von Andreas Zumach
Im Umgang mit Nordkorea verhält sich US-Präsident Donald Trump wie ein Kind. Die große Frage ist, ob er dennoch auf kritische Fragen hören wird.
Ausgerechnet zwischen den Jahrestagen der Atombombenabwürfe vom 6. und 9. August 1945 haben Donald Trump und Kim Jong Un weltweit die Angst vor einem dritten Einsatz dieser fürchterlichen Massenvernichtungswaffen geschürt. Zumindest rhetorisch hat sich der Präsident der häufig als Führungsmacht der demokratischen Staaten bezeichneten USA damit auf das Niveau eines seit Jahren völlig isolierten stalinistischen Diktators begeben.
Trump und Kim spielen beide Vabanque. Der Diktator von Pjöngjang hat offensichtlich niemanden in seiner Umgebung, der ihm von diesem hochgefährlichen Spiel abrät – anders als sein deutsches Pendant vor 78 Jahren: „Wir wollen doch das Vabanquespiel lassen“, riet Hermann Göring dem Führer nach der britischen Kriegserklärung an Nazideutschland vom 3. September 1939, zwei Tage nach dem deutschen Überfall auf Polen. Adolf Hitler antwortete: „Ich habe in meinem Leben immer va banque gespielt.“ Dieser Satz könnte auch von Donald Trump stammen.
Der US-Präsident hat im Unterschied zu Kim in seinem Umfeld allerdings viele Akteure – innerhalb der Administration, in beiden Kongressparteien, in den Geheimdiensten und in den Medien –, die sein bisheriges Verhalten im Konflikt mit Nordkorea kritisieren und auf eine Kursänderung drängen. Das ist ein zentraler Unterschied zwischen der Diktatur in Pjöngjang und der Demokratie in Washington.
Die große, bange Frage ist allerdings, ob Trump auf diese kritischen Stimmen hört. Oder ob er weiterhin die Analyse der New York Times vom Mai bestätigt, wonach „die Welt von einem Kind angeführt wird“ und „Präsident Trump sich verhält wie ein Siebenjähriger, der nicht gelernt hat, zuzuhören, Fehler einzugestehen und seine Impulse zu kontrollieren“.
Schon einmal, mit seinem Befehl zum Raketenbeschuss einer syrischen Luftwaffenbasis als Vergeltung für einen angeblichen Giftgaseinsatz durch die syrische Luftwaffe, ignorierte der Präsident alle Warnungen und Berichte seiner Geheimdienste und Militärs. Nach diesen Berichten handelte es sich um einen Angriff der russischen Luftwaffe mit einer konventionellen Bombe auf ein Treffen von Führungsleuten von al-Qaida, bei dem versehentlich auch ein Lager mit chemischen Substanzen getroffen wurde. Moskau hatte Washington sogar vorab von dem geplanten Luftangriff informiert.
Nach dem Raketenbeschuss auf die syrische Luftwaffenbasis schnellten Trumps Beliebtheitswerte in Umfragen in die Höhe. Viele seiner Kritiker stellten sich hinter ihren „Commander-in-Chief“. Die Versuchung für Trump, durch einen militärischen Konflikt mit Nordkorea wieder einen ähnlichen Effekt zu erzielen und damit von seinen erheblichen innenpolitischen Schwierigkeiten ablenken zu können, ist groß. Auch für Kim ist der Konflikt mit den USA in erster Linie ein Mittel, das eigene Volk hinter sich zu scharen, dem er ansonsten nur Armut, Hunger, Unterdrückung und internationale Isolation anzubieten hat.
Durchdachtes Schachspiel
Vor allem in westlichen Medien wird Kim häufig als „Psychophat“ bezeichnet, als „der Irre mit der Bombe“ oder mit ähnlichen Begriffen, die ein irrationales Verhalten des nordkoreanischen Diktators unterstellen. Das ist ein gefährlicher Irrtum. Denn Kim spielt nicht nur Vabanque. Sondern er beherrscht – im Unterschied zu Trump – auch das Schachspiel mit genau durchdachten, rationalen Zügen.
Davon zeugt Pjöngjangs jüngste Veröffentlichung wohlkalkulierter und detallierter Abschußplanungen mit Mittelstreckenraketen – nicht etwa gegen das Territorium der Insel Guam oder gar gegen die dortige US-Militärbasis, sondern gegen unbestimmte Ziele in den internationalen Gewässern 30 bis 40 Kilometer vor der Küste Guams.
Eine Umsetzung dieser Planungen würde die US-Administration vor schwierige Entscheidungen stellen: sowohl eine militärische Reaktion wie ein präventiver Militärschlag der USA gegen Nordkorea wären völkerrechtlich nicht zu begründen. Selbst dann nicht, wenn die nordkoreanischen Raketen tatsächlich durch den Luftraum Japans und Südkoreas fliegen sollten. Und in beiden Szenarien – präventiver oder reaktiver Militärschlag – müßten die USA alle Angriffskapazitäten Nordkoreas verläßlich ausschalten, um Gegenschläge gegen südkoreanische oder japanische Städte zu verhindern.
Eine Deeskalation und vielleicht sogar politische Beilegung des Konflikts wird es nur geben, wenn die USA wieder zu ihrer Politik der 90er Jahre zurückkehren. Die Clinton-Administration gab Nordkorea im Genfer Abkommen von 1994 neben der Zusage der Lieferung von verbilligten Nahrungsmitteln und Öl sowie nicht zu militärischen Zwecken nutzbaren Leichtwasserreaktoren zur Energieversorgung eine Nichtangriffsgarantie. Im Gegenzug verpflichtete sich Pjöngjang, sein militärisches Nuklearprogramm einzustellen und sich an all seine Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (NPT) zu halten.
Erst seitdem Präsident George Bush die Nichtangriffsgarantie im Januar 2002 aufkündigte, hält sich Pjöngjang nicht mehr an diese Zusagen. Die besten Chancen, Washington zur Kurskorrektur zu bewegen und dann auch eine erfolgreiche Vermittlerrolle zwischen den USA und Nordkorea zu spielen, hätte die EU.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
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