von Oliver Decker, Alexander Yendell, Johannes Kiess, Elmar Brähler / Otto-Brenner-Stiftung
Diskussion und Schlussfolgerungen
Was haben die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit nun gezeigt? Zunächst: Die meisten Menschen nehmen an der demokratischen Öffentlichkeit teil, sie nutzen die Breite des Medienangebots und gestehen den angebotenen Nachrichten und Berichterstattungen grundsätzlich Glaubwürdigkeit zu. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Tageszeitungen können sich bestärkt fühlen, ihren Informationsauftrag aus der Sicht der meisten ihrer Nutzer*innen glaubwürdig zu erfüllen. Deren Anteil ist umso größer, je mehr die Menschen durch den Konsum mehrerer Medienkanäle diese miteinander abgleichen können. Aus diesem Kreis bildet sich die kritische Öffentlichkeit als notwendiges Element einer Demokratie.
Im Folgenden werden die Kernergebnisse der einzelnen Kapitel referiert, bevor mögliche Konsequenzen aus den Ergebnissen der Studie aufgezeigt werden.
Nutzung und Glaubwürdigkeit der Medien
Es lassen sich in Verbindung mit soziodemografischen Merkmalen deutliche Unterschiede in der Mediennutzung und in der Glaubwürdigkeit der Medien finden. Zwischen Ost- und Westdeutschland bestehen auch mehr als 25 Jahre nach dem Mauerfall immer noch deutliche Unterschiede, nicht nur auf der Einstellungsebene, sondern auch hinsichtlich der Nutzung von Medien. Unter Westdeutschen finden sich deutlich mehr Leser*innen von Tageszeitungen, während der Anteil der Mischnutzer von Tageszeitungen und Rundfunk sowie der Internetnutzung unter Ostdeutschen verbreiteter ist. Gleichzeitig wird die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Tageszeitungen in Ostdeutschland deutlich geringer eingeschätzt als in Westdeutschland. Mit 92 Prozent (Tageszeitung) und 45,2 Prozent (öffentlich-rechtlicher Rundfunk) halten weniger als die Hälfte der Ostdeutschen diese Medien für glaubwürdig. Im Westen schenken 54 Prozent bzw. 55,7 Prozent ihnen Glauben. Unterschiede bestehen aber auch hinsichtlich weiterer soziodemografischer Merkmale. Menschen mit höherer Bildung neigen eher dem Internet zur Informationsbeschaffung zu, während Menschen mit niedrigerer Bildung etwas häufiger Tageszeitungen konsumieren. Dieser Unterschied findet sich auch zwischen Altersgruppen wieder. Ältere meiden eher das Internet und lesen mehr Tageszeitungen. Ein Viertel der unter 40-Jährigen nutzt ausschließlich das Internet zur politischen Information. Mit Blick auf die Chancengleichheit beim Zugang zur Öffentlichkeit fällt die geringere Anzahl an Konsumenten von Tageszeitungen in den unteren Einkommensgruppen auf. Darüber hinaus hegen Arbeitslose ein deutlich höheres Misstrauen gegenüber der medialen Öffentlichkeit. Auch die subjektive Deprivationserfahrung hängt eng mit mangelnder Glaubwürdigkeit der Medien zusammen. Bei den Parteianhängern findet sich unter den Wähler*innen der AfD die größte Gruppe ohne Glauben an die Berichterstattung. Fast 32 Prozent schenken keinem Medium mehr Glauben. Eine ähnlich große Gruppe findet sich auch unter den Nichtwähler*innen (27,7 %). Dabei muss insbesondere die letzte Gruppe einer Demokratie Sorgen bereiten: Diese Personen haben sowohl die Teilhabe als auch die Teilnahme an wesentlichen Elementen derdemokratischen Gesellschaft aufgegeben.
