Vor einigen Tagen zeigte 3sat ein “Making of” des Kölner Stückes “Die Lücke”. Der Film begleitete den Autor Nuran David Calis während des ganzen Ablaufs der Produktion. Sie handelt inhaltlich von dem NSU-Mordanschlag in der Mülheimer Keupstrasse. Der gleiche Autor war auch für das Stück “Istanbul” verantwortlich, das sich im Kern um die Lebens- und Familiengeschichte des zeitweilig auf Druck des Erdogan-Regimes in Spanien festgehaltenen und in dem Stück persönlich mitspielenden Autors Dogan Akhanli dreht. Es wird am Samstag, den 17.2. erneut aufgeführt.
Die Serie von Aufführungen in Köln, die z.Z. absolut angemessen provisorisch in alten Fabrikhallen in Köln-Mülheim gespielt werden müssen, verrät das strategische Interesse des Kölner Schauspiels, sich inhaltlich und personell in die Wirklichkeit der es umgebenden Stadtgesellschaft zu öffnen. Ich will das nicht überschwenglich loben, weil es eigentlich von jeder kommunalen Bühne erwartet werden muss. Wir wissen nur leider, dass dem nicht so ist.
“Istanbul” war nicht unterhaltsam. Es war bildend, im besten Sinne guter Unterricht. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal 2 Stunden am Stück gesprochenen Texten nicht nur aufmerksam, sondern ständig selbst darüber nachdenkend, gefolgt bin. Die politische Kommunikationslehre sagt, dass das erste Absacken nach ca. 15 Minuten erfolgt, und dann eine dramaturgische Abwechslung erforderlich ist.
In “Istanbul” gibt es zwar Szenenwechsel. Bühnenelemente werden verschoben oder gedreht, die Schauspieler*innen nehmen andere Positionen ein, die Beleuchtung wird – sparsam – modifiziert. Irritierend für nicht vorbereitete Zuschauer*innen: spielen die Schauspieler*innen, gemischt aus Laien und professionellen Ensemblemitgliedern, eine Rolle? Oder sich selbst? Diese Irritation ist gewiss beabsichtigt, weil sie die Aufmerksamkeit der Zuschauenden hochhält, ein einfacher, wirksamer Trick.
Inhaltlich können wir in diesem Stück lernen, was das faschismusähnliche Erdogan-Regime mit Menschen macht, insbesondere mit seinen zahlreichen Gegner*inne*n und Kritiker*inne*n, zu denen Akhanli natürlich zählt. An meisten in meine Erinnerung eingebrannt hat sich eine Szene, in der er unbewegt in eine Kamera schaut, deren Bilder auf eine Leinwand projiziert werden, während ein anderer Spieler hinter einer Stellwand aus Texten von ihm rezitiert. Akhanlis Gesicht spricht derweil aussagekräfig zu uns, unbeweglich. Für einen Schreibenden eine phänomenal starke Schauspielleistung (ein Szenenfoto finden sie auf dieser Seite).
Kritisch könnte angemerkt werden, dass das Stück uns reich über die politische Geschichte der Türkei informiert, aber auf eine kritische Analyse der Fehler und Schwächen der demokratischen Kräfte verzichtet. Zumal Akhanli seine autobiografische Sektenvergangenheit nicht verschweigt, sondern selbstkritisch ausbreitet. Aber warum sollen wir das von unseren türkischen Freund*inn*en verlangen, was wir hierzulande auch nicht leisten? Ein solcher Versuch hätte das konsistente Stück gesprengt. Gut, dass ich kein Theater mache.
Wenn Sie Zeit finden: 17. Februar, hingehen!
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