Beueler-Extradienst

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Ende des Liberalismus

Es ist ganz nah – wir werden ihn noch vermissen

Jetzt bringen Sie mich nicht zum Lachen und verwechseln das mit der FDP. Die wird – vergleichsweise – niemand vermissen. Nach meinem Verständnis hat die ihre Bemühungen um den Liberalismus 1982 aufgegeben. Und meine heutige Partei Die Grünen ist gerade dabei. Es geht mir hier nicht um Parteien, sondern um die Gesellschaft und ihr Grundgesetz. Die wichtigsten Bestandteile des Grundgesetzes sind die Grundrechte. Mit Recht wurde vielfach kritisiert, dass das ja “nur” individuelle “bürgerliche” Grundrechte seien, die sozialen und kollektiven Menschenrechte dagegen vernachlässigt seien. Ja, das kann mann*frau so sehen. Tatsache ist aber: selbst um die materialistische Sicherung der bürgerlichen Grundrechte war es nie gut bestellt. In meiner politischen Jugend konzipierten daher die Jungdemokraten eine verbandseigene Kampagne “Das Grundgesetz in die Gesellschaft hineintragen” – und landeten prompt im “Verfassungsschutz”-Bericht. Mittlerweile ist kaum noch erkennbar, wer sie, die Grundrechte, gegen die – immer – mannigfachen Attacken von Rechts verteidigt.

Die Lesebefehle

Der gute Heribert Prantl, Rentner, hat dazu mal wieder ein gutes Buch geschrieben, aus dem sich in der Berliner Zeitung ein Vorabdruck findet: Friedenstüchtig: Wie das Grundgesetz wurde, was es heute nicht mehr ist – Die Politik hat das Friedensgebot der Verfassung vernachlässigt – und das Bundesverfassungsgericht hat das billigend in Kauf genommen.”

Aktuell sind die Beobachtungen des Bald-Rentners Stefan Reinecke/taz absolut zutreffend: Ausladung von Nancy Fraser: Rost an der liberalen Demokratie – Absagen im Mehrfach-Pack: Die neue Cancel Culture mit Schwerpunkt gegen linke Jüdinnen ist selbstbeschädigend.” Ein klassischer Twist deutscher Diskurspolitik: Schuld sind immer die Linken, auch und besonders linke Jüdinnen und Juden. Oder was dachten Sie, wer die Millionen Menschen 1933-45 vertrieben und umgebracht hat?

Nur kurz eingeschoben – ich will nicht in die Parteipolitik abschweifen: bei der EU-Wahl wollen angeblich 20% irgendwelche “Sonstigen” (inkl. BSW, Linke etc.) wählen. Bestellt und von SPD und Grünen nicht abgeholt. Und das sind welche, die Wählengehen wollen. Die Nichtwähler*innen also noch nicht mitgezählt.

Es gibt einen für die gesellschaftlichen Machtkämpfe entscheidenden Bereich, in dem es ähnlich düster aussieht, wie bei der vorherrschend propagierten, aber gesellschaftlich kaum verankerten Kriegstreiberei: die Medienpolitik. Die interessiert nicht nur niemand, die macht auch niemand, jedenfalls nicht öffentlich.

Demokratische Alternative zur Macht der digitalen Medienmonopole

So war ich erstaunt, dass ich zum ersten Mal seit gefühlten Jahrzehnten wieder was von der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Jurist*inn*en (ASJ) gelesen habe, und zwar anlässlich dieses beim Blog der Republik veröffentlichten Vortrages von Wolfgang Lieb: “Wandel des Mediensystems – Wie könnte eine demokratische Alternative zur Macht der digitalen Medienmonopole aussehen?” Er ist zu einem strategischen Kern, Modewort heute: “Kipppunkt”, vorgedrungen.