Wer allerdings den Berichterstattungen in Tageszeitungen, privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk Glauben schenkt, der ist auch mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden. Das ist der deutlichste Zusammenhang und markiert auch die zentrale Funktion der Medien in der repräsentativen Demokratie. Eine Reihe von anderen Merkmalen ist denjenigen gemeinsam, die diesen Medien glauben: Sie lehnen Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ebenso ab wie die Verharmlosung des Nationalsozialismus und eine rechtsautoritäre Diktatur. Im Kontrast dazu finden sich bei denjenigen, die dem Internet Glauben schenken, eher Gewaltbereitschaft und NS-Verharmlosung. Diese beiden Merkmale hat die Gruppe mit jenen gemeinsam, die der Berichterstattung in den Boulevardmedien glauben. Dies ist auch interessant, weil sie sich in der Altersstruktur unterscheiden: Internetnutzer sind jünger, Boulevardkonsumenten älter.
Die Bewohner der Echokammer: Strukturwandel der Öffentlichkeit und Internet
Dieser letzte Befund zeigte bereits, dass das Internet für eine dialogische Demokratie nicht nur Chance, sondern auch Herausforderung ist. Nutzer*innen klassischer Medien können, indem sie Informationen aus verschiedenen Medien nutzen, die so gewonnenen Informationen abgleichen und gewichten. Diese Form kritischer Öffentlichkeit führt zum öffentlichen Vertrauen. Wer das Internet zur politischen Information und Meinungsbildung nutzt, stößt auch dort auf unterschiedliche Inhalte und Medienangebote. Zur Verfügung stehen neben Meinungsforen ebenso redaktionell betreute Angebote. Die Notwendigkeit, Informationen zu gewichten und Komplexität von Debatten und politischen Entwicklungen zu reduzieren, stellt im Alltag und bei der Breite lebensrelevanter Themen eine Herausforderung dar. Offensichtlich erschwert aber die Eigenlogik des Internets diese kritische Nutzung. Dies ist nicht nur durch die große Zahl an Informationen bedingt, sondern auch durch das Medium selbst. Die Oberfläche und Beschleunigung der Nachrichten belastet die kritische Lektüre der zahllosen Informationsangebote im Internet. Bei der Gruppe derjenigen, die sich ausschließlich im Internet informieren, zeigt dieser Prozess somit eine Wirkung, die für die Demokratie nicht unerheblich sein wird. Während sich hinsichtlich der meisten Einstellungsdimensionen keine Unterschiede zu anderen Mediennutzern zeigen, gibt es bei den reinen Internetnutzern doch eine Minderheit, die den Nationalsozialismus verharmlost, und etwa jeder sechste hat eine sexistische Einstellung. Viel gravierender fallen jedoch andere Werte aus: Mit der praktizierten Demokratie sind in der Echokammer des Internets fast zwei Drittel unzufrieden, die Verfassung lehnt ein Drittel ab. Knapp 40 Prozent hängen Verschwörungstheorien an, und wiederum 35 Prozent ziehen Gewalt als Mittel der Interessenvertretung für sich selbst in Betracht. Der Anteil der sozial Deprivierten ist höher als sonst in der Bevölkerung. Eindrücklichstes Ergebnis ist, dass diejenigen, die die Echokammer bevölkern, nicht nur den klassischen Medien wenig glauben. Sie glauben zudem auch den Informationen aus dem Netz häufig nicht. Nur 35 Prozent halten für glaubwürdig, was sie dort an Informationen finden. Dass die Werte für die Glaubwürdigkeit von Tageszeitungen und Rundfunk bei ihnen noch niedriger ausfallen, muss beunruhigen, und tatsächlich würden die meisten der Internetintensivnutzer*innen nicht wählen gehen oder wissen nicht, wen sie wählen sollen. Gibt es eine Parteipräferenz, dann steht die AfD an erster Stelle. So ist es dann nicht mehr erstaunlich, dass sich in der Echokammer auch ein sehr niedriges öffentliches Vertrauen findet. Jede gesellschaftspolitische Institution, von den Parteien über die Gewerkschaften bis hin zur Polizei, findet weniger Vertrauen als in der restlichen Bevölkerung.
Polarisierung und Radikalisierung
Im letztgenannten Punkt findet sich die Grundannahme aus der Einleitung bestätigt: Öffentliches Vertrauen braucht Glaubwürdigkeit der Medien und Informationsquellen. Das zeigt sich auch in der Breite: Wer den Medien grundsätzlich Glauben schenkt, hat auch Vertrauen in die Institutionen.
