Frank Walter Steinmeier ist seit einigen Monaten abgetaucht. Weder in der Frage des Syrienkriegs, noch in Sachen Griechenland, weder zur aktuellen Lage in Afghanistan hat man von ihm etwas erkennbares gehört. Die unsägliche Politik des türkischen Präsidenten Erdogan, der unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung diejenigen Kurden abschlachtet, die als einzige am Boden den Terror des Islamischen Staates bekämpft und nicht zuletzt die „Drecksarbeit“ für den Westen und im Namen der Demokratie erledigt haben, bewertet im Namen der Bundesregierung bisher allein die Verteidigungsministerin, die nun den Abzug der „Patriot“ Raketen verkündet hat. Und auch in Fragen der Russlandpolitik scheint sich die Bundeskanzlerin als alleinige Bestimmerin der Politik durchgesetzt zu haben.
Angesichts dieser offensichtlichen Sprachlosigkeit und möglicherweise auch Ideenarmut ist es nicht verwunderlich, wenn in der SPD derzeit viele fragen, was denn die Aufstellung eines Kanzlerkandidaten überhaupt bringen soll – ist man doch offensichtlich auf einem der wichtigsten Politikfelder, die seit den Zeiten Willy Brandts und Egon Bahrs zum Markenzeichen der Sozialdemokraten wurden, ohne alternativen und ohne Orientierung. Dabei liegen die politischen Aufgaben auf der Hand oder besser brennen doch auf den Nägeln:
Brennendstes außenpolitisches Problem Nummer eins:
Der Krieg in Syrien ist die Ursache und Quelle von weit über 60% aller derzeit in die EU und vor allem nach Deutschland flüchtenden Menschen. Es ist völlig sinnlos und müßig, die Schlepper und Menschenhänder, die Verhältnisse in Libyen oder in der Türkei, die selbst hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen hat, zu beklagen. Ebenso sinnlos ist es, auf die außenpolitische Handlungsunfähigkeit der EU zu warten, diese ist handlungsunfähig. Um den Syrienkrieg zu geenden, bedarf es einer Initiative, die Syrien, Russland und den Iran einerseits sowie die USA und die Türkei andererseits zu Verhandlungen an einen Tisch bringt und wahrscheinlich in einer diplomatisch noch zu findenden Weise die Kurden ebenso wie Israel und die eine oder andere oppositionelle Gruppe einbezieht. Waffenstillstand und der Beginn eines Friedensprozesses ist das wichtigste politische Ziel, um die wichtigste Fluchtursache zu bekämpfen. Nach dem Abschluss des Atomabkommens mit dem Iran stehen die Zeichen dafür mehr als günstig und ein positiver Fortschritt der Gespräche in der Syrienfrage würde möflicherweise auch eine Arbeitsatmospäre schaffen, um das Vertrauen zwischen den USA, der EU und Russland wieder politiv zu beeinflussen. Aber auch eine Nummer kleiner – er müsste eigentlich schnell in die Türkei fahren und der Regierung ins Gewissen reden – oder in die Reste, die jene davon noch hat – und sie warnen, weiter gegen die Kurden und die Opposition im eigenen Land vorzugehen – von alldem ist unter dem Namen Steinmeier und SPD derzeit nichts zu sehen.
Außenpolitisches Problem Nummer zwei:
Die gesamte Region im nahen Osten, insbesondere Libyen, Eritrea, Somalia, Äthiopien und der Jemen sind Länder, deren Instabilität offensichtlich ist, die ähnlich wie der Irak dringend Hilfsprogramme und politische Unterstützung benötigen. Sie sind ebenso wie die Frage nach einer staatlichen Souveränität der Kurden eine tickende Zeitbombe direkt vor den Grenzen der EU. Sie stehen bei den Herkunftsländern der Flüchtlinge ganz oben an, sie sind in Gefahr, aufgrund ihrer wirtschaftlichen Armut entweder bald zum Rekrutierungspotenzial für islamistische Terroristen zu werden oder sie sind es bereits. Sie können damit auch mittelfristig zu einer weiteren Bedrohung Israels werden. Eine Nahostkonferenz, die sich unter Beteiligung der Golfstaaten und Israels um politische Lösungen und wirtschaftliche Perspektiven für diese Region bemüht, ist dringend notwendig und der zweite Schritt, nach Syrien die Region mittelfristig zu stabilisieren. Dies müsste ein sozialdemokratischer Außenminister zumindest politisch in die Öffentlichkeit bringen, indem er es in seiner Partei diskutiert. Bisher ist da aber nichts erkennbar.
