Die Entwicklungsorganisation Oxfam hat gerade ihren jährlichen Bericht zur sozialen Ungleichheit vorgelegt, gezielt zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Thema ist vor allem die weltweite  Vermögensentwicklung, der Bericht trägt den Untertitel „Krisen-Profite: Reichstes Prozent kassiert fast doppelt so viel wie der Rest der Welt zusammen“. Kernaussagen sind, dass das Vermögen der fünf reichsten Männer im Jahr 2020 von 405 auf 869 Mrd. $ anstieg, während die ärmsten 60% der Menschheit  rund 20 Mrd. $ verloren haben. Auch in Deutschland ist das Vermögen der fünf reichsten Personen seit 2020 um fast drei Viertel gewachsen.

Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich – so Oxfam – also weiterhin. Erstmals seit 25 Jahren haben extremer Reichtum und extreme Armut gleichzeitig zugenommen. Laut Weltbank erlebten wir derzeit die wohl größte Zunahme er weltweiten Ungleichheit und Armut seit dem Zweiten Weltkrieg. Verantwortlich dafür seien jahrzehntelange Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen. Dies habe dazu geführt, dass für Arme in vielen Ländern höhere Steuersätze gälten als für Milliardäre.

Oxfam schlägt daher ein Steuermodell vor, das 2% Steuern auf Vermögen von mehr als 5 Mio. vorsieht. Vermögen von mehr als 50 Mio. sollen mit 3% besteuert werden, ab einer Milliarde sollen 5% erhoben werden. Allein in Deutschland würden damit Einnahmen von knapp100 Mrd. $/a erzielt, weltweit 2,5 Mrd. $/a. Gezielt für Deutschland wird eine Übergewinnsteuer mit einem Steuersatz von mindestens 50% und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer gefordert. Hier liege Deutschland deutlich zurück.

Die Analyse von Oxfam wird von zwei wissenschaftlichen Studien unterstützt, die gerade erschienen sind und sich mit den Gründen der wachsenden Ungleichheit befassen. Die Steuerhinterziehung durch Superreiche, die ungerechte Steuerbelastung und die Nachlässigkeit (oder Großzügigkeit?) vieler Staaten, Steuerflucht zu ermöglichen, bleiben also nicht unbeobachtet. Einerseits erschien kürzlich der „Atlas der Offshore-Welt“ oder „Atlas der Steueroasen“, der erstmals die Steuerflucht in jedem Land dokumentiert. Er ist das Ergebnis der Forschungen der EU-Steuerbeobachtungsstelle (tax observatory) in Zusammenarbeit mit mehr als 100 Forscher/innen und mit dem Zentrum für Steuerforschung der norwegischen Agentur für Entwicklung.

Zudem gibt es ganz aktuell vom gleichen Institut erstmals den „Globalen Steuerhinterziehungsbericht“ (Global Tax Evasion Report). Er soll in Zukunft alle zwei Jahre erscheinen. Der Bericht konzentriert sich auf die Sammlung und Offenlegung relevanter Daten zu weltweiten Steuerstatistiken und über Umfang und Merkmale von Briefkastenfirmen, versteckten Offshore-Vermögen und illegalen Finanzströmen. Bekanntlich werden immer wieder Daten über Steuerflucht und -hinterziehung bekannt. Manchmal durch Datenlecks wie die Panama-Papers, manchmal durch den Ankauf von illegal kopierten Datenträgern. Die Willigkeit der Behörden, dem nachzugehen, ist nicht immer überzeugend.

Der Report beginnt mit einer Erfolgsmeldung: 2014 verfügten die USA, dass bei Androhung von Geldbußen alle Banken zur Angabe von Kontoständen der US-Firmen verpflichtet sind. 2017 folgte über die OECD-Vereinbarung über den automatischen Austausch von Bankdaten und 2021 die weltweite Mindeststeuer von 15% auf Unternehmensgewinne. Dadurch ist die individuelle Steuerflucht erheblich erschwert worden und um rund ein Drittel zurückgegangen. Für Gabriel Zucman, den Leiter der tax observatory, ist das ein Beweis, dass „sich Steuerflucht effizient bekämpfen lässt, wenn es den politischen Willen gibt.  