In der Leipziger „Mitte“-Studie 2016 wurde eine starke Polarisierung und Radikalisierung beschrieben. Während in den demokratischen Milieus das Vertrauen in das demokratische Gemeinwesen in den letzten Jahren gewachsen ist, radikalisierten sich die schrumpfenden rechtsautoritären Milieus. Diese Dynamik lässt sich auch bei der Untersuchung der Mediennutzung feststellen. Wie bei politischen Inhalten und demokratischen Grundwerten so ist auch bei der Glaubwürdigkeit eine starke Polarisierung zwischen den Positionen festzustellen. Während eine Mehrheit der Bevölkerung der medialen Berichterstattung grundsätzlich glaubt und entsprechend auch Vertrauen gegenüber den gesellschaftspolitischen Institutionen zeigt, stellt sich das Bild in den rechtsautoritären politischen Milieus differenzierter dar.
Im ressentimentgeladenen Milieu (14,1 %) ist die Glaubwürdigkeit der Medien zwar gering ausgeprägt, für unglaubwürdig hält die Tageszeitungen und den Rundfunk jedoch nur jedes sechste Mitglied. Die größte Gruppe ist unentschieden. Dieses Milieu ist andererseits vertrauensvoll gegenüber den Institutionen; es ist noch von einer relativen Teilhabe und Akzeptanz des demokratischen Systems geprägt. Hier wirkt wahrscheinlich das hohe Ausgangsniveau des Vertrauens von vor zehn Jahren nach (vgl. Decker/Brähler 2016). Mit umgekehrtem Vorzeichen stellt sich die Lage im latent-antisemitischen Milieu dar. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Tageszeitungen gelten hier als sehr glaubwürdig, während das Vertrauen in gesellschaftspolitische Institutionen gering ist.
Im ethnozentrisch-autoritären und rebellisch-autoritären Milieu ist das Vertrauen in die gesellschaftspolitischen Institutionen niedrig, die Gewaltbereitschaft aber sehr hoch. Zusammengenommen leben immer noch 17,6 Prozent der Bevölkerung in diesem politischen Umfeld. Es zeigt sich nun, dass die Mitglieder dieser drei Milieus auch zu denen gehören, die den Medien selten oder gar keinen Glauben schenken. Im rebellisch-autoritären Milieu ist es gerade einmal ein Viertel, das der Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch traut (ein Drittel glaubt den Tageszeitungen). Es kann nicht beruhigen, dass die Glaubwürdigkeit des Internets in diesem Milieu noch geringer eingeschätzt wird, denn dieser Teil der Bevölkerung hat sich von der repräsentativen Demokratie längst abgewendet.
Schlussfolgerungen
Im Idealfall zeichnet die repräsentative Demokratie eine Besonderheit aus: Bei der Entscheidungsfindung in den Parlamenten sind die Abgeordneten mit einem gewissen Freiraum ausgestattet. Sie sind in ihrem Handeln nicht durch einen bindenden Auftrag ihrer Wähler*innen festgelegt, viel mehr wird dessen Ergebnis durch politische Aushandlungsprozesse bestimmt. Politische Positionen treffen in der Arena zwar im Widerstreit aufeinander, verlassen diese dann aber als Kompromiss. Diese Angleichungs- und Aushandlungsprozesse benötigen Voraussetzungen, die keinesfalls immer gegeben sind.
Die Interessen müssen in den Parlamenten und in der Öffentlichkeit gleichermaßen gleichberechtigt artikuliert und vertreten werden können. Für die dann gefundenen Kompromisse brauchen die Parlamente am Ende die Akzeptanz der von ihnen Repräsentierten. Wähler*innen akzeptieren Kompromisse natürlich nicht automatisch deshalb, weil die Entscheidungsfindung transparent ist. Aber ohne Transparenz kann eine politische Entscheidung in der Demokratie auf Dauer nicht bestehen, die Demokratie selbst würde ausgehöhlt. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die parlamentarischen Abläufe, sondern für alle Bereiche auch der Exekutive und Judikative. In der Demokratie erfolgt deshalb die Legitimation von Entscheidungen nicht zuletzt durch mediale Vermittlung.
