Nachdem ich meinen gestrigen Ärger über meine Borussia eine Nacht überschlafen habe, muss im Angesicht der nicht lügenden Tabelle folgendes unbarmherzig festgestellt werden: fussballerisch geht die Bundesliga am Stock. Wenn eine Mannschaft mit 6 bis 8 gut gespielten Halbzeiten in 14 Spielen auf einen Champions-League-Platz (4.) gelangen kann, was sagt das dann über die andern?
Die Europapokal-Tabellen lügen auch nicht. Ausser den Konzernteams sind Weihnachten alle draussen. Das Schneckenrennen in der DFL hinter diesen Nasen aus dem süddeutschen Raum ist doch erbärmlich langweilig.

Was die geografischen und ökonomischen Rahmenbedingungen betrifft, wäre ein Mittelfeldplatz für Borussia Mönchengladbach – Manager Eberl formuliert alljährlich das realistische Saisonziel “einstelliger Tabellenplatz” – das Höchste, was erreichbar ist. Mein Gott, allein schon diese Stadt, auf die der “Borussia-Park” wie eine draufgefallene fliegende Untertasse aus dem Weltraum aussieht. In unmittelbarer Nähe die Scheingiganten in Köln (grösste Stadt NRWs) und S04 und BVB, beide im grössten Ballungsraum Deutschlands.

Dieser Aufmerksamkeitsschatten ist möglicherweise der grösste Vorteil. Gibt es in Mönchengladbach Medien? Ich weiss keine. In Köln und Schalke regieren sie direkt in die Kabine hinein, ein merkwürdiges Journalismus-Verständnis, aber gut, das ist da wohl Folklore. Die Stars in Gladbachs Präsidium (Bonhof, Meyer) legen besonderen Wert darauf, wenig in Schlagzeilen vorzukommen. In der 11-Freunde-Kolumne und im ARD-Sportschauclub behält Hans Meyer alle Geschäftsgeheimnisse strategisch klug für sich. In der U23 in der Regionalliga West spielen mehr Talente, als es jemals ins Profiteam schaffen können, ein Strukturproblem dieser Liga. Die Mannschaft könnte mehr Führung vertragen. Stindl liefert das, um Kramer muss man sich eher gesundheitliche Sorgen machen. Spielerisch ist er ersetzbar, aber als Charakter vermutlich too big to fail.

Wie anders die westdeutsche Konkurrenz. S04-Boss und Putinfreund Tönnies pflegt seit Jahrzehnten besondere diplomatische Beziehungen mit dem niedergehenden Revolverblatt des Springerkonzerns. Es ist die wichtigste und härteste Aufgabe des zugezogenen Managers Heidel, das zu unterbinden. Vielleicht macht er Fortschritte. Die Blauen sehen jedenfalls sportlich noch am besten aus. Die Knappenschmiede liefert weiter Talente, die Infrastruktur wird modernisiert, ein unspektakulärer Zugang wie Harit erweist sich als Juwel. Seit der Amtszeit von Jens Keller, soeben bei Union Berlin erneut gefeuert, sportlich die überzeugendste Phase der Blauen seit langem.

Welch ein Kontrast beim BVB. Seit Wochen lässt die Vereinsspitze den selbstausgesuchten Trainer öffentlich im Regen stehen. Was für eine Feigheit! Die bin ich aus der Politik gewöhnt. Aber im Milliardengeschäft Fußball, bei einem börsennotierten Verein? Wie sollen seine Spieler, die Mannschaft, ihn noch ernstnehmen? Da haben sich wohl einige Führungskräfte zu viel mit Cashflow und zu wenig mit dem Charakter von Spielern und Mannschaft beschäftigt. Die hat Peter Bosz nicht ausgesucht sondern vorgefunden. Dass er kein Jürgen-Klopp-Vulkan ist, müsste bekannt gewesen sein. So what?
Hier rächt sich der ökonomisch orientierte datenfixierte Blick auf diesen dynamischen Mannschaftssport. Leistungsdaten der Spieler werden verglichen, Transferwerte, Kostenfaktoren, dazu der unappetitliche Filz von Vereinen und Spielerberater-Konzernen. Für den Spieler als individuellen Charakter, für soziale Beziehungen und ihre Pflege, Solidaritätswerte, interessierte mann sich offensichtlich ungenügend. Wie konnte Aubameyang so ein Sprengstoff werden? Wo sind denn jetzt die Führungsqualitäten von Schmelzer und Sahin, der vom gleichen Beratungskonzern betreut wird, wie sein Trainer? (und der eifrig beim BVB ins Gespräch gebrachte Lucien Favre) Herr Zorc, Herr Watzke, sind Sie sicher, dass Sie da, wo sie sind, noch richtig sind?
Aber danke, dass Sie Ginter haben gehen lassen!

Und Köln? Mir fehlen die Worte. Was gibt es Schlimmeres als den feinen Kerl Hans Schäfer so ins Grab zu spielen? Durch die glückliche harmonische Einheit von Stadt, Verein, Mannschaft und Fans in den Vorsaisons hat die Vereinsführung eine Furche der Zerstörung gezogen. Von der Art des Kölner U-Bahnbaus und vermutlich der gleichen Baumafia im Hintergrund. Ein Stadionneubau sollte es sein. Wenn Ihr nicht wollt wie wir, auch ausserhalb der Stadt. So gesehen ist der Saisonverlauf für diese Hybris die gerechte Strafe durch die sportliche Wirklichkeit. Der Modeste-Wechsel ist bis heute nicht wirklich aufgeklärt. Die Mehrheit der dabei gezogenen Strippen wird uns wohl nie verraten. Das ist Köln, wie wir es kennen. Müssen wir uns wenigstens nicht umgewöhnen. Die Talente in der Region könnens ja mal bei der (Kölner!) Fortuna oder beim BSC versuchen.
Nur: wo soll meine Borussia jetzt die sicheren 6 Punkte jedes Jahr hernehmen? Zum Mitabsteigen sind wir derzeit nicht schlecht genug.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net