Dabei bleibt die Frage bleibt, ob dieser Erfolg durch die gesteigerten staatlichen Eingriffsmöglichkeiten oder durch die Erkenntnis der Steuerflüchtlinge bewirkt wurde, dass sie jetzt nicht mehr so unkontrolliert tricksen können wie bisher. Allein 2022 wurden den ausländischen Steuerbehörden knapp 13 Billionen $ an Offshore-Vermögen gemeldet. Schätzungen besagen jedoch, dass immer noch etwa 25% dieses Vermögens nicht versteuert werden. Eine beliebte Umgehungslösung ist die Finanzanlage in Immobilien. Wohlhabende können recht problemlos ihren Wohnsitz in ein Niederigsteuerland verlegen.

Die globale Mindeststeuer für multinationale Konzerne ist laut dieser Studie jedoch ein Flop. Geplant war, dass alle Unternehmen mindestens 15% Gewinnsteuern zahlen sollten, wodurch das weltweite Steueraufkommen um knapp 10% steigen sollte. Erreicht wurden jedoch nur 3%, weil neue Steuerschlupflöcher gefunden und genutzt wurden. Einige Staaten führten nachträglich Ausnahmeregelungen zugunsten der Steuerpflichtigen ein. Zudem war der Steuersatz von 15% Ergebnis eines Kompromisses und daher deutlich zu niedrig. Der weltweite Mittelwert der Unternehmensbesteuerung liegt bei 25% liegt.

Als größtes Problem bezeichnet die Studie den Umstand, dass Milliardäre kaum besteuert werden. Schuld daran hat vor allem die nationale Steuergesetzgebung, die die Verlagerung von Vermögen erlaubt, wodurch es der Besteuerung entzogen wird. Die Steuerlast der Milliardäre betrage daher nur 0 bis 0,5% ihres Vermögens. Zucman schlägt daher vor, die globale Mindeststeuer auch auf Vermögen von Milliardären anzuwenden, also auf Personen. Dazu schlägt er einen Prozentsatz von 2% vor, mit dem bei weltweit knapp 3.000 Milliardären rund 250 Mrd. $ jährlich erwirtschaftet werden könnten.

Durch Auswertung von Steuerdaten aus Frankreich, den Niederlanden und den USA ermittelte der Steuerfluchtreport, dass die Superreichen nur geringe Einkommensteuern zahlen. In Frankreich sind es 2%, in den USA 8%. Der Hauptgrund ist, dass viele Staaten – darunter auch Deutschland, nicht aber die USA – es erlauben, Gewinne steuerfrei in ausländischen Vermögensverwaltungsgesellschaften zu parken.

Die im parallel erscheinenden Atlas der Steueroasen dokumentierte Steuerflucht zeigt überraschende Ergebnisse: Deutschland verliert dadurch bei den Gewinnsteuern 26,2% mehr Einnahmen als jedes andere Land der Welt. Danach folgen Großbritannien (26,2%), Costa Rica 24,8% und Ungarn 24,5%. Die USA liegen bei nur 11,5%. Wie dem Atlas zu entnehmen ist, führt Europa auch bei den Steueroasen. Irland, die Niederlande und die Schweiz helfen den Unternehmen gern und wirksam, Steuern zu vermeiden. Liechtenstein und Luxemburg bieten hilfreiche Stiftungskonstruktionen, in Andorra, Monaco und der Schweiz gilt immer noch das Steuergeheimnis. Rund eine Billion $ an Unternehmensgewinnen landete 2022 in Steueroasen, darunter allein 140 Mrd. in Irland.

