BVB – nicht die Basis, der Kopf ist das Problem

Meine kleine Fussballkneipe “El Horizonte”, direkt neben dem Adenauerplatz in Beuel gelegen, kann neuerdings ihre zwei Monitore auseinanderschalten. So beschallte gestern das Westfalenstadion den kleinen Gastraum (= nicht so hohe Gastromiete an die Pay-TV-Vampire), und gegenüber konnte der Villa Park in Birmingham betrachtet werden. Spektakulär unterhaltsam war beides. Und die beim BVB eingebetteten Medien fragen mal wieder ratlos: warum nicht immer so? Die Antwort an diese Medien ist einfach: es liegt an euch. Und denen in der BVB-Führung, die mit euch spielen.

Sportlich muss zunächst festgehalten werden, dass die gestrigen Sieger aus Barcelona und Paris mutmasslich die stärksten Profiteams der Welt (und bei Barca nicht nur der Herren, sondern auch der Frauen) stellen. PSG wiederum ist nach dem Abgang der defensivfaulen Superstars stärker und mannschaftlich stabiler geworden. Gegen diese Gegner in der kapitalgesteuerten Champions League auszuscheiden, ist nahe dem Gipfel sportlicher Ehren.

Nach dem 0:4 des BVB im Hinspiel in Barcelona war das Horizonte zwar gefüllt, aber nicht überfüllt. Die Stadionstimmung übertrug sich in die Kneipe. Alle hatten Spass zusammen. Das Auf und Ab des Spiels wurde von allen Anwesenden mitgegangen, die Spielautomaten schienen auf parallele Dramaturgie programmiert 😉

Nach so einem Erlebnis drängte sich die BVB-Frage “Warum nicht immer so?” selbstverständlich auf, und die eingebetteten Medien drehen sie mit klick- und auflagensteigernder Begeisterung ins Unendliche. Daniel Theweleit/FAZ-Paywall zitiert als Kronzeugen den BVB-Abwehrkämpfer Niklas Süle: „Ich habe noch nicht so viele Spiele für Borussia Dortmund gemacht, in denen wir so füreinander eingestanden sind, so gekämpft haben“ und „Diese Frage stellen sich einige hier seit Jahren“. Süle personifiziert das Problem insofern, dass kaum ein Dortmunder Angestellter von seinem Arbeitgeber so in den Medienregen gestellt wurde, wie er. Oder wie würde es Ihnen gehen, wenn Ihr Arbeitgeber quasi wöchentlich ihren aktuellen BMI der Lokalpresse mitteilt? Ein Verein mit internationalen Ambitionen beschränkt sich dabei selbstverständlich nicht auf die Lokalpresse, sondern “muss” den kompletten Revolver-Boulevard bespielen.

Wenn es nur der Fall Süle wäre, zu dem eine Freundin gestern bemerkte, dass sie dem nicht so gerne begegnen würde, jedenfalls nicht beim Fussballspiel. Das Prinzip in der CDU-nahen Spitze des Vereins und der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA ist, wie seit Alters her, die Medien des Springerkonzerns mit privilegierten Durchstichen aller Art zu nähren, auf dass sie ihre Revolver gegen Andere richten. Nicht andere Vereine, sondern andere Personen. So assistieren die effizient bei Macht- und Rangkämpfen – nicht in der Bundesligatabelle, sondern in der Konzernhierarchie. Auch 17-jährigen Supertalenten, die das Intrigenspiel noch nicht selbst geübt haben (das übernehmen ihre blutsaugenden “Berater”), entgeht das nicht. Sie stellen sich charakterlich und sportlich auf solche Gegebenheiten ein. Wenn jeder an sich denkt, ist ja an alle gedacht.

Einzige Gegenmacht sind die Ultra-Vereinigungen, die 81.000 im Stadion und die Millionen Fans in den Kneipen. An Abenden wie gestern nötigen sie die Jungmillionäre zu kämpferischem Teamgeist.

Das ist das Prinzip. Ein Prinzip der Politik und der kapitalistischen Aufmerksamkeitsökonomie. Das Gegenteil zum Teamsport und kollektiver Solidarität. Weil es im westfälischen und sauerländischen Raum auf die Spitze getrieben wird, ist der BVB in Deutschland gegenwärtig nur Achter, noch hinter meiner Borussia mit einem halb so grossen Etat. Vielleicht wenigstens ein bisschen bei Inter Mailand abgucken, die heute den Fussballkonzern aus dem süddeutschen Raum in ein millionenteures Verderben stürzen können – mit zwei Ex-Gladbachern (Sommer und Thuram) auf der Höhe ihres sportlichen Schaffens?

Im Spiel gegenüber in unserer Kneipe gab es eine parallele Entwicklung. Aus der Stadt meldet die FAZ-Paywall, die übrigens einem milliardenschweren Profiteur der grassierenden Wettsucht ein langes Selbstdarstellungsinterview gewährt, “Die Müll-Krise in Birmingham spitzt sich zu – Gesundheitsgefahr: Zwischen den Müllsäcken krabbelt Ungeziefer umher. Abfallberge in den Straßen, dazwischen große Ratten: Die zweitgrößte britische Stadt leidet unter dem Dauerstreik der Müllwerker. Jetzt wurde sogar das Militär gerufen.”

Prinz William hatte leider absolut keine Zeit, sich darum zu kümmern …

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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