Wer gestern Nachrichten im Deutschlandfunk mehrmals tagüber verfolgt hat, konnte beobachten, wie wirtschaftliche Interessenpolitik in Deutschland aktuell funktioniert: In den Nachrichten ab 10.00 wurde über das Urteil des EuGH zur Anwendung der Gentechnologie in der Pflanzenmanipulation berichtet. Dabei ging es um nicht mehr oder weniger als die Frage, ob gentechnisch veränderte Pflanzen, die z.B. durch das neue Verfahren der sogenannten “Genschere”, genannt Crispr/Cas9 oder nur “Crispr”, bearbeitet worden sind, ebenso strengen Richtlinien unterliegen sollen, wie gentechnisch veränderter Mais oder Weizen. Aus Verbrauchersicht eine elementare Forderung, haben doch gentechnisch veränderte Pflanzen bisher auf dem Markt in Europa so gut wie keine Chance. Aufgrund des Urteils müssen auch solche Veränderungen als gentechnische Manipulation gekennzeichnet werden – und nur darum geht es: Ohne die Kennzeichnung könnten Verbraucher nicht mehr erkennen und nicht mehr entscheiden, ob sie genmanipulierte Ware kaufen oder nicht.
Nun hat die Gentechnologie-Industrie ja seit einiger Zeit die Taktik eingeschlagen, durch Tarnen und Täuschen ihren weltweit ziemlich ruinierten Ruf aufzubessern. Verdient hat sie sich den redlich, da sie durch genmanipuliertes Saatgut, das nur sterile Pflanzen erzeugt, zusätzlich den massenhaften Einsatz von Pflanzengift wie Glyphosat fördert, und damit zehntausende Bauern weltweit vor allem in Asien und Südamerika kalt enteignet oder ruiniert und von ihrem Land vertrieben hat. Der Widerstand gegen diese Strategie wächst weltweit. Deshalb hat man dafür gesorgt, dass der wohlklingende, weitgehend unbelastete Name “Bayer” künftig für diese Form der Abhängigkeit und Ausbeutung steht. Damit, so glauben die Bosse der Genmanipulation, könne man den Widerstand, den es inzwichen gegen Monsanto gibt, erst einmal beruhigen oder umgehen. Am besten ist, man tritt öffentlich überhaupt nicht mehr in Erscheinung. So spielte sich gestern ein eigenartiges, aber durchaus logisches publizistisches Szenario ab:
Zunächst wurde über das Urteil des EuGH berichtet, dazu die positive Stellungnahme der Bundesumweltministerin, die die Klarstellung im Interesse des Verbrauscherschutzes lobte. Ab den 12.00-Nachrichten kam hinzu eine harsche Kritik am Urteil – nicht etwa von Bayer oder dem Verband der chemischen Industrie, nein vom Bauernverband! Dieser machte sich sogleich die Sommerhitze zu Nutze und beklagte, ja, das Urteil wäre ja völlig ungünstig, denn nun könne man keine wärmeresistenten neuen Pflanzensorten mehr entwickeln. Dass der Bauernverband bzw. die Bauern gentechnische Labore unterhalten ist mir neu. Ich dachte immer, die Bauern produzieren unsere Nahrungsmittel und richten sich dabei nach unseren Wünschen als Verbraucher – und deren Wille ist eindeutig: Die lehnen nämlich mit über 93% gentechnisch veränderte Produkte ab! Was lernt uns das? Schon bei Glyphosat konnte man den Eindruck gewinnen, in diesem Fall ist es offensichtlich: Der Deutsche Bauernverband ist nichts anderes mehr, als ein Appendix der Chemie- und Gentech-Industrie! Nun: Wer erinnert sich zum Beispiel daran, warum der legendäre Bauernpräsident Freiherr zu Heeremann im Aufsichtsrat von Bayer saß?
Nun aber setzte sich das Spielchen im Laufe des Tages fort: Standen erst die begrüßende Stellungnahme der Umweltministerin und die getarnte Botschaft der Chemie- und Agrarlobby dagegen im Raum, setzte ab 16.00 die Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin Julia Klöckner noch einen oben drauf, indem sie von einem “widersprüchlichen” Urteil sprach, und in das gleiche Horn tönte wie der Bauernverband. Man dürfe solche Verfahren nicht von vornherein verurteilen, meinte sie. Tut ja niemand – die Genmanipulation soll nur als solche gekennzeichnet werden – dass fordern sogar Einzelhandelsverbände im Interesse ihrer Kund*innen. Also betätigt sich Klöckner als Appendix des Bauernverbandes und damit als Appendix des Appendix der Chemieindustrie. Wobei sie geflissentlich vergisst, dass sie als Verbraucherschutzministerin eigentlich qua Amtseid dafür zuständig ist, Transparenz und Entscheidungsfähigkeit der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken und nicht zu schwächen. Mehr Informationen zur Sache finden sich hier.
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