Die Medien jedoch stehen unter Druck, das konnte unsere Untersuchung zeigen. Dies keinesfalls deshalb, weil die Medien in weiten Teilen der Bevölkerung an Glaubwürdigkeit verloren hätten. Im Gegenteil, der Glaubwürdigkeitsvorschuss ist hoch – das ist der positive Befund. Unter Druck stehen die Medien und damit das öffentliche Vertrauen durch eine starke politische Polarisierung. Wenn auch nicht alle Bürger*innen den Medien die Glaubwürdigkeit absprechen: Es existiert eine relevant große Gruppe, die den Medien mit ebenso großem Misstrauen begegnet, wie sie das Vertrauen in die Demokratie verloren hat.
Unsere Untersuchung konnte Hinweise dafür liefern, dass auch der Wandel der Öffentlichkeit den Druck auf die Demokratie erhöhen wird. Nicht nur, weil sich mit dem Internet bei den Jüngeren die Informationssuche zunehmend ins Virtuelle verlagert und damit klassische Medien unter Druck geraten. Das Medium Internet scheint auch das Misstrauen der Nutzer*innen zu erhöhen.
Es gilt daher, Ansatzpunkte zum Handeln zu suchen. Sie stehen an verschiedenen Stellen zur Verfügung. In der repräsentativen Demokratie existieren auch andere Wege, um öffentliches Vertrauen herzustellen. Öffentlichkeit kann neben der oder zusätzlich zur medialen Vermittlung zustande kommen, etwa in direkten Gesprächen der Parlamentarier*innen in ihren Wahlkreisen. Das bedeutet aber auch, dass die Zahl der Parlamentsangehörigen einen solchen Austausch zulassen muss. Ihre Zahl sollte folglich nicht reduziert werden. Gebietskörperschaften sollten nicht immer weiter vergrößert werden, sondern im Alltag, etwa in den Kommunen, die Erfahrung der Teilhabe und Teilnahme ermöglichen. Darüber hinaus können alle Formen, die als Forum der Artikulation von Interessen fungieren, als Alternativen zu einer medialen Vermittlung dienen – etwa außerparlamentarische Bewegungen oder Bürgerinitiativen.
Spätestens an diesem letzten Punkt wird aber deutlich, dass eine demokratische Öffentlichkeit zwingend Menschen braucht, die ihren Interessen eine Stimme geben – und die dies im Bewusstsein tun, dass eine Demokratie selbst bei gegensätzlichen Interessen ohne Anerkennung der Position des Anderen nicht lebensfähig ist. Das gilt ebenso für die mediale Öffentlichkeit. Auch sie setzt sich zusammen aus zwei Seiten: dem Sender und dem Empfänger. Ohne eine glaubwürdige Presse kann ein öffentlicher Austausch nicht zustande kommen, ohne kritische Leserschaft auch nicht. Dafür sind die Instrumente des Interessenausgleiches in der Demokratie zu fragil.
Das bedeutet zum einen, dass den Medien als Korrektiv der politischen Repräsentanten durchaus selbst auf die Finger geschaut werden muss. Am vielfältigsten war die Medienlandschaft in den 1960er und 1970er Jahren, als die Politisierung den kritischen Blick vieler geschärft hatte. Zum anderen haben jene Demonstrant*innen, die den Medienvertreter*innen „Lügenpresse!“ entgegenrufen, offensichtlich keinen Begriff davon, wie sehr ihr Denken bereits antidemokratisch ist: So richtig die Kritik ist, dass manche Interessen in der Gesellschaft es oft leichter haben, sich Gehör zu verschaffen, so falsch ist der Schluss, es müsse endlich mal jemand das eine „Volksinteresse“ durchsetzen. Dieses von Rechtsextremen angerufene „Volk“ selbst hat in vielen Fragen unterschiedliche Interessen, ist keinesfalls so einheitlich, wie die völkische Ideologie es vorgaukelt. Der Ruf nach einem homogenen Volk und einer starken Autorität, die alles richtet, weist auf einen Widerspruch dieser Gesellschaft hin.
