Das Klima gegen Trump schützen, die Elektromibilität durchsetzen und die “Ehe für alle” verwirklichen – das haben die Grünen vor zwei Wochen als Wahlkampfschwerpunkte beschlossen. Endlich ein Thema, dachten die Ökos, das den Konservativen wehtut, an dem die bürgerlichen Träume der gesamten Schwulen- und Lesbenbewegung hängen, dem sich die CDU aber bisher verweigert, weil sie nicht über ihren spießbürgerlichen Markenkern springen will – damit wollte man Merkel die nächsten 90 Tage treiben – ein schöner Plan. Die FDP erkannte die Chance, sich ohne Risiko als rechtstaatlich-linksliberal zu profilieren – anders, als wenn man sich zur Gegnerschaft der Vorratsdatenspeicherung aufgeschwungen hätte – und stimmte in die Zielrichtung ein. Die SPD sprang am vergangenen Sonntag auf und die “Linke” muß bei sowas immer dabei sein.
Dazu hatte Martin Schulz in seiner schwierigen Situation als außerparlamentarischer Kanzlerkandidat der SPD eine Idee, indem er Merkel politische Dialogverweigerung als Instrument der Entpolitisierung zur Senkung der Wahlbeteiligung vorwarf. Schon der Versuch ist ein Wagnis, gesteht er der Gegenkandidatin damit doch eine hegemonielle Wirkung zu, die eine solche Verweigerung überhaupt erst ermöglicht. Ob das klug war, mag sich in den nächsten Wochen zeigen – der Autor hätte ihm einen solchen Rat niemals gegeben, denn wer der Gegnerin eine Vorrangstellung einräumt, macht sich selbst unnötig klein. So bekam er ein paar polarisierende Schlagzeilen, weil der Merkel bewußte politische Demobilisierung als undemokratische Haltung unterstellte.
Merkel revanchierte wich auf ihre ganz besondere Art durch unverzügliches Handeln. Unverhofft erklärte sie bei ihrem Auftritt in der Frauenzeitung “Brigitte”, – immer noch linksliberales Forum gemäßigt emanzipierter bürgerlicher Frauen von der sozialdemokratischen Friseurin bis zur Unternehmergattin, die Grün wählt – sie sehe die “Ehe für alle” gar als individuelle Gewissensfrage, die man nicht in den Parteienstreit ziehen dürfe und der gegenüber sie durchaus offen und belehrbar sei. Ihr wäre lieber, der Bundestag würde darüber ohne Fraktionszwang rein nach dem Gewissen der Abgeordneten abstimmen. Wie beim § 218, der Sterbehilfe und ähnlichen ethischen Entscheidungen hielt die Kanzlerin damit ein Schlüsselthema aus dem Bundestagswahlkampf heraus und räumte es einfach ab. Ob es nun in ihrer eigenen Partei Abgeordnete geben wird, die sich schwer tun, kann ihr egal sein. Das Thema ist erledigt, eine potenzielle Schwäche der Union vermieden, eine Zerreißprobe unnötig, Volker Beck von den Grünen glücklich und alle anderen Parteien außer der CDU/CSU um ein Wahlkampfthema ärmer – so sehr sich auch die SPD brüsten wird, sie habe die Kanzlerin zum Schwur gezwungen.
Niemand wird das glauben, weil Merkel locker damit umgeht und keinerlei Widerstand oder Bitterkeit zeigen wird. Sie beweist einmal mehr ihre taktische Erfahrung, unliebsame Themen abzuräumen, an den Kernthemen der CDU festzuhalten und ernsthaften Gegnern frühzeitig den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das hat sie mit ihrem Statement erreicht und sie hat noch bis weit in die Linksliberale Mitte hinein Boden gut gemacht. Das kostet die SPD Stimmen und schafft ihr selbst mehr Rückendeckung für eine Mehrheit. Der alte Berliner Regierungswitz gilt immer noch: Was passiert, wenn Merkel in ein Becken voller Haifische fällt? – Eine ganze Zeitlang gar nichts – und dann sind plötzlich alle Haie tot! Nachbemerkung speziell für die Grünen: Die Vorratsdatenspeicherung wäre wichtiger, relevanter und nicht so spielerisch leicht abzuräumen gewesen!
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Nach Wochen reaktionärer Dürre hat das FAZ-Politikressort zu diesem Vorgang wieder eine informative Analyse seiner besten Autoren Günter Bannas und Majid Sattar online gestellt.
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