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Macrons letzte Chance

Frankreich hat nicht so gewählt, wie es viele befürchtet hatten, Das linke und grüne Bündnis ging als erstes durchs Wahlziel, danach die Macronisten und erst an dritter Stelle das neofaschistische Rassemblement National. Was bedeutet dies für Europa und für Frankreich? Zunächst für die französischen Wähler*innen scheinbar ein Stück Erleichterung. Aber das bedeutet keineswegs, dass die Gefahr des neofaschistischen RN wirklich dauerhaft gebannt ist.

Gefühlte Umverteilung von unten nach oben

Im Gegenteil: Macron hat in den Jahren seiner Präsidentschaft so sehr die neoliberalen Teile seiner Agenda durchgedrückt, dass grobe soziale Ungerechtigkeiten entstanden und nicht abgefedert worden sind. Mit Macron verbindet sich bei weiten Teilen der französischen Wähler*innenschaft eine gefühlte Dekade Sozialabbau, Verteuerung der Energie und Umverteilung von unten nach oben, die sich kaum von dem unterscheidet, was sein Vorgänger Nicolas Sarkozy bereits verordnet hatte. Obwohl im Gegensatz zu diesem die wirtschaftlichen Rahmendaten derzeit gar nicht schlecht stehen. Der von ihm sicher nicht so geplante Wahlausgang ist deshalb die letzte Chance, umzusteuern und eine sozialliberal-ökologische Politik mit der Betonung auf Sozial einzuleiten.

Jetzt Kompromisse schließen lernen

Aber dabei stehen sich die Macronisten und ihr Chef vermutlich selbst im Weg. Denn zum einen kennen die Französ*innen aufgrund des Mehrheitswahlrechts anders als die Deutschen Koalitionen und Kompromisse so gut wie nicht – das gilt auch für Macron und schon wird spekuliert, er könnte seinen jetzigen neoliberalen Ministerpräsidenten einfach im Amt lassen und nach einem Jahr politischem Stillstand in einem Jahr einfach Neuwahlen ausschreiben. Eine gute Idee wäre das überhaupt nicht, denn es ist unzweifelhaft so, dass die Wähler*innen dies als abermalige Halsstarrigkeit und Arroganz Macrons gegenüber dem demokratischen Wähler*innenwillen empfinden müssten. Ein zweites mal würde aber die Linke kein so schnelles Wahlbündnis schließen. Deutlich macht die Misere aber auch die reflexhafte Reaktion des linken Wortführers Jean-Luc Mélenchon, der bereits am Wahlabend lauthals forderte, dass ihn Macron als Ministerpräsident ernennen solle.

Koalitionsverhandlungen mit den anderen Parteien des linken Bündnisses und die Festlegung auf Kompromisse kommen auch in seiner Vorstellungswelt gar nicht erst vor. Umgekehrt muss sich Macrons Partei gut überlegen, ob die von einigen Exponenten des Macron-Lagers erfolgte Gleichsetzung von Melanchons Linker mit dem RN so weiterführen kann.

Demokratiekurs ist alternativlos

Vielleicht wäre es für beide Lager – Mélenchon und Macron und alle anderen demokratischen Kräfte  – hilfreich, einen Blick auf die absoluten Stimmen der Wahl zu richten: Danach haben 37% die Neofaschisten gewählt, gerade mal 26% das linke Bündnis und nur 23% die Macron-Partei.  Und dies auch nur, weil die zerstrittene Linke sich geistesgegenwärtig unter dem Druck des ersten Wahlgangs entschließen konnte, gemeinsam anzutreten und in vielen, nicht allen Wahlkreisen die jeweils Drittplatzierten des ersten Wahlgangs zurückgezogen haben – und gerade mal zusammen 49% erreichten. Bescheidenheit würde allen – auch dem Präsidenten – anstehen, um zum einen Konsequenzen aus der Wahl zu einem neuen Reformbündnis zu finden, das deutlich links von der bisherigen Politik Macrons liegt, ohne die ohnehin strapazierten Haushaltsmittel ins Unendliche zu steigern. Zwei Stellschrauben bieten sich hier an.

Zum einen muss Macron Wege finden, seine am Parlament vorbei eingeführte Rentenreform zu modifizieren, ohne sie völlig zurückzunehmen. Zum anderen braucht die französische Politik dringend ein Signal an die Menschen auf dem flachen Land, die kritisieren, von den Metropolen abgehängt zu werden, dass ihre Bedürfnisse in Zukunft ernsthaft berücksichtigt werden. Hier sind programmatische Intelligenz und Kreativität, vor allem aber Kompromissfähigkeit gefragt.

