von Michael Paetau
Der Schock sitzt tief. Die Mehrheit der Kolumbianer haben sich gegen den zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla in Havanna ausgehandelten Friedensvertrag ausgesprochen. Mit einer hauchdünnen Mehrheit von ca. fünfzigtausend Stimmen fiel die Entscheidung. Bei einer Wahlbeteiligung, die man nicht anders als enttäuschend bezeichnen kann. Zwar sind 37% für kolumbianische Verhältnisse gar nicht so schlecht, bei einer derart wichtigen Entscheidung aber zu wenig.
Und bei der Wahlbeteiligung wird in einigen Medien denn auch mit Erklärungsversuchen für das Desaster angesetzt. Viele potenzielle Befürworter waren sich – so wird vermutet – der von den Meinungsforschungsinstituten prognostizierten Zustimmungsmehrheit zu sicher und sind dann aus welchen Gründen auch immer zuhause geblieben, weil sie annahmen, auf ihre eine Stimme käme es wohl nicht an. Wenn das so war, ein fataler Irrtum. Nun gab es aber auch Kolumbianer, für die der Gang zur Wahlurne tatsächlich mit einigen Schwierigkeiten verbunden war. Das betrifft vor allem die Regionen der Karibikküste. Heftige, durch den Hurrikan „Matthew“ verursachte Regenfälle, ließen viele Kolumbianer zunächst abwarten, ob sich die Wetterverhältnisse bessern würden. Drei der an der Karibküste gelegenen Departamentos hatten deshalb darum gebeten, die für 16 Uhr vorgesehenen Zeitpunkt der Schließung der Wahllokale um einige Stunden zu verlängern, was aber von der Wahlkommission abgelehnt wurde. Und so geschah es, dass viele Kolumbianer, die sich dann, nachdem die Aussicht auf eine Besserung der Wetterverhältnisse nicht mehr realistisch erschien, verspätet auf den Weg machten, tatsächlich vor verschlossenen Türen standen.
Einige politische Kommentatoren sehen auch in dem populistischen Wahlkampf der „Nein“-Verfechter, der mehr an antikommunistische Reflexe als an die zu entscheidenden inhaltlichen Fragen ausgerichtet war, einen Grund für das Ergebnis. In der Tat hatten Uribes Anhänger alles was konservativ denkenden Menschen zuwider ist, mit der Frage des Friedensabkommens vermengt. So wurden die Gespräche von vornherein, bevor überhaupt die ersten „Pre-Acuerdos“ vorlagen – als Bedrohung der gegebenen Ordnung angeprangert. Der durch seine traditionalistische und erzkatholische Haltung bekannte Alejandro Ordóñez, den manche für einen potentiellen Präsidentschafskandidaten der Konservativen halten, machte gar durch die Aussage von sich reden, dass die Vereinbarungen von Havanna auch ein Angriff auf die „heilige Institution der Ehe“ darstellen. Ordóñez ist nun nicht irgendjemand, sondern ehemaliger Procurador General de la Nación, eine Institution, die so weit mir bekannt ist, eine Besonderheit des kolumbianischen politischen Systems darstellt und die man sich als eine Art „Oberaufsicht“ über die Recht- und Ordnungsmäßigkeit der politischen Prozesse im Staat vorstellen muss. Dieser Mann, der schon in der Vergangenheit durch markige und provokante Äußerungen aufgefallen ist, freut sich nun, dass „die Gottgläubigen“ gewonnen haben und forderte den sofortigen Rückzug aller an den bisherigen Verhandlungen in Havanna beteiligten Personen.
Allein die Tatsache, dass Santos in Havanna dem Vorsitzenden der FARC die Hand gegeben hat, macht ihn für diese Leute bereits zu einem Sympatisanten von Kommunisten. Sie werfen ihm vor, das Land in einen sozialistischen Transformationsprozess a la Venezuela zu führen. Die in Havanna vereinbARTE Partizipation der FARC am politischen Leben des Landes ist für sie ein Indiz, dass er das Land den Kommunisten ausliefere. Dabei sehen die Vereinbarungen lediglich vor, dass die noch zu gründende linke politische Organisation für zwei Legislaturperioden bis 2026 fünf Mandate im Unterhaus und fünf weitere im Senat erhält, und sich danach ganz normal an politischen Wahlen beteiligt. Eine Regelung, die auch in Deutschland nach der Wiedervereinigung angewandt wurde. Aber der Aufschrei der kolumbianischen Konservativen zeigt, wie verängstigt die rechtsorientiert politische Elite des Landes sein muss. Sie scheint sich ihrer politischen Hegemonie nicht mehr so sicher zu sein.
