Bestandsaufnahme des vergangenen Wochenendes: zwei Nachrichten beherrschen die veröffentlichte Meinung. Hilfs- und Rettungsorganisationen ziehen sich aus dem Mittelmeer zurück, weil sie von einer kriminellen Bande (“Küstenwache“) aus Libyen, die von unserer Regierung bezahlt und ausgerüstet wird, bedroht werden. Die Kanzlerin und ihr Koalitionspartner Schulz lieferten sich – angeblich – ein rhetorisches Fern-“Duell”, wie es mit der deutschen Autoindustrie weitergehen soll.
Ich gebe zu, ich nehme natürlich nur einen kleinen Ausschnitt der veröffentlichten Meinung wahr. In den Abendsendungen des Deutschlandfunks oder in der Tagesschau der ARD kamen Grüne jedenfalls bei diesen einst urgrünen Themen gestern nicht vor. Wozu haben sie noch was zu sagen, wenn nicht dazu? Soll der Öffentlichkeit Boris Palmer (“nicht allen helfen”, “Afghanistan ist sicher”) als Grüner im Gedächtnis bleiben? Ich zweifle nicht, ich weiss es sogar, dass es in den Grünen Partei- und Fraktionsstrukturen viele kompetente Menschen gibt, die sich zu diesen Themen fachlich qualifiziert engagieren. Was aber offensichtlich fehlt ist eine praxistaugliche Diskurs-, PR- und Wahlkampfstrategie.
Rechthaben mag eine notwendige Bedingung für gute Politik sein, ist aber keineswegs hinreichend. Dafür ist Konflikt- und Streitbereitschaft erforderlich. Wer erfolgreich sein will, darf nicht den Themen der Gegner*innen und rechter “Leitmedien” hinterherrennen, sondern muss sie selbst setzen. Für dieses Handwerk ist umfangreiche gedankliche Vorarbeit erforderlich. Und wenn es danach nicht klappt, wenn es den Anderen gelingt, eine*n zu ignorieren, dann war die Vorarbeit noch nicht gut genug.
Mit dieser Gedankenarmut organisieren sich die Grünen die Notwendigkeit des Existenzkampfes selbst, da brauchen sie gar keine Gegner*innen für. Diese Lage führt bei ihnen anscheinend nicht zu (Existenz-)Kampfbereitschaft (wie z.B. im Fußball bei, sagen wir mal, Werder Bremen), sondern zu Schockstarre.
Die Wähler*innen werden sich am 24.9. ungefähr so aufteilen:
– die, die wollen, dass alles bleibt, wie es ist, wählen Merkel;
– die, die wollen, dass alles wieder so wird wie früher, wählen nicht, oder AfD, oder auch Merkel, evtl. über den Umweg FDP;
– die, die wollen, dass sich was ändert ….. ja wen sollen die denn wählen? Parteien, die hinterher auch die Merkel wählen?
Jetzt in die Büsche schlagen und hinterher den Spitzenkandidat*innen, Katrin “Boring”-Eckardt und Cem Özdemir, die Verantwortung zuschieben? Ich habe keine*n von beiden gewählt, die ganze Wahl war überflüssig, wie längst bewiesen ist, aber so billig kommt niemand davon. Wer meint, eine bessere Strategie zu haben, muss sie auch mit Personen verbinden, die bereit sind sie zu repräsentieren. Warum hat sich von den linken Grünen ausser Toni Hofreiter niemand getraut? Weil sie genau wissen, wie unsolidarisch und intrigant ihre eigenen Leute hinter ihnen herraunen – sie kennen sich selbst, also auch alle andern.
In der Spitze der Verbraucher*innen*organisationen arbeiten Grüne, die Umweltverbände sind voll mit Grünen, in den Gewerkschaftsspitzen sitzen und arbeiten prominente Grüne (ver.di, DGB, IG Metall) – ist das der Grund, dass noch kein Bewegungsdruck gegen den großangelegten Betrug von Bundesregierung und Autoindustrie organisiert wird (jedenfalls bisher nicht sichtbar)? Wie arm ist das denn?
Wenn es individuelle Charakteraversionen sein sollten, weil mann sich früher in der gemeinsamen Partei so intensiv verfeindet hat, dann sollten diejenigen den Platz frei machen, für Menschen die diskurs-, verhandlungs- und kompromissfähig sind. Es geht um mehr, als Eure Performance im Berliner Zirkus: um Ökonomie, Ökologie und Demokratie.
Update 20.8.:>/em> In der Taz an diesem Wochenende beschreibt Peter Grottian, wie der Neoliberalismus jede zivilgesellschaftliche Organisation in ein Unternehmen verwandelt hat, mit eigenen Branding-Interessen, statt Fähigkeit zur wirksamen Bündelung und Verknüpfung politischer Kräfte. Er hat völlig Recht, aber ist in Berlin wohl schon zu vielen wichtigen Menschen auf die Nerven gegangen.
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