Paul Schreyer rekapituliert heute auf den Nachdenkseiten die 9/11-Diskussion. Ich möchte seinen Hypothesen noch eine hinzufügen, die sich mir nach der deutschen Flüchtlingsdebatte aufdrängt. Offensichtlich sind Regierungen und ihre Bürokratien mit der Komplexität heutiger globaler Prozesse komplett überfordert. Während der individuelle Mensch versuchen kann, für sich eigene Mechanismen zu finden, damit intellektuell und psychisch klarzukommen, viele sind auch davon überfordert, müssen kollektive Körperschaften, oder gar Apparate, die selbst von konkurrierenden Seilschaften und Intrigen durchtränkt sind, daran dramatisch scheitern.
Auf 9/11 angewandt: die USA unterhalten 16 Geheimdienste (bei uns sind es drei). Sie stehen in beständiger Konkurrenz um Ressourcen. Ich lese gerade das Buch von Tim Weiner: FBI. Allein die Geschichte dieses Dienstes – im Amerikanischen heissen die übrigens umgangssprachlich “Intelligence”, davon geht die deutsche Sprache völlig zu Recht nicht aus – ist voll von Machtkämpfen innerhalb der US-Regierungen, des FBI gegen die Regierung oder Teile von Ihr, des FBI gegen die CIA und/oder den Secret Service u.v.a. Da kann man im Ernst nicht glauben, dass die gegen einen äußeren Feind wie Al Quaida zusammenarbeiten. Nein, sie konkurrieren. Und alle sind bereit, dabei über Leichen zu gehen, ganz wie es Hollywood uns oft genug präsentiert, mal ohne mal mit Unterstützung von “Intelligence” oder Militär.
So dürfte auch 9/11 Ausdruck nicht verschwörerischer Perfektion, sondern skandalösen Versagens sein. Das reicht schon aus, um die beständigen Vertuschungsversuche, die Schreyer beschreibt, zu begründen. Die in den USA aber auch bei uns so beliebte Unterscheidung von Gut und Böse (“Evil”) funktioniert dabei nicht. Denn wie bei uns bei den NSU-Morden oder islamistischen Anschlägen, werden auch dort “Intelligence”-Kreise mal lose und mal intensiver an den Verbrechen beteiligt gewesen sein. Weil sie Verbrecher sind? Oder weil sie Versager, Doofmänner sind? Für die Geschichte und unsere Lehren daraus muss das geklärt werden, auch die Hinterbliebenen der Toten haben ein Recht darauf. Den Opfern hilft es nicht mehr.
Update 13.9.: Den Autor dieser Zeilen zu 9/11, Peter Becker, habe ich 1974 als 17-jähriger Delegierte in Bad Honnef in den Bundesvorstand der Jungdemokraten gewählt. Vorausgegangen war eine turbulente Nachtsitzung der 20 NRW-Delegierten. Damals war ich mir nicht ganz sicher, ob die Entscheidung richtig war, danach habe ich sie aber nicht mehr bereut. Vor dem Bundesverfassungsgericht hat er bedeutende Prozesserfolge erzielt. Nur der Haarschnitt war damals ganz anders.
Im Jahr 2003 habe ich selbst im Freitag zu dieser Diskussion veröffentlicht.
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