Während die Hauptstadtpolitik sich ins Sommerloch verabschiedet hat, durch Nichtteilnahme und Irrelevanz glänzt, nimmt die öffentliche Debatte um den Fall Özil und unser “Wir” in Schlangenlinien Kurs auf Kernfragen: wer sind wir? Wie wollen wir sein? Werte? Was sind unsere Werte? Wer teilt sie und wer bekämpft sie? Die Antworten werden auf ewig ungeklärt sein, weil die Menschen zum Glück verschieden sind und bleiben. Aber dass wir darüber streiten ist gut. Es verschafft Klarheit in den Köpfen und in der Gesellschaft – potenziell. Sicher ist das nicht.
Dass die Parteien in dieser Debatte kaum bemerkbar sind, sagt viel über ihren Stellenwert in unserem Leben. Für die Qualität dieser Debatten ist es sogar eher von Vorteil. In Berlin streiten sie sich um so elementare Fragen, ob Erdogan im September ein Bankett bekommen soll. Ich wüsste da ein paar Wichtigere, aber sie wollen nicht aufhören, uns für dööfer zu halten als sich selbst.
Ruhrbaron reflektiert sein Deutschsein
Ruhrbaron Stefan Laurin kenne ich als publizistischen Rabauken, der aus purer Lust keinem Streit aus dem Weg geht. Und wo keiner ist, versucht er ihn zu provozieren. Fußballinteressiert ist er – ruhrgebietsuntypisch – eher weniger. Umso aufmerksamer verfolgte er die Özildebatte und legte ein bisher geheimgehaltenes Talent offen: er kann auch Konsenstexte. Seine Reflexion über sein eigenes Deutschsein – Dank an Ulrich Horn, bei dem ich den Hinweis gefunden habe – findet viel Zustimmung, meine auch.
Alina Schwermer, von der ich sowieso viel halte, beteiligt sich in der taz mit einem interessanten Hinweis auf einen scheinbar guten Film.
Die Gemeinsamkeiten von Özil und seinen Hassern
Arno Widmann/FR weist darauf hin, das Özil und seine Hasser in Teilen das gleiche Welt- und Politikbild haben. Das FR-Kulturressort, das Widmann mit verantwortet, dokumentiert ausserdem einen Text des von Erdogans Justiz verfolgten Mehmet Altan, wie der autoritäre Komplex der Türkei sozioökonomisch an die Macht gelangen konnte. Ähnlichkeiten mit anderen Ländern sind nicht zufällig.
Selbsttest: Wie würden Sie sich unter denen integrieren?
Jan Christian Müller/FR hält uns weiter exzellent über das Intrigengeschäft im deutschen Fußballbusiness auf dem Laufenden. Ich habe da noch einen Geheimtipp für Sie, eine historische Quelle. Es war 2009, als der Fußballkonzern aus dem süddeutschen Raum vom FC Barcelona eine 4:0-Nachhilfestunde darin erhielt, wie Fußball geht. Danach gab es ein Bankett mit ausnehmend schönen Bildern. Meine Empfehlung: schauen Sie sich das mal ohne Ton (Rummenigge-Rede) an – das ist entschieden vielsagender. Sie können auf diese Weise lesen, was die Herren (u.a. Hoeness, Klinsmann) denken, was sie voneinander halten, was sie sich gegenseitig für Arschlöcher sind. Und dann stellen Sie sich selbst mal als 20-30-jährig vor, mit der Aufgabe, sich in sowas zu integrieren. Wie würden Sie das anstellen?
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