Irland soll nach den Niederlanden die zweitgrößte Steueroase sein. Diese beiden und manch andere Länder locken Unternehmen mit extrem niedrigen Steuersätzen, ihren Geschäftssitz oder zumindest ihr Einkommen dorthin zu verlagern. Solange keine internationalen Schritte dagegen unternommen werden, nutzen viele Unternehmen diesen legalen Weg. Irland ist als englischsprachiges EU-Mitglied offenbar besonders attraktiv. Apple, Facebook, Google und Microsoft haben ihren Sitz dort. Zudem ist nach dem Brexit eine Reihe englischer Unternehmen hinzugekommen.

Eine solche Verlagerung ist attraktiv, weil die Spitzensätze der Einkommensteuer international stark schwanken. Vor allem in OECD-Staaten sind sie hoch, im Schnitt bei 42%, in der EU bei 38%. Am höchsten liegt Finnland mit 57%, gefolgt von Dänemark mit 56,5%, Japan mit 56%, Österreich mit 55% und Schweden mit 53%. Deutschland liegt immerhin noch bei 45%. Steueroasen, also Staaten mit extrem niedrigen Steuersätzen findet man vor allem auf der arabischen Halbinsel und in der Karibik. In einigen Staaten wird gar keine Einkommensteuer erhoben: Antigua, Bahamas, Bermudas, Jungferninseln, Cayman Inseln, Bahrain, Katar, Oman, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate.

Schätzungen zufolge verliert Deutschland jährlich rund 100 Mrd. € an Steuereinnahmen durch Steuerhinterziehung. Seit 2006 gehen deutsche Behörden ernsthaft gezielt vor. Damals kauften sie eine gestohlene CD aus Liechtenstein mit Steuerdaten von 800 Personen, 2010  Kundeninformationen einer Schweizer Bank, 2011 3000 Steuerdaten aus Luxemburg und 2012 noch einmal Schweizer Bankdaten. Juristisch ist umstritten, ob die Verkäufer der CDs strafrechtlich verfolgt werden sollen und ob die Ankäufe Hehlerei sind. Erfolgreich waren sie jedenfalls. Einige Staaten boten Steuerhinterziehern Straffreiheit an, wenn sie ihre Steuern nachzahlten – meist zu günstigen Pauschaltarifen. Italien offerierte „Rückkehrern“ sogar Straf- und Steuerfreiheit.

Doch es bewegt sich etwas. Im Vorjahr legte die OECD den Entwurf eines multilateralen Abkommens zur Neuverteilung von Besteuerungsrechten vor. Erwartet wird, dass jährlich etwa 200 Mrd. $ aus Steueroasen in jene Länder fließen, wo die Unternehmen ihren Sitz haben. Noch steht offenbar die Einigung auf einen konkreten Text aus. Danach beginnt die Unterzeichnungsphase, und der Termin des Inkrafttretens ist festzulegen. Dies wird frühestens 2025, wahrscheinlich aber erst 2026 sein. Parallel dazu beantragte Nigeria im Herbst 2023 im Namen der Afrikagruppe eine UN-Resolution, wonach ein internationales Komitee gebildet werden soll, das eine UN-Konvention zu Steuerhinterziehungen und Gewinnverschiebungen ausarbeiten soll.

Ungeachtet solcher positiven Bemühungen werden Steuerflucht und Steuerhinterziehung jedoch weiterhin ein Problemfeld bilden. Dafür sorgen allein die widerstreitenden Interessen der Staaten. Wer Unternehmen zur Ansiedlung bewegen will, wird mit niedrigen Steuersätzen locken. Wer Kapital ins Land holen will, versucht den weltweiten Austausch von Steuerdaten zu erschweren. Wer keine internationalen Sanktionen zu befürchten hat, bleibt bei seinen großzügigen Regelungen. Wer seinen einheimischen Unternehmen Möglichkeiten der Steuerminderung erhalten will, wird auf wirksame internationale Kontrollen wenig Wert legen. Wer hingegen den Aufwand für das Angebot an industrieller Infrastruktur berechnet, strebt angemessene Steuersätze an.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.