Die gesellschaftliche Basis für die Verteidigung der öffentlichen Medien fehlt – wo es sie gab/gibt wird sie planmässig abgeschreckt

Dieter Dörr gibt nicht auf. Das ist erfreulich. Er ist vielleicht der kompetenteste Medienrechtler dieser Republik. Ich erlebte ihn vor Jahrzehnten bei einer Tagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Medien der Grünen. Guter Mann. Dem kann so schnell keine/r das Wasser reichen. Ein mit der FAZ eng zusammenarbeitender Fachblog hat einen Vortrag von ihm publiziert: “Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – Probleme und Perspektiven”. Gut so.

Einige Fachpublikationen berichten darüber. Auch Andrej Simon/telepolis: Rundfunkbeitrag im Fokus: Kommt die Erhöhung? – Die Warnung des Medienrechtlers Dörr und die Nein-Sager unter den Bundesländern: Deutschland am Scheideweg der Rundfunkfinanzierung. Insider erwarten Showdown.” So weit, so richtig.

An der Selbstreferentialität dieses Betriebs ändert das nichts. Wenn es die Welt da draussen nicht gäbe, liefe es so: die Länder und Landtage beschliessen die Erhöhung des Rundfunk-/Fernsehbeitrags nicht. Die Medienanstalten ziehen erneut vors Bundesverfassungsgericht. Das Hauptverfahren könnte das eine oder andere Jahr dauern. In der Zeit würden sie zu einer vorläufigen Haushaltsführung gezwungen – irgendeine strategische Weiterentwicklung wäre mangels Planungssicherheit ausgeschlossen. Dann “gewinnen” sie ein weiteres Mal in Karlsruhe. Und dann geht alles wieder von vorne los.

Mehrere dumme Sachen werden dazwischenkommen. Wahlen z.B. Die Rechten im Osten werden absahnen, weil die Demokrat*inn*en versagen. Es wird zu Kündigungen der Medienstaatsverträge durch einzelne Bundesländer kommen – heisseste Kandidaten Thüringen und Sachsen-Anhalt. Hier ist der AfD-Ähnlichkeitswettbewerb am weitesten gediehen. Dann geht es nicht mehr um die Beitragshöhe, sondern um die Existenz des MDR. Ein Blick auf die dortigen demokratischen Parteien versichert: das geht nicht gut aus.

In diesem absehbaren politischen Durcheinander werden auch im Westen Dominosteine fallen. Auch hier gibt es AfD-Ähnlichkeitswettbewerbe. “Brandmauern” hat es sowieso nie gegeben – eine lächerliche rhetorische Figur. Wer – ausser irgendwelchen Senior*inn*en-Organisationen wird die öffentlichen Medien – und damit die real existierende Demokratie bzw. ihre Überreste – dann noch gegen die Zerstörungswut von Rechts verteidigen?

Da ist niemand. Die gesellschaftlliche Basis fehlt. Es gibt keine handlungsfähigen Bündnisse, die ihre Meinungsverschiedenheiten für das Gemeinsame zurückstellen. Wo es in den letzten Jahren und Jahrzehnten Ansätze dafür gab – Initiativen, die sich für die Verteidigung einzelner Radiowellen oder Programme einsetzten – wurden sie von den Anstalten nicht als Basis, sondern als skurrile Belästigung aufgefasst – und darum besonders aggressiv brüskiert. Das war schon der Anfang vom Selbstmord. Den Rest davon besorgen sie mit ihrem eigenen Programm.

Es geht auch anders

Es geht auch mit gesellschaftlicher Basis. Die “Ultras” unter den Fussballfans haben nicht weniger als das fresssüchtige Grosskapital in der Deutschen Fussball-Liga (DFL) in die Defensive gedrängt. Mit klugen Strategien und kreativen, konfliktfreudigen und gewaltfreien Aktionen. So war es auch schon bei den Boykottaktionen gegen die letzte Fifa-WM im Emirat Qatar.

Nun bringen sie das deutsche Fussballkapitalestablishment erneut in die Bredouille mit “NoToSaudiArabia2034”. Das ist aus mehreren Gründen strategisch intelligent.

Zunächst wird die Macht im Inland adressiert. Der DFB, und ich unterstelle: auch die Bundesregierung, orientieren auf Bündnis und Zusammenarbeit mit den Feudalverbrechern der Sauds – damit die sich nicht mit dem noch böseren China verbrüdern. Der DFB hat also nicht die geringsten oppositionellen Absichten innerhalb der Fifa-Mafia. Soll er aber, wird jetzt von der deutschen Fanöffentlichkeit gefordert.

Wenn er, was absehbar ist, und der DFB als “Niederlage” und “Isolation” verstehen würde, innerhalb der Fifa überstimmt wird, und dort die Entscheidung für die WM in Saudi-Arabien fällt – dann fordert das Fanbündnis eine Urabstmmung der ca. 7 Mio. DFB-Mitglieder, ob sie dennoch an der WM teilnehmen oder es lieber seinlassen wollen. Damit spätestens bekäme die Auseinandersetzung eine tatsächliche öffentliche Massenbasis. Und selbst wenn diese Urabstimmung “verloren” würde, enstünde alleine durch den öffentlichen Diskurs ein wacheres gesellschaftliches Bewusstsein – exakt das, was im medienpolitischen Diskurs (s.o.) fehlt.

Es ginge nicht nur um Gut und Böse in Saudi-Arabien, sondern auch um die Infragestellung der oligarchischen Systeme im deutschen und internationalen Fussballbusiness. Besserer Sozialkundeunterricht ist kaum vorstellbar.

Die andere, schlechtere Option wäre, dass sich DFB, Bundesregierung und andere übliche Verdächtige (eingebettete Medien z.B.) vor zu viel demokratischer Mitbestimmung so sehr fürchten, dass sie das um jeden Preis bekämpfen, und einen sowohl menschenrechtlichen als auch antidemokratischen Offenbarungseid vorziehen. Möglich und denkbar ist leider auch das. Auf diese Art “Entlarvung” könnte unsere Demokratie sehr gut verzichten.

Jetzt müsste die Faninitiative „NoToSaudiArabia2034“ nur endlich auch eine unabhängige Internetpräsenz an den Start bringen. Sich nur von Pressearbeit abhängig machen, ist nämlich – s.o. – eine fürchterlich schlechte Idee.

Update nachmittags: hier der Offene Brief an den DFB digital offen zugänglich und weiterverteilbar. Dank an Dietrich Schulze-Marmeling für den helfenden Hinweis.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net