Nachdem Ihr Euch nun drei Tage lang, angefüttert durch die Schlagzeilen unserer “Qualitätsmedien”, über das Abstimmungsverhalten der “Deutschtürk*inn*en” aufgeregt habt, lässt einer von Euch, der langjährige CDU-MdB und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz, der sich als Politruheständler eine eigene Meinung leisten kann, jetzt hier mal ausführlich die heisse Luft raus:

“In ersten Stellungnahmen wird jetzt das Referendum herangezogen, um eine mangelhafte Integration DER TÜRKEN in die deutsche Gesellschaft zu behaupten. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass diese Sichtweise nicht gerechtfertigt ist. Es gibt in Deutschland 3,5 Millionen Türkeistämmige. 1,5 Millionen von ihnen haben (auch) einen türkischen Pass und waren wahlberechtigt. Die Wahlbeteiligung betrug 50%. Also haben ca. 750.000 abgestimmt. Davon waren 60 % für die von Erdogan propagierte Verfassungsänderung.
Von 3,5 Millionen Menschen waren 450.000 für Erdogan und die Verfassungsänderung. Das sind knapp 13 %.
Deshalb von gescheiterter Integration DER TÜRKEN zu sprechen, wird der Realität nicht gerecht.
Außerdem ist etwa die Hälfte der in Deutschland wahlberechtigten Türken garnicht zur Abstimmung gegangen. Das kann viele Gründe haben. Jedenfalls wird man daraus nicht schließen können, dass diese Türken noch in besonderer Weise auf die Türkei orientiert bei uns leben.
Jetzt erst recht, möchte man sagen. Jetzt sollten wir erst recht zeigen, dass es sich in einer Demokratie am besten leben lässt: auch für Migranten und für Menschen, die aus der Türkei zu uns nach Deutschland gekommen sind. Es wäre ja noch schöner, wenn wir uns in Deutschland von Erdogan spalten ließen.”
(zitiert/kopiert aus einem vom Tagesspiegel verlinkten Facebook-Post)

Ich will es in eigenen Worten mal so ausdrücken: die “Deutschtürk*inn*en” sind schon so gut assimiliert, dass wie fast identisch wie die Deutschen wählen. 13% für Erdogans Feldzug gegen die türkische Demokratie, das entspricht doch fast genau den Umfragewerten der AfD. So wächst zusammen, was zusammengehört.
Die Hälfte der Wahlberechtigten hat gar nicht teilgenommen; sie fühlen sich hier so zuhause, dass sie der Erdogan-Scheiss nicht (genug) interessiert. Hinzu kommt die Mehrheit der nicht-wahlberechtigten Eingebürgerten. So what?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net