So zeigt sich denn in der Auseinandersetzung um den Friedensprozess mehr als nur die Einstellung für oder gegen Krieg. Man könnte fast von einer Aggregation der vielfältigen politischen Kräfte in zwei große Lager sprechen, in denen sich zwei fundamentale Positionen identifizieren lassen: Auf der einen Seite diejenigen, die sich ein weltoffenes, sozial gerechteres und modernes Kolumbien wünchen, und auf der anderen diejenigen, die jedwede Veränderung als Schritt in den Untergang der gottgebenen Ordnung des Vaterlandes, also letztlich als Angriff auf ihre Privilegien, betrachten. Also eigentlich dann doch wieder die alte Differenz zwischen Links und Rechts? Doch so einfach ist es nicht.
Dass die Entscheidung äußerst knapp ausgefallen ist, konnte für aufmerksame Beobachter keine Überraschung sein. Das hatte sich schon lange vorher angedeutet. Bereits bei der letzten Präsidentschaftswahl, die bereits ganz im Zeichen der Auseinandersetzungen um die Friedensverhandlungen geführt worden war, hatte sich deutlich gezeigt, wie tief das Land gespalten ist. Und auch in den Diskussionen der letzten zwei Jahre war die Polarisierung nicht zu übersehen. Der Riss zwischen Befürwortern und Gegnern der Friedensverhandlungen in Havanna ging quer durch alle Klassen und auch durch alle Familien. Die Familie des Präsidenten ist hierfür selbst ein Beispiel. Denn Francisco Santos, ein Cousin des Präsidenten Juan Manuel Santos, unterstützt das Lager der Friedensgegner, deren populärste Figur der frühere Präsident Alvaro Uribe ist. Ähnliches erlebe ich bei den Familien von Freunden und Bekannten. Und das wird auch bestätigt in vielen Gesprächen mit Taxifahrern, denen man ja eine seismographische Funktion für die Stimmung in der Bevölkerung nachsagt. In den Umfragen der Meinungsforschungsinstituten vor dem Wahlgang gab es immer wieder Schwankungen, aber zuletzt lag das Lager der Befürworter vorn und ich kenne eigentlich niemanden, der nicht von einer Zustimmung der Bevölkerung ausgegangen ist. Nun, wir haben uns alle geirrt. Wieder einmal, muss man sagen, angesichts der BREXIT-Entscheidung im Juni dieses Jahres.
Eine deutliche Sprache spricht auch ein genauer Blick auf die verschiedenen Departamentos. Diejenigen Departamentos, die am meisten unter dem Krieg gelitten haben, haben mehrheitlich für den Frieden gestimmt. Diejenigen, die von den Kriegsgeschehen am wenigsten betroiffen waren, haben eher für „nein“ gestimmt. Ein nicht ganz unbekanntes Muster.
Man konnte befürchten, dass Santos, der sein politisches Schicksal vollständig an den Friedensprozess gebunden hatte, nach der Niederlage zurücktreten würde. So war denn am Abend des Wahltages, als tausende Friedensbefürworter – „queremos la paz, queremos la paz“ skandierend – spontan vor den Präsidentenpalast zogen und ihm ihre weitere Unterstützung zusicherten, eine sehr spannungsgeladene Stimmung zu spüren. Aber Santos trat nicht zurück. Im Gegenteil, angesichts der starken Polarisierung im Lande, betonte er seine Verantwortung als Garant für die Einheit und Stabilität im Lande. Er bekannte seine Niederlage, bekräftigte jedoch, weiter an seinem Ziel, den Frieden zu schaffen, zu arbeiten. Seine Gegner forderte er auf, konstruktive Vorschläge zu machen, wie man nun aus der verfahrenen Situation herauskommt, denn auch ihnen konzedierte er, letztlich den Frieden zu wollen, wenngleich mit anderen Vorstellungen. Nur „nein“ zu sagen, könne nicht reichen. Seiner noch am selben Abend ausgesprochene Einladung für ein erstes Gespräch am Montag, wurde allerdings von der Uribe-Fraktion ausgeschlagen. Man muss abwarten.
Die andere Frage ist: wie wird die FARC reagieren? Auch Rodrigo Londoño (aka: Timochenko), der FARC-Chef, trat noch am Abend vor die Kameras und äußerte sich zurückhaltend und ausgesprochen verantwortungsvoll. Auch er sieht keine andere Zukunft des Landes, als in der Etablierung des Friedens und versicherte, dass die FARC an diesem Ziel festhalten werde. Die Kalaschnikow bleibt also zunächst im Schrank. Angst kann einem dagegen die grauenvolle Hetze machen, die die Rechtsradikalen auf Twitter losgetreten haben. Ein erschreckendes Kriegsgebrüll mit vielfältigen Morddrohungen an in- und ausländischen linken Politikern. So schnell wird Kolumbien wohl nicht zur Ruhe kommen.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei wissenskulturen.de – hier übernommen mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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