Demokratie ist einerseits dem eigenen Verständnis dieser Gesellschaft nach nicht Mehrheitsdiktatur, sondern eine „republikanische Staatsform“, die nicht von einer „Einheit aus[geht], sondern von einer unaufhebbaren Vielfalt“ (Beck 1996: 77). Zu einer „dialogischen Demokratie“ gehört die „Anerkennung der Authentizität des anderen“ und die „Bereitschaft, dessen Ansichten und Ideen in einem wechselseitigen Prozeß anzuhören und zu diskutieren“ (Giddens 1994: 193). Der Anspruch unserer demokratischen Gesellschaft ist es, nicht nur formale Aspekte der Demokratie zu sichern, sondern die Anerkennung des Anderen und seiner Interessen in einem demokratischen Aushandlungsprozess zu sichern. Die Freiheit des Anderen ist die Voraussetzung für die eigene Freiheit. Diese „deliberative Demokratie“ wird geschützt durch die im Grundgesetz garantierten demokratischen Rechte: Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit. Der Schutz des Einzelnen vor der Mehrheit ist essenziell für diese Demokratie und ebenso wichtig wie freie und gleiche Wahlen. So weit das Ideal. Dieses gerät jedoch immer wieder in Konflikt mit der Realität.
Das letzte Jahrzehnt war durch eine doppelte Bewegung gekennzeichnet. Einerseits wurde die Gesellschaft liberalisiert, indem die Rechte vieler Menschen – Kinder, Frauen, Schwuler, Lesben etc. – gestärkt worden sind. Auf der anderen Seite sind aber ebenso wesentliche Grund- und Schutzrechte im Zeichen einer ökonomischen Liberalisierung eingeschränkt worden. Die sogenannten Arbeitsmarktreformen machten zum Beispiel aus Menschen, die ein Anrecht auf Solidarität haben, „Kunden“. Dass diese „Kunden“ aber keinesfalls „Könige“ sind, sondern, im Gegenteil, teilweise sogar ihrer bürgerlichen Rechte verlustig gehen, das spüren nicht nur diese selbst auf den Fluren der Arbeitsagentur. Die Angst vor dem sozialen Abstieg ist nicht allein eine vor ökonomischer Prekarität, sondern auch eine vor der Hilflosigkeit gegenüber übermächtigen gesellschaftlichen Instanzen. Durch den Staat wird hier das fragile Gleichgewicht des Interessenausgleichs zuungunsten der Schwächeren verschoben. Wie weit diese (ökonomische) Liberalisierung etwa das politische Engagement in den Betrieben bedroht, wenn bei Widerspruch gegen den Vorgesetzten nicht nur die Kündigung, sondern auch die soziale Deklassierung droht, ist bisher noch nicht ausreichend in den Blick genommen worden.
Berücksichtigt man, dass Entscheidungswege im Zuge der ökonomischen Krisen seit den 2010er Jahren immer mehr aus den Parlamenten in die Verwaltungen oder Exekutiven verlagert wurden, muss man von einer neuen Form autoritärer Staatlichkeit sprechen. Beides hat die Parlamente geschwächt und droht die repräsentative Demokratie zu delegitimieren (Crouch 2008). Die Widersprüchlichkeit dieser Gesellschaft, einerseits die Freiheit und Gleichheit der Einzelnen zum Maßstab zu erheben, aber andererseits in wesentlichen Lebensbereichen die Konkurrenz zu brauchen, macht sowohl das Vertrauen in die politischen Institutionen wie auch die Glaubwürdigkeit der Medien zu einem fragilen Gebilde.
Es ist gut, dass der Presse und den Medien immer noch von vielen Menschen Glaubwürdigkeit zugestanden wird. Dass es aber weite Teile der Bevölkerung gibt, die sich von ihr ebenso wie von der Demokratie abgewendet haben, muss ernst genommen werden. Es zeigt nicht nur ein Repräsentationsproblem in der Gesellschaft an, sondern auch die Probleme, die in den letzten Jahren aus der einseitigen Lösung ökonomischer Krisen erwachsen sind.
Dieser Text ist die Dokumentation des Schlusskapitels. Hier der vollständige Text der Untersuchung
Letzte Kommentare