Macron müsste nur einmal politisch klug handeln

Der französische Präsident ernennt den Ministerpräsidenten, der seine Tagespolitik umsetzen soll. Macron wäre gut beraten, wenn er die Koalitionsverhandlungen seiner Partei mit dem Linksbündnis oder notfalls mit Teilen des Linksbündnisses herbeiführt und auf der Basis einer programmatioschen Grundlage die Regierungsspitze ernennt. Genial wäre es, wenn es gelänge, den ewigen Kritiker Mélenchon auf ein solches gemeinsames Regierungsprogramm zu verpflichten und ihn in die Regierungsverantwortung und damit Realpolitik einzubinden. Weniger nachhaltig wäre es, nur einen Teil des linken Bündnisses in eine Koalitionsregierung einzubinden, in der Vorstellung, ein “weiter so” zu organisieren. Der politische Hintergrund ist aber viel tiefergehender und geht weit über Frankreich hinaus:

Neoliberalismus Ursache der demokratischen Krise Europas

Es war bezeichnend, dass die erste Sorge der deutschen Medien nach der Veröffentlichung der Wahlergebnisse vor allem der Reaktion der Börsen galt. Seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts und der “Reagonomics”-Politik der US-Regierung konkurrieren Länder international gnadenlos in einem Wettlauf um immer niedrigere Unternehmenssteuern, der Schaffung von Steueroasen, dem Abbau von Sozialstandards und einem vernichtenden Sozialwettbewerb zulasten der längst nicht mehr vorhandenen Mittelschicht und unteren sozialen Schichten. Auch Macron hat lange diese Politik betrieben und gemeint, hiermit erfolgreich die französische Republik reformieren zu können. Aber er hat nicht das riesige Gefälle zwischen Metropolen und Land gesehen, hat nichts unternommen, um die Autonomie und Dezentralisierung des Landes voranzutreiben und damit sozialere und ausgeglichenere Lebensverhältnisse herzustellen. Im Prinzip bräuchte Frankreich eine Verfassungsreform, einen Föderalismus und weniger Zentralismus und Machtkonzentration in Paris. Aber das ist eine uralte Geschichte, für die Mehrheiten nicht in Sicht sind.

Diese Wahl war ein letzter Warnschuss für die Demokratie

Die Wahl war ein Warnschuss an die neoliberale Politik, an die französische Demokratie. Sie ticken anders als wir, unsere Nachbarn. Und deshalb wehte auch am Sonntagabend ein Hauch von französischer Revolution durch Paris und die anderen Großstädte – das andere, das zutiefst freiheitsliebende und demokratische Frankreich erlebte eine Renaissance. Es wäre fatal, wenn Macron das durch eine uneinsichtige und nicht nachhaltige Politik glaubt, ersticken zu können. Eine sozialere und ökologischere Politik in Frankreich ist alternativlos. Frankreich wird gebraucht, um Europa demokratisch zu steuern, sein Militär inklusive der atomaren Abschreckung könnte bei einer Wahl Trumps zu einem wichtigen Faktor europäischer Verteidigung werden und seine Atomkraftwerke sollten endlich aufhören, Milliardensubventionen des französischen Haushalts aufzufressen und die internationale Verteilung von Ökostrom z.B. aus Spanien und Portugal in der EU durch ihre veraltete, überteuerte und im Sommer unsichere  Energieerzeugung im Grundlastbereich technisch zu blockieren.

Die Quadratur des Kreises

Macron steht vor nicht weniger als der Quadratur des Kreises. Er hat als Kind säkularer Eltern eine jesuitische Schulausbildung genossen, ist Katholik geworden und hat Philosophie studiert, über Macchiavelli seine Abschussarbeit geschrieben. Das sagt viel über seine Weltsicht aus. Vielleicht kann ihm ja seine ehemalige Lehrerin und heutige Lebenspartnerin dabei helfen, seine Bodenhaftung wiederzufinden, und das, was er auf Eliteuniversitäten gelernt hat, in demokratische Politik umzusetzen.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Zwischen seinem “Militär inklusive der atomaren Abschreckung” und “seinen Atomkraftwerken”, die “Milliardensubventionen des französischen Haushalts auffressen”, gibt es leider einen unauflöslichen Zusammenhang: Physik. Mit der “atomaren Abschreckung”, geliefert aus Frankreich, verhält es sich also ähnlich, wie mit dem preisgünstigen Erdgas aus Russland: Deutschland profitiert(e).

  2. w.nissing

    Ich will jetzt gar nicht tiefer auf die “Ungenauigkeiten” im Text eingehen, nur 2 Sachen:
    Ratschläge brauchen die NFP keine, siehe Programm…
    rechtliche bzw legislative Hürden siehe hier : https://reporterre.net/Un-Premier-ministre-NFP-Ce-n-est-pas-du-tout-regle

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