Während das sog. “Manifest” “Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk” auf durchaus wesentliche Probleme der inneren Pressefreiheit in öffentlichen Medienanstalten eingeht, über die gestritten werden soll und muss, definiert Wolfgang Lieb Grundlagen für einen Konsens der Demokrat*inn*en gegen die Angriffe von Rechts und vom globalen Milliardärskapital. Das ist eine verdienstvolle Schreib- und vor allem Gedankenarbeit. Sie lässt mich jedoch erschaudern angesichts ihrer politischen Vergeblichkeit. Denn ich erkenne die Kräfte oder gar Bündnisse nicht, die sich dazu zusammenschliessen und engagieren (ausser den direkt betroffenen Arbeitenden in meiner Gewerkschaft).

Die Anstalten selbst, d.h. ihre Führungen aus Intendanzen und Direktionen, mühen sich nach Kräften, engagiert-kritisches Publikum vom Engagement für sie abzuschrecken. Über diese Art Selbsthass können bei Gelegenheit mal einige Psycholog*inn*en tiefer forschen. Die letzte Burg der öffentlichen Medien ist das Bundesverfassungsgericht. Die wird nicht ewig halten – obwohl ihre Tapferkeit durchaus positiv überrascht. Weil sie so herausragt. Und das ist wieder tragisch – und verheerend für Demokratie und Grundrechte.

PS: Und noch ein Twist für die Freunde des “Wirtschaftsliberalismus” und der “freien Markwirtschaft”: nachdem die FDP in ihrer Mitregierung 2009-2013 der deutschen Solarindustrie den Todesstoss verpasste, erregen sich heute die gleichen gesellschaftlichen Kräfte über die “Überschwemmungen” durch preisattraktive chinesische Produkte. Imgrunde wie bei der anderen Schlüsselindustrie, den Autos. China “überschwemmt” “uns”(!) mit Elektroautos. Und hat jetzt bei Aldi, Amazon und deutschem Teleshopping die übelsten Tricks studiert, um “unsere” Jugend zu verderben. Dagegen braucht mann keinen schwachen, sondern einen “starken” Staat. Das hat der Wirtschaftsliberalismus immer verabscheut. Aber Nationalismus und Rassismus hatten in Deutschland schon immer Vorrang.

Update 15.4.: Ähnlich einsichtig und politisch ratlos wie ich Robert Misik/IPG-Journal: Königsweg gesucht – Radikal oder gemäßigt: Mit welcher Strategie sollte die politische Linke dem Rechtspopulismus entgegentreten?”

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. w.nissing

    Bei allem Respekt für die Auslassungen des Herrn Lieb die in der Analyse des jetzt vielfach zutreffen. Wie er aber den Ausweg aus dieser Misere ansetzt ist reinste Fantasterei. Das was wir uns hier in diesem Blog, sicherlich unterschiedlich gewichtet, vielfach geäußert wünschen ist aber mit diesen Mitteln nicht zu erreichen. Das “System” ÖR ist durch die vielen gegenseitigen Verflechtungen/Pfründe etc nicht zu knacken.
    Den einzigen Ansatz den ich sehe ist ein gemeinnützig (Voraussetzung entsprechende Gesetzesänderungen im e.V. ) organisierter Journalismus ( gab ja mal ansatzweise eine “Gegenöffentlichkeit”) die aber a Spendenfinanziert und aus einem Tortenstück der GEZ-Inkasso gespeist wäre…… all das könnte man noch weiter verfeinern um Pluralität zu erzeugen und die journalistische Hurerei (feste Frei {er} ) zu überwinden.
    Aber selbst der geringste Ansatz (e.V) scheitert ja schon an den bestehenden Verhältnissen und ich kann nirgendwo einen Player sehen, der daran ernsthaft etwas ändern will.
    Summasumarum: Alte Männer schreiben bei einem (hoffentlich) guten Roten kluge Texte die mich zu einem Solchen verleiten, um diesen ganzen Schlamassel zu vergessen.
    Bonne weekänd et a la prochänn

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