr.

Ich selbst bin seit 1965 Radfahrer. 1969-76 habe ich 2-4 mal täglich die Demarkationslinie zwischen dem Rheinland und Westfalen mit diesem Fahrzeug überfahren. 1978 besass ich einen VW und hätte damit Helmut Kohl überfahren können (Zebrastreifen zwischen Bundeshaus und Langem Eugen – und ich habe gebremst!). Davor und danach kein Auto. Ich bin zwar inaktives ADFC-Mitglied, aus politischer Überzeugung, aber gedanklich stehe ich längst dem Fuss e.V. näher. Zu viele Porschefahrer sind aufs Rad umgestiegen – das bedaure ich sehr. Den Fuss e.V. soll es sogar in Bonn geben. Bemerkt habe ich ihn noch nicht. Vor allem nicht in der Verkehrspolitik.

Diese ätzenden Zweitakt-Motorroller, die eine hunderte Meter lange Abgasfahne hinter sich herziehen (inkl. raketenartigem Gelärme), sind übrigens in China, nach eigenem Verständnis “Entwicklungsland”, seit 2015 verboten. Die werden uns bald mit ihren E-Fahrzeugen überfahren. Das gibt Anlass etwas über die Wahlen in Taiwan zu lesen, was, vorsichtig formuliert, nicht alle Medien in ihren Nachrichten melden: Wolfgang Pomrehn/telepolis:China und die Präsidentschaftswahlen in Taiwan: Kein klarer Sieger in Taipeh – Unabhängigkeitsbefürworter gewinnt – allerdings nur mit einfacher Mehrheit. Zugleich verliert seine Partei die Parlamentsmehrheit. Wie kann das sein?”

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Helmut Lorscheid

    Lieber Martin, oh ja Fuss e.V . gibt es auch in Bonn und die machen auch was. Aktiv ist so weit ich das sehe vor allem einer – Herand Müller-Scholtes. Es gab vor paar Monaten auch ein ganzseitiges Interview mit ihm im GA. Guckste da: https://ga.de/bonn/stadt-bonn/bonn-situation-fuer-fussgaenger-in-der-stadt-verein-fuss-im-interview_aid-89258409
    Herand und arbeiten schon mal zusammen zu kommunalpolitischen Themen und werden auch beide von den hiesigen Künstlern gemalt und gezeichnet. Wir sind also nicht nur vom Leben, auch von KüntlerInnen gezeichnet. Ja so ist das.

  2. Martin Böttger

    Drei gute Fussgänger-Taten an einem Mittag: nach dem Essen im Momo-Bistro durchschweife ich immer die Beueler City. Dabei überquere ich die Friedrich-Breuer-Strasse immer auf Höhe Al Natura, und zwar so schräg wie es geht. Die Autofahrer*innen sind es gewöhnt, und das sollte verstärkt werden, dass die Strasse uns gehört, den Fussgänger*inne*n, und sie nur toleriert werden – als wäre es Shared Space.
    https://www.vcd.org/themen/verkehrsplanung/shared-space
    Heute vergrämte ich zusätzlich einen Einparkversuch auf dem Bürgersteig gegenüber dem dm. Der*die Fahrer*in versuchte es in Gegenrichtung, stand also unter Stress, und gab auf, als ich vor seinem Heck gemessenen Schritts den Bürgersteig betrat. Er*sie fuhr weiter, und bog rechts in die Rathausstrasse ab, dort wo die Einfahrt zur Rathaustiefgarage ist, wo immer Plätze frei sind.
    Als auf meinem weiteren Weg die Fussgängerampel an der Stadtbahn 66 auf Rot sprang, bog ich links am Übergang der 62 ab. Dort regiert der Widersinn, dass die Fussgänger*innen und der von der Kennedybrücke kommende Rechtsabbiegeverkehr gleichzeitig Grün, und die Fussgänger*innen rechtmässig Vortritt haben. Ich aber winkte dem von der Brücke kommenden Gelenkbus, dass ich ihm die Vorfahrt lasse, die er dankbar annahm. Die 62 dagegen muss an. dieser Ampel IMMER warten, bis der Autoverkehr rechts von ihr durch ist. Ampelbeeinflussung von der Strassenbahn gibt es technisch seit knapp 50 Jahren. Das ist für Bonn wohl noch zu frisch und unerprobt …
    Anschliessend überquerte ich den Adenauerplatz – die 62 war soeben abgebogen – an exakt der Stelle, an dem noch die CDU-geführte Stadtverwaltung den ampelbewehrten Fussgängerüberweg vernichtet hat, und die 2021 neugewählte Mehrheit immer noch keinen Finger krumm gemacht hat, um ihn wiederherzustellen. Das regelwidrige Überqueren des Platzes irritiert alle Verkehrsteilnehmer*innen und bewirkt so automatisch eine Verkehrsberuhigung für alle, die die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten gerne zu übertreffen versuchen.
    An der Professor-Neu-Allee und unten an der Rheinaustrasse wiederum beschleunigte ich sichtbar meine Schritte auf dem privilegierenden Zebrastreifen für die freundlicherweise abbremsenden PKW.
    Exkurs Ampelschaltungen: wenn es der politischen Führung der Stadt nicht gelingt, die Ingenieur*inn*e*n ihrer Ampelsoftware zu einem Vorrang für klimafreundliche Verkehrsmittel zu bewegen, darf sie sich über künftige Wahlergebnisse nicht wundern. Es sind zwar “nur” öffentlich sichtbare Symbole. Wer die jedoch in der demokratischen Politik unterschätzt, wird mit relevanten Prozentverlusten bestraft. Das ist seit Jahrhunderten so. Das Rätsel ist, warum die, die es angeht, es bis heute nicht lernen (wollen).

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