Außenpolitisches Problem Nummer drei:
Die Wiederaufnahme von Gesprächen in der EU über eine gemeinsame zukünftige Haltung in der Frage der Ukraine gegenüber Russland. Die Ängste der baltischen Staaten und Polens gegenüber Russland müssen ernst genommen werden. Gleichzeitig müssen aber – und dies kann nur Deutschland tun, indem es sich möglichwerweise stärker militärisch engagiert, d.h. Präsenz zeigt – diese Staaten auch erkennen, dass eine weitere Ausdehnung der EU und der NATO gen Osten keine Option für eine gesamteuropäische Friedensordnung unter dem Einschluss von Russland sein kann. Die EU sollte gemeinsam Abschied nehmen von Positionen, Georgien oder gar die Ukraine in die EU oder gar in die NATO aufzunehmen – nicht zuletzt angesichts der wirtschaftlichen Unausgewogenheiten, die sich schon in der Griechenland-Krise gezeigt haben, aber auch, weil korrupte Oligarchenepubliken das letzte sind, das die EU als Mitglieder brauchen kann. Für diesen politischen Realismus müsste aber ein sozialdemokratischer Außenminister jetzt bei unseren Parntern in Europa werben, wenn sich die Lage in der Ukraine gerade mal nicht weiter zuspitzt. Auch hier scheint es Walter Steinmeier jedoch nicht zu geben.
Außenpolitisches Problem Nummer vier:
Die Diskussion um ständige Sparprogramme und die EU-Finanzpolitik hat das deutsch-griechische Verhältnis erkennbar angegriffen. Das gegenseitige Bild in der deutschen und griechischen Öffentlichkeit ist einem Tiefpunkt am nächsten. Dabei gäbe es für beide Seiten gute Gründe, den von bestimmten Medien wie der “Bild”-Zeitung und ihrer grichischen Antagonisten welcher Couleur auch immer etwas entgegen zu setzen. Solidarität zum Beispiel durch Intsivierung des Erfahrungsaustausches zwischen deutschen und griechischen Kommunen, Partnerschaften zwischen Unternehmen, ein deutsch-griechisches Jugendwerk, oder Ausbildungsprogramme der sozialdemokratischen Ministerkollegin Nahles für griechische Jugendliche in Deutschland – bis hin zur kollegialen “Ausleihe” von oder Ausbildung von Steuerfahndern in den sozialdemokratisch regierten Bundesländern – es gäbe eine Menge Europa-innenpolitischer kleinen Gesten und ganz konkreten Hilfen, mit denen ein sozialdemokratischer Außenminister das bilaterale Bild korrigieren und viel von der plakativen Zuspitzung einer vom Austerlitätsdenken beherrschten “Merkelrepublik” wegnehmen könnte – im allseitigen Interesse, letztlich auch dem der Kanzlerin. Auch hier: Fehlanzeige, vielleicht, weil er da mit dem Wirtschaftsminister gemeinsam agieren müsste und die beiden scheinen sowieso nicht mehr viel außerhalb des Kabinetts miteinander zu reden.
Außenpolitisches Problem Nummer fünf:
Das Verhältnis der EU zu den Balkanstaaten Ex-Jugoslawiens, die Probleme der Diskriminierung von Roma und anderen Minderheiten einerseits und die Abschottungspolitik der rechtsextremistischen Regierung in Ungarn und das Verhalten der anderen Anrheinerstaaten Slowenien, Kroatien, Tschechien und der Slowakei in diesen Fragen. So, wie sich Griechenland mit gefälschten Daten über ihre Währungssituation den Euro erschlichen hat, hat sich Ungarn langsam aber sicher den Weg in die EU unter Umgehung bzw. in diesem Fall nachträglicher Verabschiedung von den Prinzipien der offenen Demokratie und Verpflichtung der Politik auf die Grundrechte der Europäischen Verträge verabschiedet. Innenpolitische Zensur und außenpolitisches Errichten von Zäunen und Mauern sind mit einer freiheitlichen EU nicht zu vereinbaren. Die totale Abschottung und Ablehnung von VErantwortung gegenüber Flüchtlingen widersprechen nicht nur internetionalen Flüchtlingsabkommen, sie sind ein klarer Verstoß gegen Recht, vor allem aber den Geist der Europäischen Union. Hier ist der Außenminister an vorderster Stelle gefragt – als Mahner, als Vermittler, als oberster Diplomat im Auftrage eines demokratischen Europa – nicht aber als der oberste Grenzpolizist, der wider besseres Wissen die Situation in den sogenannten “Sicheren Herkunftsländern” schönredet und einstimmt in den Chor der Abschotter und Zäunebauer, wie an diesem Wochenende geschehen.
Die SPD hat es nicht leicht
mit einem Führungspersonal, das weder die offensichtlichen Chancen erkennt, sich gegenüber einer scheinbar alles politisch plattwalzenden Kanzlerin zu profilieren, noch willens zu sein scheint, sich aus den bequemen Sesseln der großen Koalition heraus um die Konturen einer anderen Politik, einer mit sozialdemokratischer und europäisch-friedenspolitischer Perspektive zu bemühen. So kann die SPD sich wohl kaum von den 25% Wählerstimmen lösen und die 18% scheinen nicht mehr so fern.
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